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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

vorgestellt als dem Kaiser Augustus, also am Anfang des römischen Reiches,
dessen Geschicke vorhersagend bis ans Ende, das man sich in der Beklommen¬
heit der Zeiten recht nahe dachte, in Anknüpfung an die biblische Voraussage
des jüngsten Gerichts, das tausend Jahre nach Christo kommen sollte, und
als es da doch nicht kam, nur hinausgeschoben, aber nahe bevorstehend
gedacht wurde. So führt die Sibylle auch die letzten Kaiser und Könige vor,
die der Zeit des Dichters im Bewußtsein waren, mit der Angabe, unter ihnen
würde r"!M68<zK rioli M8poeme van M' 2v. Mr: man sah es ja so vor sich,
das römische Reich aber war aus alter Zeit her, aus Karls des Großen Zeit
her gedacht als die Grundlage, das Grundgefüge aller Ordnung in der Christen¬
heit, d. h. zugleich der Culturwelt, der Welt überhaupt. So düster sah es
da aus in den Geistern, die sich zu einem Überblick auf das Ganze erhoben!
Und die große Zeit des zwölften Jahrhunderts, wenigstens eine Zeit mächtigen
Aufstrebens, um die alte Idee des Reiches kräftig zu verwirklichen, war noch
deutlich genug im Gefühl, wenn auch im geschichtlichen Bewußtsein seltsam
getrübt, denn an Stelle unsrer Geschichte stand damals noch wesentlich die
Sage von Mund zu Mund, wie sie jetzt noch z. B. bei unsern Bauern auch
waltet.

Aus der großen Zeit war dem höhern Bewußtsein oder Gefühl ein Name
als Stern geblieben, der gleichsam am Gedankenhimmel stehen blieb und da
aus einem Stern der Vergangenheit von selbst nun ein Stern der Zukunft
ward, der Leitstern im Wogenfturme der Zeit: der Name Friedrich, mit seinem
Klang und Gehalt zugleich auf das deutend, wonach die Zeit des furchtbar
kämpfenden Wirrwarrs am heißesten lechzte, auf Frieden. Aber nicht, in klarer
Bestimmtheit, Friedrich der Rotbart, der in unsrer Kyffhäusersage erst in der
neuern, gleichfalls prophetischen Dichtung so bestimmt eingesetzt worden ist,
sondern eine Gestalt, die sich aus Friedrich dem Ersten und dem Zweiten im
Volksbewußtsein von selbst gebildet hatte, ein Friedrich schlechthin als Stern
der Hoffnung, als Held von höchster Kraft und Weisheit, der wiederkommen
müsse und werde, als deutscher Held schlechthin. In einer lateinischen xroxlieoia
LibMö aus der Zeit Karls des Vierten (bei Vogt a. a. O. S. 86) heißt es
von Friedrich, in dem aber schon da die beiden Friedriche vermischt erscheinen:
rio äivitüs se Alorig, prassminst ot, siniilis sui non erit <Ziu, seines Gleichen
an Macht und Glanz wird lange nicht wiederkommen. Aber wenn er einmal
möglich gewesen ist, muß er auch wieder möglich sein, das mußte der Gedanke
sei". Dazu kam der alte Glaube, daß rechte Helden, wie sie die Völker brauchen,
nicht sterben, wie andre Sterbliche, sondern nur der Alltagswelt entrückt werden,
um wiederzukehren als Retter, wenn ihre Zeit gekommen ist. Also auch der
unentbehrliche Friedrich konnte, mußte wiederkommen.

Und welche Aufgabe wurde ihm dafür gestellt! Nicht bloß, wie wirs aus
der Kyffhäusersage kennen, Deutschland in Ordnung zu bringen, sondern die


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

vorgestellt als dem Kaiser Augustus, also am Anfang des römischen Reiches,
dessen Geschicke vorhersagend bis ans Ende, das man sich in der Beklommen¬
heit der Zeiten recht nahe dachte, in Anknüpfung an die biblische Voraussage
des jüngsten Gerichts, das tausend Jahre nach Christo kommen sollte, und
als es da doch nicht kam, nur hinausgeschoben, aber nahe bevorstehend
gedacht wurde. So führt die Sibylle auch die letzten Kaiser und Könige vor,
die der Zeit des Dichters im Bewußtsein waren, mit der Angabe, unter ihnen
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das römische Reich aber war aus alter Zeit her, aus Karls des Großen Zeit
her gedacht als die Grundlage, das Grundgefüge aller Ordnung in der Christen¬
heit, d. h. zugleich der Culturwelt, der Welt überhaupt. So düster sah es
da aus in den Geistern, die sich zu einem Überblick auf das Ganze erhoben!
Und die große Zeit des zwölften Jahrhunderts, wenigstens eine Zeit mächtigen
Aufstrebens, um die alte Idee des Reiches kräftig zu verwirklichen, war noch
deutlich genug im Gefühl, wenn auch im geschichtlichen Bewußtsein seltsam
getrübt, denn an Stelle unsrer Geschichte stand damals noch wesentlich die
Sage von Mund zu Mund, wie sie jetzt noch z. B. bei unsern Bauern auch
waltet.

Aus der großen Zeit war dem höhern Bewußtsein oder Gefühl ein Name
als Stern geblieben, der gleichsam am Gedankenhimmel stehen blieb und da
aus einem Stern der Vergangenheit von selbst nun ein Stern der Zukunft
ward, der Leitstern im Wogenfturme der Zeit: der Name Friedrich, mit seinem
Klang und Gehalt zugleich auf das deutend, wonach die Zeit des furchtbar
kämpfenden Wirrwarrs am heißesten lechzte, auf Frieden. Aber nicht, in klarer
Bestimmtheit, Friedrich der Rotbart, der in unsrer Kyffhäusersage erst in der
neuern, gleichfalls prophetischen Dichtung so bestimmt eingesetzt worden ist,
sondern eine Gestalt, die sich aus Friedrich dem Ersten und dem Zweiten im
Volksbewußtsein von selbst gebildet hatte, ein Friedrich schlechthin als Stern
der Hoffnung, als Held von höchster Kraft und Weisheit, der wiederkommen
müsse und werde, als deutscher Held schlechthin. In einer lateinischen xroxlieoia
LibMö aus der Zeit Karls des Vierten (bei Vogt a. a. O. S. 86) heißt es
von Friedrich, in dem aber schon da die beiden Friedriche vermischt erscheinen:
rio äivitüs se Alorig, prassminst ot, siniilis sui non erit <Ziu, seines Gleichen
an Macht und Glanz wird lange nicht wiederkommen. Aber wenn er einmal
möglich gewesen ist, muß er auch wieder möglich sein, das mußte der Gedanke
sei«. Dazu kam der alte Glaube, daß rechte Helden, wie sie die Völker brauchen,
nicht sterben, wie andre Sterbliche, sondern nur der Alltagswelt entrückt werden,
um wiederzukehren als Retter, wenn ihre Zeit gekommen ist. Also auch der
unentbehrliche Friedrich konnte, mußte wiederkommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/24>, abgerufen am 22.07.2024.