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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Es war schon ganz dunkel, als man sich zur Heimkehr anschickte. Man
ruderte in zwei Abteilungen zurück, Erik, Fennimore und einige von den ältern
Herrschaften in der Schiffsjolle, die übrigen im Boote des Konsuls. Das erste
Boot sollte vorausrudern, erst einen kleinen Abstecher machen und sich dann
langsam nach dem Lande wenden, während das andre geradeswegs heimrnderte.
Der Grund zu dieser Verabredung war der, daß man hören wollte, wie der
Gesang an einem so stillen Abende über das Wasser schallte. Darum saßen
Erik und Fennimore auf der hintersten Bank im ersten Boote; die Mandoline
hatten sie mitgenommen. Aber der Gesang wurde eine ganze Weile vergessen,
denn als man die Ruder auslegte, gewahrte man ein ungewöhnlich starkes
Meerleuchten, und das nahm sie alle völlig in Anspruch. Leise glitt das Boot
dahin, und die glanzlose, glatte Fläche erstrahlte in gleitenden Linien und Kreisen
in mildem, weißem Lichte, das eine helle Furche hinter dem Boote bildete und
nur da, wo sie am stärksten war, einen seinen, matten Schimmer, gleich dem
Rauche eines Lichtes, über die Umgebungen verbreitete. Weiß sprühte es unter
den Ruderschlägen auf und glitt von bannen in zitternden Ringen, die schwächer
und schwächer wurden, und in lichten Tropfen floß es von den Rudern herab
gleich einem Phosphorregen, der in der Luft erlosch, das Wasser aber Tropfen
auf Tropfen entzündete. Es war ganz still auf dem Wasser, nur der Takt
der Ruderschläge teilte das Schweigen in regelmäßigen Zwischenräumen ab.
Weich lag die graue Dämmerung über der stillen Tiefe, und das Boot ver¬
schwamm mit seinen Insassen zu einer dunkeln Einheit, von der sich im schwachen
Scheine des Meerleuchtens nur die fleißigen Ruder abhoben, hin und wieder
ein Tau, das über den Rand des Bootes hing, und die gebräunten Gesichter
der Matrosen. Niemand sprach. Fennimore kühlte ihre Hand im Wasser, und
sie und Erik saßen zurückgewendet da und starrten auf das Phosphornetz, das
lautlos hinter dem Boote herfloß und ihre Gedanken in seinem lichten Ge¬
webe fing.

Eine Aufforderung vom Lande her, doch endlich mit dem Gesänge zu be¬
ginnen, erweckte sie, und so sangen sie ein paar italienische Romanzen zu den
Tönen der Mandoline. Dann schwiegen sie abermals.

Endlich legten sie an der kleinen Landungsbrücke an, die sich vom Strand¬
garten ins Meer erstreckte. Das Boot des Konsuls lag leer an der Brücke,
die Gesellschaft hatte sich bereits ins Haus begeben. Die Tante und die andern
gingen auch hinauf, während Erik und Fennimore stehen blieben und dem Boote
nachblickten, das zum Schiffe zurückruderte. Die Gartenpforte oben fiel ins
Schloß, der Schall der Ruder wurde schwächer und schwächer, und die Be¬
wegung des Wassers an der Brücke erstarb. Dann fuhr ein leiser Windhauch
durch das dunkle Laub hinter ihnen, gleich einem Seufzer, der sich versteckt
hatte und der nun ganz leise die Blätter zerteilte und von dannen flog und
die beiden ganz allein zurückließ.


Ricks Lyhne.

Es war schon ganz dunkel, als man sich zur Heimkehr anschickte. Man
ruderte in zwei Abteilungen zurück, Erik, Fennimore und einige von den ältern
Herrschaften in der Schiffsjolle, die übrigen im Boote des Konsuls. Das erste
Boot sollte vorausrudern, erst einen kleinen Abstecher machen und sich dann
langsam nach dem Lande wenden, während das andre geradeswegs heimrnderte.
Der Grund zu dieser Verabredung war der, daß man hören wollte, wie der
Gesang an einem so stillen Abende über das Wasser schallte. Darum saßen
Erik und Fennimore auf der hintersten Bank im ersten Boote; die Mandoline
hatten sie mitgenommen. Aber der Gesang wurde eine ganze Weile vergessen,
denn als man die Ruder auslegte, gewahrte man ein ungewöhnlich starkes
Meerleuchten, und das nahm sie alle völlig in Anspruch. Leise glitt das Boot
dahin, und die glanzlose, glatte Fläche erstrahlte in gleitenden Linien und Kreisen
in mildem, weißem Lichte, das eine helle Furche hinter dem Boote bildete und
nur da, wo sie am stärksten war, einen seinen, matten Schimmer, gleich dem
Rauche eines Lichtes, über die Umgebungen verbreitete. Weiß sprühte es unter
den Ruderschlägen auf und glitt von bannen in zitternden Ringen, die schwächer
und schwächer wurden, und in lichten Tropfen floß es von den Rudern herab
gleich einem Phosphorregen, der in der Luft erlosch, das Wasser aber Tropfen
auf Tropfen entzündete. Es war ganz still auf dem Wasser, nur der Takt
der Ruderschläge teilte das Schweigen in regelmäßigen Zwischenräumen ab.
Weich lag die graue Dämmerung über der stillen Tiefe, und das Boot ver¬
schwamm mit seinen Insassen zu einer dunkeln Einheit, von der sich im schwachen
Scheine des Meerleuchtens nur die fleißigen Ruder abhoben, hin und wieder
ein Tau, das über den Rand des Bootes hing, und die gebräunten Gesichter
der Matrosen. Niemand sprach. Fennimore kühlte ihre Hand im Wasser, und
sie und Erik saßen zurückgewendet da und starrten auf das Phosphornetz, das
lautlos hinter dem Boote herfloß und ihre Gedanken in seinem lichten Ge¬
webe fing.

Eine Aufforderung vom Lande her, doch endlich mit dem Gesänge zu be¬
ginnen, erweckte sie, und so sangen sie ein paar italienische Romanzen zu den
Tönen der Mandoline. Dann schwiegen sie abermals.

Endlich legten sie an der kleinen Landungsbrücke an, die sich vom Strand¬
garten ins Meer erstreckte. Das Boot des Konsuls lag leer an der Brücke,
die Gesellschaft hatte sich bereits ins Haus begeben. Die Tante und die andern
gingen auch hinauf, während Erik und Fennimore stehen blieben und dem Boote
nachblickten, das zum Schiffe zurückruderte. Die Gartenpforte oben fiel ins
Schloß, der Schall der Ruder wurde schwächer und schwächer, und die Be¬
wegung des Wassers an der Brücke erstarb. Dann fuhr ein leiser Windhauch
durch das dunkle Laub hinter ihnen, gleich einem Seufzer, der sich versteckt
hatte und der nun ganz leise die Blätter zerteilte und von dannen flog und
die beiden ganz allein zurückließ.


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[0242] Ricks Lyhne. Es war schon ganz dunkel, als man sich zur Heimkehr anschickte. Man ruderte in zwei Abteilungen zurück, Erik, Fennimore und einige von den ältern Herrschaften in der Schiffsjolle, die übrigen im Boote des Konsuls. Das erste Boot sollte vorausrudern, erst einen kleinen Abstecher machen und sich dann langsam nach dem Lande wenden, während das andre geradeswegs heimrnderte. Der Grund zu dieser Verabredung war der, daß man hören wollte, wie der Gesang an einem so stillen Abende über das Wasser schallte. Darum saßen Erik und Fennimore auf der hintersten Bank im ersten Boote; die Mandoline hatten sie mitgenommen. Aber der Gesang wurde eine ganze Weile vergessen, denn als man die Ruder auslegte, gewahrte man ein ungewöhnlich starkes Meerleuchten, und das nahm sie alle völlig in Anspruch. Leise glitt das Boot dahin, und die glanzlose, glatte Fläche erstrahlte in gleitenden Linien und Kreisen in mildem, weißem Lichte, das eine helle Furche hinter dem Boote bildete und nur da, wo sie am stärksten war, einen seinen, matten Schimmer, gleich dem Rauche eines Lichtes, über die Umgebungen verbreitete. Weiß sprühte es unter den Ruderschlägen auf und glitt von bannen in zitternden Ringen, die schwächer und schwächer wurden, und in lichten Tropfen floß es von den Rudern herab gleich einem Phosphorregen, der in der Luft erlosch, das Wasser aber Tropfen auf Tropfen entzündete. Es war ganz still auf dem Wasser, nur der Takt der Ruderschläge teilte das Schweigen in regelmäßigen Zwischenräumen ab. Weich lag die graue Dämmerung über der stillen Tiefe, und das Boot ver¬ schwamm mit seinen Insassen zu einer dunkeln Einheit, von der sich im schwachen Scheine des Meerleuchtens nur die fleißigen Ruder abhoben, hin und wieder ein Tau, das über den Rand des Bootes hing, und die gebräunten Gesichter der Matrosen. Niemand sprach. Fennimore kühlte ihre Hand im Wasser, und sie und Erik saßen zurückgewendet da und starrten auf das Phosphornetz, das lautlos hinter dem Boote herfloß und ihre Gedanken in seinem lichten Ge¬ webe fing. Eine Aufforderung vom Lande her, doch endlich mit dem Gesänge zu be¬ ginnen, erweckte sie, und so sangen sie ein paar italienische Romanzen zu den Tönen der Mandoline. Dann schwiegen sie abermals. Endlich legten sie an der kleinen Landungsbrücke an, die sich vom Strand¬ garten ins Meer erstreckte. Das Boot des Konsuls lag leer an der Brücke, die Gesellschaft hatte sich bereits ins Haus begeben. Die Tante und die andern gingen auch hinauf, während Erik und Fennimore stehen blieben und dem Boote nachblickten, das zum Schiffe zurückruderte. Die Gartenpforte oben fiel ins Schloß, der Schall der Ruder wurde schwächer und schwächer, und die Be¬ wegung des Wassers an der Brücke erstarb. Dann fuhr ein leiser Windhauch durch das dunkle Laub hinter ihnen, gleich einem Seufzer, der sich versteckt hatte und der nun ganz leise die Blätter zerteilte und von dannen flog und die beiden ganz allein zurückließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/242>, abgerufen am 29.06.2024.