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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Genau in demselben Augenblicke wandten sie sich einander zu, fort von dem
Wasser. Er ergriff ihre Hand, zog sie langsam, wie fragend, an sich und küßte
sie dann. Fennimore! flüsterte er, und sie gingen durch den dunkeln Garten.

Du hast es schon lange gewußt, sagte er dann. Sie sagte: Ja. Dann
schritten sie weiter, und dann fiel die Gartenthür abermals ins Schloß.

Erik konnte nicht schlafen, als er endlich auf seinem Zimmer anlangte,
nachdem er noch Kaffee mit der Gesellschaft getrunken und sich von den Fremden
an der Gartenthür verabschiedet hatte.

Es war so beklommen dadrinnen. Er öffnete die Fenster, dann warf er
sich aufs Sofa und horchte. Er wollte wieder hinaus.

Wie es im Hause schallte! Er hörte deutlich das Schlürfen der Morgen¬
schuhe des Konsuls, und jetzt öffnete Fran Claudy die Küchenthür, um nach¬
zusehen, ob das Feuer auch erloschen sei. Was hatte Ricks nur zu so später
Stunde noch in seinem Koffer zu suchen? Horch! was war das? -- Eine
Maus hinter der Vertäfelung! -- Jetzt ging jemand auf Socken über die Diele.
-- Jetzt gingen da zwei! -- Endlich! Er öffnete die Thür zu dem unbewohnten
Fremdenzimmer, das hinter dem seinen lag, und horchte. Dann öffnete er vor¬
sichtig das Fenster und schwang sich über das Fensterbrett hinaus in den Hof.
Durch die Rollkammer konnte er in den Strandgarten gelangen. Wenn ihn
jemand sähe, wollte er sagen, er habe unten an der Brücke die Mandoline ver¬
gessen und wolle sie holen, da der Thau ihr schaden könne. Deswegen hatte
er sie auf dem Rücken.

Der Garten war jetzt Heller, es wehte ein wenig, und ein schwacher Mond¬
schein spannte einen zitternden Silberstreifen von der Landungsbrücke bis zu
dem Schooner aus.

Erik ging hinaus auf die Steinmauer, die den Garten schützte und die sich
von dort in scharfen Winkeln um einen großen, gebannten Platz herum und
bis ans äußerste Ende der Hafenmaucr erstreckte. Den ganzen Weg balancirte
er auf den unbequemen, großen, schrägen Steinen entlang.

Ganz erschöpft gelangte er an die Spitze der Mole und setzte sich dort
auf eine Bank.

Hoch über seinem Haupte schaukelte die rote Signallaterne des Hafens leise
mit einem seufzenden Laut, und die Flaggenleine schlug sanft gegen die Stange.

Der Mond war ein wenig klarer geworden, doch nicht viel, er warf ein
vorsichtiges, grauweißes Licht über die stillen Fahrzeuge im Hafen und über den
Wirrwarr von viereckigen Dächern und weißen, hohläugigen Giebeln der Stadt;
und dahinter, alles andre überragend, erhob sich hell und ruhig der Kirchturm.

Erik lehnte sich träumend zurück, und ein Meer von unendlicher Wonne
und namenlosem Jubel schwellte sein Herz und ließ ihn sich so reich, so voller
Macht und Lebenswärme fühlen. Es war ihm, als könne Fennimore jeden
Liebesgedanken hören, der aus seinem Glück hervorsproß, Ranke auf Ranke und


Ricks Lyhne.

Genau in demselben Augenblicke wandten sie sich einander zu, fort von dem
Wasser. Er ergriff ihre Hand, zog sie langsam, wie fragend, an sich und küßte
sie dann. Fennimore! flüsterte er, und sie gingen durch den dunkeln Garten.

Du hast es schon lange gewußt, sagte er dann. Sie sagte: Ja. Dann
schritten sie weiter, und dann fiel die Gartenthür abermals ins Schloß.

Erik konnte nicht schlafen, als er endlich auf seinem Zimmer anlangte,
nachdem er noch Kaffee mit der Gesellschaft getrunken und sich von den Fremden
an der Gartenthür verabschiedet hatte.

Es war so beklommen dadrinnen. Er öffnete die Fenster, dann warf er
sich aufs Sofa und horchte. Er wollte wieder hinaus.

Wie es im Hause schallte! Er hörte deutlich das Schlürfen der Morgen¬
schuhe des Konsuls, und jetzt öffnete Fran Claudy die Küchenthür, um nach¬
zusehen, ob das Feuer auch erloschen sei. Was hatte Ricks nur zu so später
Stunde noch in seinem Koffer zu suchen? Horch! was war das? — Eine
Maus hinter der Vertäfelung! — Jetzt ging jemand auf Socken über die Diele.
— Jetzt gingen da zwei! — Endlich! Er öffnete die Thür zu dem unbewohnten
Fremdenzimmer, das hinter dem seinen lag, und horchte. Dann öffnete er vor¬
sichtig das Fenster und schwang sich über das Fensterbrett hinaus in den Hof.
Durch die Rollkammer konnte er in den Strandgarten gelangen. Wenn ihn
jemand sähe, wollte er sagen, er habe unten an der Brücke die Mandoline ver¬
gessen und wolle sie holen, da der Thau ihr schaden könne. Deswegen hatte
er sie auf dem Rücken.

Der Garten war jetzt Heller, es wehte ein wenig, und ein schwacher Mond¬
schein spannte einen zitternden Silberstreifen von der Landungsbrücke bis zu
dem Schooner aus.

Erik ging hinaus auf die Steinmauer, die den Garten schützte und die sich
von dort in scharfen Winkeln um einen großen, gebannten Platz herum und
bis ans äußerste Ende der Hafenmaucr erstreckte. Den ganzen Weg balancirte
er auf den unbequemen, großen, schrägen Steinen entlang.

Ganz erschöpft gelangte er an die Spitze der Mole und setzte sich dort
auf eine Bank.

Hoch über seinem Haupte schaukelte die rote Signallaterne des Hafens leise
mit einem seufzenden Laut, und die Flaggenleine schlug sanft gegen die Stange.

Der Mond war ein wenig klarer geworden, doch nicht viel, er warf ein
vorsichtiges, grauweißes Licht über die stillen Fahrzeuge im Hafen und über den
Wirrwarr von viereckigen Dächern und weißen, hohläugigen Giebeln der Stadt;
und dahinter, alles andre überragend, erhob sich hell und ruhig der Kirchturm.

Erik lehnte sich träumend zurück, und ein Meer von unendlicher Wonne
und namenlosem Jubel schwellte sein Herz und ließ ihn sich so reich, so voller
Macht und Lebenswärme fühlen. Es war ihm, als könne Fennimore jeden
Liebesgedanken hören, der aus seinem Glück hervorsproß, Ranke auf Ranke und


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[0243] Ricks Lyhne. Genau in demselben Augenblicke wandten sie sich einander zu, fort von dem Wasser. Er ergriff ihre Hand, zog sie langsam, wie fragend, an sich und küßte sie dann. Fennimore! flüsterte er, und sie gingen durch den dunkeln Garten. Du hast es schon lange gewußt, sagte er dann. Sie sagte: Ja. Dann schritten sie weiter, und dann fiel die Gartenthür abermals ins Schloß. Erik konnte nicht schlafen, als er endlich auf seinem Zimmer anlangte, nachdem er noch Kaffee mit der Gesellschaft getrunken und sich von den Fremden an der Gartenthür verabschiedet hatte. Es war so beklommen dadrinnen. Er öffnete die Fenster, dann warf er sich aufs Sofa und horchte. Er wollte wieder hinaus. Wie es im Hause schallte! Er hörte deutlich das Schlürfen der Morgen¬ schuhe des Konsuls, und jetzt öffnete Fran Claudy die Küchenthür, um nach¬ zusehen, ob das Feuer auch erloschen sei. Was hatte Ricks nur zu so später Stunde noch in seinem Koffer zu suchen? Horch! was war das? — Eine Maus hinter der Vertäfelung! — Jetzt ging jemand auf Socken über die Diele. — Jetzt gingen da zwei! — Endlich! Er öffnete die Thür zu dem unbewohnten Fremdenzimmer, das hinter dem seinen lag, und horchte. Dann öffnete er vor¬ sichtig das Fenster und schwang sich über das Fensterbrett hinaus in den Hof. Durch die Rollkammer konnte er in den Strandgarten gelangen. Wenn ihn jemand sähe, wollte er sagen, er habe unten an der Brücke die Mandoline ver¬ gessen und wolle sie holen, da der Thau ihr schaden könne. Deswegen hatte er sie auf dem Rücken. Der Garten war jetzt Heller, es wehte ein wenig, und ein schwacher Mond¬ schein spannte einen zitternden Silberstreifen von der Landungsbrücke bis zu dem Schooner aus. Erik ging hinaus auf die Steinmauer, die den Garten schützte und die sich von dort in scharfen Winkeln um einen großen, gebannten Platz herum und bis ans äußerste Ende der Hafenmaucr erstreckte. Den ganzen Weg balancirte er auf den unbequemen, großen, schrägen Steinen entlang. Ganz erschöpft gelangte er an die Spitze der Mole und setzte sich dort auf eine Bank. Hoch über seinem Haupte schaukelte die rote Signallaterne des Hafens leise mit einem seufzenden Laut, und die Flaggenleine schlug sanft gegen die Stange. Der Mond war ein wenig klarer geworden, doch nicht viel, er warf ein vorsichtiges, grauweißes Licht über die stillen Fahrzeuge im Hafen und über den Wirrwarr von viereckigen Dächern und weißen, hohläugigen Giebeln der Stadt; und dahinter, alles andre überragend, erhob sich hell und ruhig der Kirchturm. Erik lehnte sich träumend zurück, und ein Meer von unendlicher Wonne und namenlosem Jubel schwellte sein Herz und ließ ihn sich so reich, so voller Macht und Lebenswärme fühlen. Es war ihm, als könne Fennimore jeden Liebesgedanken hören, der aus seinem Glück hervorsproß, Ranke auf Ranke und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/243>, abgerufen am 26.06.2024.