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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Liebe eine süße Würde sei, nicht so eine verzehrende Unruhe voller Furcht, De¬
mütigung und Zweifel. Unzählige male, wenn sie zu sehen meinte, daß sich
das Geständnis von Eriks Lippen losringen wollte, konnte sie ein Gefühl über¬
kommen, als sei es ihre Pflicht, ihre Hand auf seinen Mund zu legen, ihn
am Sprechen zu verhindern, sich selber ihm gegenüber anzuklagen, ihm zu sagen,
daß sie ihn betrüge, ihm zu sagen, wie unwürdig sie seiner Liebe sei, wie irdisch
klein, wie kindisch sie sei, so gar nicht edel, nein, so elend und gering, so alltäglich
häßlich. Sie fühlte sich so falsch unter seinem bewundernden Blick, so berechnend,
wenn sie ihm nicht aus dem Wege ging, so verbrecherisch, wenn sie es nicht übers
Herz bringen konnte, Gott in ihrem Abendgebet zu bitten, daß Erik seinen Sinn
von ihr wende, auf daß eitel Licht über seinem Schicksal ruhen möge und Hoheit
und Herrlichkeit; denn sie hätte ihn ja hinabgezogen durch ihre erdgeborne Liebe.

Es geschah fast mit Widerstreben, daß Erik sie liebte. Sein Ideal
war immer vornehm gewesen, groß und stolz, mit leiser Schwermut auf den
bleichen Zügen und tempelkühler Luft in den strengen Falten des Gewandes.
Aber Fennimores Liebreiz hatte es ihm angethan. Er konnte ihrer Schönheit
nicht widerstehen. Es lag so eine frische, unbewußte Sinnlichkeit über ihrer
ganzen Erscheinung, wenn sie ging, erzählte ihr Gang flüsternd von ihrem Körper,
es lag eine Blöße über ihren Bewegungen, eine träumerische Beredsamkeit
über ihrer Ruhe, wogegen sie nichts machen konnte, wie es auch nicht in ihrer
Macht gestanden hätte, es zu verbergen oder zum Schweigen zu bringen, wenn
sie die leiseste Ahnung davon gehabt hätte. Niemand sah das besser als Erik,
und er wußte nur zu gut, einen wie großen Anteil ihre leibliche Schönheit an
seiner Neigung hatte; darum kämpfte er dagegen an, denn es lebte ein hohes
schwärmerisches Bild von der Liebe in seiner Seele, ein Bild, das nicht Poesie und
Überlieferung allein geschaffen hatten, sondern das seinen Ursprung einer tiefem
Naturanlage verdankte, als die war, welche für gewöhnlich in seinem Wesen zum
Ausdruck kam. Woher dies Bild auch stammen mochte, es mußte das Feld räumen.

Noch hatte er Fenuimore seine Liebe nicht gestanden, da geschah es aber,
daß der Schooner Vereudt Claudy ankam und sich draußen auf der Reede vor
Anker legte. Er sollte weiter hinauf an der Küste gelöscht werden, darum kam
er nicht in den Hafen, und da der Konsul sehr stolz auf dies Schiff war und
es seinen Gästen gern zeigen wollte, so ruderte man einmal gegen Abend hinaus,
um am Bord den Thee einzunehmen.

Das Wetter war herrlich, vollkommen windstill, und alle waren in der
heitersten Laune. Die Zeit verstrich auch aufs angenehmste. Man trank eng¬
lischen Porter, knabberte an englischen Biskuits, die so groß waren wie Monde,
und aß geröstete Makrelen, die auf der Fahrt durch die Nordsee gefangen waren.
Man pumpte mit der Schiffspumpe, bis sie schäumte, spielte mit dem Kompaß,
zog mit den großen Blecheimern Wasser aus den Behältern herauf, und lauschte
dem Steuermann, der auf einer achteckige" Handharmonika spielte.


Grenzboten III. 1888. 30
Ricks Lyhne.

Liebe eine süße Würde sei, nicht so eine verzehrende Unruhe voller Furcht, De¬
mütigung und Zweifel. Unzählige male, wenn sie zu sehen meinte, daß sich
das Geständnis von Eriks Lippen losringen wollte, konnte sie ein Gefühl über¬
kommen, als sei es ihre Pflicht, ihre Hand auf seinen Mund zu legen, ihn
am Sprechen zu verhindern, sich selber ihm gegenüber anzuklagen, ihm zu sagen,
daß sie ihn betrüge, ihm zu sagen, wie unwürdig sie seiner Liebe sei, wie irdisch
klein, wie kindisch sie sei, so gar nicht edel, nein, so elend und gering, so alltäglich
häßlich. Sie fühlte sich so falsch unter seinem bewundernden Blick, so berechnend,
wenn sie ihm nicht aus dem Wege ging, so verbrecherisch, wenn sie es nicht übers
Herz bringen konnte, Gott in ihrem Abendgebet zu bitten, daß Erik seinen Sinn
von ihr wende, auf daß eitel Licht über seinem Schicksal ruhen möge und Hoheit
und Herrlichkeit; denn sie hätte ihn ja hinabgezogen durch ihre erdgeborne Liebe.

Es geschah fast mit Widerstreben, daß Erik sie liebte. Sein Ideal
war immer vornehm gewesen, groß und stolz, mit leiser Schwermut auf den
bleichen Zügen und tempelkühler Luft in den strengen Falten des Gewandes.
Aber Fennimores Liebreiz hatte es ihm angethan. Er konnte ihrer Schönheit
nicht widerstehen. Es lag so eine frische, unbewußte Sinnlichkeit über ihrer
ganzen Erscheinung, wenn sie ging, erzählte ihr Gang flüsternd von ihrem Körper,
es lag eine Blöße über ihren Bewegungen, eine träumerische Beredsamkeit
über ihrer Ruhe, wogegen sie nichts machen konnte, wie es auch nicht in ihrer
Macht gestanden hätte, es zu verbergen oder zum Schweigen zu bringen, wenn
sie die leiseste Ahnung davon gehabt hätte. Niemand sah das besser als Erik,
und er wußte nur zu gut, einen wie großen Anteil ihre leibliche Schönheit an
seiner Neigung hatte; darum kämpfte er dagegen an, denn es lebte ein hohes
schwärmerisches Bild von der Liebe in seiner Seele, ein Bild, das nicht Poesie und
Überlieferung allein geschaffen hatten, sondern das seinen Ursprung einer tiefem
Naturanlage verdankte, als die war, welche für gewöhnlich in seinem Wesen zum
Ausdruck kam. Woher dies Bild auch stammen mochte, es mußte das Feld räumen.

Noch hatte er Fenuimore seine Liebe nicht gestanden, da geschah es aber,
daß der Schooner Vereudt Claudy ankam und sich draußen auf der Reede vor
Anker legte. Er sollte weiter hinauf an der Küste gelöscht werden, darum kam
er nicht in den Hafen, und da der Konsul sehr stolz auf dies Schiff war und
es seinen Gästen gern zeigen wollte, so ruderte man einmal gegen Abend hinaus,
um am Bord den Thee einzunehmen.

Das Wetter war herrlich, vollkommen windstill, und alle waren in der
heitersten Laune. Die Zeit verstrich auch aufs angenehmste. Man trank eng¬
lischen Porter, knabberte an englischen Biskuits, die so groß waren wie Monde,
und aß geröstete Makrelen, die auf der Fahrt durch die Nordsee gefangen waren.
Man pumpte mit der Schiffspumpe, bis sie schäumte, spielte mit dem Kompaß,
zog mit den großen Blecheimern Wasser aus den Behältern herauf, und lauschte
dem Steuermann, der auf einer achteckige« Handharmonika spielte.


Grenzboten III. 1888. 30
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[0241] Ricks Lyhne. Liebe eine süße Würde sei, nicht so eine verzehrende Unruhe voller Furcht, De¬ mütigung und Zweifel. Unzählige male, wenn sie zu sehen meinte, daß sich das Geständnis von Eriks Lippen losringen wollte, konnte sie ein Gefühl über¬ kommen, als sei es ihre Pflicht, ihre Hand auf seinen Mund zu legen, ihn am Sprechen zu verhindern, sich selber ihm gegenüber anzuklagen, ihm zu sagen, daß sie ihn betrüge, ihm zu sagen, wie unwürdig sie seiner Liebe sei, wie irdisch klein, wie kindisch sie sei, so gar nicht edel, nein, so elend und gering, so alltäglich häßlich. Sie fühlte sich so falsch unter seinem bewundernden Blick, so berechnend, wenn sie ihm nicht aus dem Wege ging, so verbrecherisch, wenn sie es nicht übers Herz bringen konnte, Gott in ihrem Abendgebet zu bitten, daß Erik seinen Sinn von ihr wende, auf daß eitel Licht über seinem Schicksal ruhen möge und Hoheit und Herrlichkeit; denn sie hätte ihn ja hinabgezogen durch ihre erdgeborne Liebe. Es geschah fast mit Widerstreben, daß Erik sie liebte. Sein Ideal war immer vornehm gewesen, groß und stolz, mit leiser Schwermut auf den bleichen Zügen und tempelkühler Luft in den strengen Falten des Gewandes. Aber Fennimores Liebreiz hatte es ihm angethan. Er konnte ihrer Schönheit nicht widerstehen. Es lag so eine frische, unbewußte Sinnlichkeit über ihrer ganzen Erscheinung, wenn sie ging, erzählte ihr Gang flüsternd von ihrem Körper, es lag eine Blöße über ihren Bewegungen, eine träumerische Beredsamkeit über ihrer Ruhe, wogegen sie nichts machen konnte, wie es auch nicht in ihrer Macht gestanden hätte, es zu verbergen oder zum Schweigen zu bringen, wenn sie die leiseste Ahnung davon gehabt hätte. Niemand sah das besser als Erik, und er wußte nur zu gut, einen wie großen Anteil ihre leibliche Schönheit an seiner Neigung hatte; darum kämpfte er dagegen an, denn es lebte ein hohes schwärmerisches Bild von der Liebe in seiner Seele, ein Bild, das nicht Poesie und Überlieferung allein geschaffen hatten, sondern das seinen Ursprung einer tiefem Naturanlage verdankte, als die war, welche für gewöhnlich in seinem Wesen zum Ausdruck kam. Woher dies Bild auch stammen mochte, es mußte das Feld räumen. Noch hatte er Fenuimore seine Liebe nicht gestanden, da geschah es aber, daß der Schooner Vereudt Claudy ankam und sich draußen auf der Reede vor Anker legte. Er sollte weiter hinauf an der Küste gelöscht werden, darum kam er nicht in den Hafen, und da der Konsul sehr stolz auf dies Schiff war und es seinen Gästen gern zeigen wollte, so ruderte man einmal gegen Abend hinaus, um am Bord den Thee einzunehmen. Das Wetter war herrlich, vollkommen windstill, und alle waren in der heitersten Laune. Die Zeit verstrich auch aufs angenehmste. Man trank eng¬ lischen Porter, knabberte an englischen Biskuits, die so groß waren wie Monde, und aß geröstete Makrelen, die auf der Fahrt durch die Nordsee gefangen waren. Man pumpte mit der Schiffspumpe, bis sie schäumte, spielte mit dem Kompaß, zog mit den großen Blecheimern Wasser aus den Behältern herauf, und lauschte dem Steuermann, der auf einer achteckige« Handharmonika spielte. Grenzboten III. 1888. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/241>, abgerufen am 01.07.2024.