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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

Immerhin wäre eine solche halbe Offensive ein Übelstand, und so haben wir
dem Reichskanzler und der deutschen Heeresleitung zu danken, daß der erstere durch
Gewinnung starker Bundesgenossen, die letztere durch Reform des Wehrgesetzes
uns die Möglichkeit geschaffen haben, den auf die Dauer doch vielleicht nicht
vermeidbaren Krieg nach beiden Richtungen hin in positiver Form zu führen.

Einen Vergleich der Seestreitkräfte, welche der Bund aufstellen kann, mit
denen der Gegner haben wir in Betreff des Mittelmeeres bereits angestellt, und
es hat sich gezeigt, daß die italienische Kriegsflotte im Verein mit der öster¬
reichischen Frankreich nicht zu fürchten hat, da dessen Besitzungen in Afrika und
Ostasien Deckung durch Geschwader erheischen. Die deutsche Flotte würde es
wahrscheinlich mit einer aus französischen, russischen und dänischen Schiffen zu¬
sammengesetzten zu thun haben und gegen diese auf hoher See wenig ausrichten,
sicher aber Landungsversuche an der Ostseeküste (an der Küste der Nordsee sind
solche durch die Watten ausgeschlossen) verhindern können. Hiermit erklärt
sichs, wenn beide Parteien den Beistand Englands wünschen, der jedoch für jetzt
noch sehr unsicher ist. Allerdings scheint das Ministerium Salisbury den Italienern
für gewisse Fälle Hilfe gegen Frankreich zugesagt zu haben, doch wird ein festes
Bündnis in Abrede gestellt. Anderseits ist erinnerlich, daß Gladstone mit Nu߬
land liebäugelte, und die Reise Lord Churchills nach Petersburg sah auch be¬
denklich aus. Letzterer bedürfte eines reichlichen Maßes von Dreistigkeit, um
sich dort feiern zu lassen, nachdem er zwei Jahre vorher den Moskowitern im
Parlament mit den stärksten Ausdrücken Hohn gesprochen hatte. Noch mehr
Dreistigkeit aber bedürften Franzosen und Russen, als sie versicherten, die
Engländer hätten von ihnen in Ostasien nichts zu befürchten, wenn sie sich mit
ihnen gegen den Friedensbund verbünden wollten, und Salisbury weiß das und
hat infolge dessen gegenüber den drei Mächten des letzteren wenigstens eine
freundschaftliche Stellung eingenommen. Die öffentliche Meinung in England
erlaubt ihm nicht weiterzugehen, sie gestattet aber auch den genannten beiden
Exministern nicht, wenn sie wieder ans Ruder kommen sollten, Partei für die
Gegner des Bundes zu ergreifen. Übrigens ist alles das mehr Nebensache.
England könnte uns nur nützen, wenn es uns durch Entsendung einer Hilfs¬
flotte in deutsche Gewässer und ins Mittelmeer in den Stand setzte, Truppen¬
teile, die zur Bewachung der deutschen, österreichischen und italienischen Küsten
zurückbehalten werden müssen, zum Kampfe gegen die Feinde in Polen und
jenseits der Vogesen zu verwenden. Die Entscheidung wird nicht durch Siege
oder Niederlagen zur See, sondern durch Landschlachten herbeigeführt werden,
und hierbei können wir mit guten Hoffnungen die Dinge an uns herankommen
lassen.

Trotz alledem wird natürlich der Krieg von den Staatsmännern des Drei¬
bundes so lange als irgend möglich vermieden werden; denn auch der entschiedenste
Sieg über beide Gegner könnte nicht Vorteile im Gefolge haben, welche die


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

Immerhin wäre eine solche halbe Offensive ein Übelstand, und so haben wir
dem Reichskanzler und der deutschen Heeresleitung zu danken, daß der erstere durch
Gewinnung starker Bundesgenossen, die letztere durch Reform des Wehrgesetzes
uns die Möglichkeit geschaffen haben, den auf die Dauer doch vielleicht nicht
vermeidbaren Krieg nach beiden Richtungen hin in positiver Form zu führen.

Einen Vergleich der Seestreitkräfte, welche der Bund aufstellen kann, mit
denen der Gegner haben wir in Betreff des Mittelmeeres bereits angestellt, und
es hat sich gezeigt, daß die italienische Kriegsflotte im Verein mit der öster¬
reichischen Frankreich nicht zu fürchten hat, da dessen Besitzungen in Afrika und
Ostasien Deckung durch Geschwader erheischen. Die deutsche Flotte würde es
wahrscheinlich mit einer aus französischen, russischen und dänischen Schiffen zu¬
sammengesetzten zu thun haben und gegen diese auf hoher See wenig ausrichten,
sicher aber Landungsversuche an der Ostseeküste (an der Küste der Nordsee sind
solche durch die Watten ausgeschlossen) verhindern können. Hiermit erklärt
sichs, wenn beide Parteien den Beistand Englands wünschen, der jedoch für jetzt
noch sehr unsicher ist. Allerdings scheint das Ministerium Salisbury den Italienern
für gewisse Fälle Hilfe gegen Frankreich zugesagt zu haben, doch wird ein festes
Bündnis in Abrede gestellt. Anderseits ist erinnerlich, daß Gladstone mit Nu߬
land liebäugelte, und die Reise Lord Churchills nach Petersburg sah auch be¬
denklich aus. Letzterer bedürfte eines reichlichen Maßes von Dreistigkeit, um
sich dort feiern zu lassen, nachdem er zwei Jahre vorher den Moskowitern im
Parlament mit den stärksten Ausdrücken Hohn gesprochen hatte. Noch mehr
Dreistigkeit aber bedürften Franzosen und Russen, als sie versicherten, die
Engländer hätten von ihnen in Ostasien nichts zu befürchten, wenn sie sich mit
ihnen gegen den Friedensbund verbünden wollten, und Salisbury weiß das und
hat infolge dessen gegenüber den drei Mächten des letzteren wenigstens eine
freundschaftliche Stellung eingenommen. Die öffentliche Meinung in England
erlaubt ihm nicht weiterzugehen, sie gestattet aber auch den genannten beiden
Exministern nicht, wenn sie wieder ans Ruder kommen sollten, Partei für die
Gegner des Bundes zu ergreifen. Übrigens ist alles das mehr Nebensache.
England könnte uns nur nützen, wenn es uns durch Entsendung einer Hilfs¬
flotte in deutsche Gewässer und ins Mittelmeer in den Stand setzte, Truppen¬
teile, die zur Bewachung der deutschen, österreichischen und italienischen Küsten
zurückbehalten werden müssen, zum Kampfe gegen die Feinde in Polen und
jenseits der Vogesen zu verwenden. Die Entscheidung wird nicht durch Siege
oder Niederlagen zur See, sondern durch Landschlachten herbeigeführt werden,
und hierbei können wir mit guten Hoffnungen die Dinge an uns herankommen
lassen.

Trotz alledem wird natürlich der Krieg von den Staatsmännern des Drei¬
bundes so lange als irgend möglich vermieden werden; denn auch der entschiedenste
Sieg über beide Gegner könnte nicht Vorteile im Gefolge haben, welche die


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[0236] Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner. Immerhin wäre eine solche halbe Offensive ein Übelstand, und so haben wir dem Reichskanzler und der deutschen Heeresleitung zu danken, daß der erstere durch Gewinnung starker Bundesgenossen, die letztere durch Reform des Wehrgesetzes uns die Möglichkeit geschaffen haben, den auf die Dauer doch vielleicht nicht vermeidbaren Krieg nach beiden Richtungen hin in positiver Form zu führen. Einen Vergleich der Seestreitkräfte, welche der Bund aufstellen kann, mit denen der Gegner haben wir in Betreff des Mittelmeeres bereits angestellt, und es hat sich gezeigt, daß die italienische Kriegsflotte im Verein mit der öster¬ reichischen Frankreich nicht zu fürchten hat, da dessen Besitzungen in Afrika und Ostasien Deckung durch Geschwader erheischen. Die deutsche Flotte würde es wahrscheinlich mit einer aus französischen, russischen und dänischen Schiffen zu¬ sammengesetzten zu thun haben und gegen diese auf hoher See wenig ausrichten, sicher aber Landungsversuche an der Ostseeküste (an der Küste der Nordsee sind solche durch die Watten ausgeschlossen) verhindern können. Hiermit erklärt sichs, wenn beide Parteien den Beistand Englands wünschen, der jedoch für jetzt noch sehr unsicher ist. Allerdings scheint das Ministerium Salisbury den Italienern für gewisse Fälle Hilfe gegen Frankreich zugesagt zu haben, doch wird ein festes Bündnis in Abrede gestellt. Anderseits ist erinnerlich, daß Gladstone mit Nu߬ land liebäugelte, und die Reise Lord Churchills nach Petersburg sah auch be¬ denklich aus. Letzterer bedürfte eines reichlichen Maßes von Dreistigkeit, um sich dort feiern zu lassen, nachdem er zwei Jahre vorher den Moskowitern im Parlament mit den stärksten Ausdrücken Hohn gesprochen hatte. Noch mehr Dreistigkeit aber bedürften Franzosen und Russen, als sie versicherten, die Engländer hätten von ihnen in Ostasien nichts zu befürchten, wenn sie sich mit ihnen gegen den Friedensbund verbünden wollten, und Salisbury weiß das und hat infolge dessen gegenüber den drei Mächten des letzteren wenigstens eine freundschaftliche Stellung eingenommen. Die öffentliche Meinung in England erlaubt ihm nicht weiterzugehen, sie gestattet aber auch den genannten beiden Exministern nicht, wenn sie wieder ans Ruder kommen sollten, Partei für die Gegner des Bundes zu ergreifen. Übrigens ist alles das mehr Nebensache. England könnte uns nur nützen, wenn es uns durch Entsendung einer Hilfs¬ flotte in deutsche Gewässer und ins Mittelmeer in den Stand setzte, Truppen¬ teile, die zur Bewachung der deutschen, österreichischen und italienischen Küsten zurückbehalten werden müssen, zum Kampfe gegen die Feinde in Polen und jenseits der Vogesen zu verwenden. Die Entscheidung wird nicht durch Siege oder Niederlagen zur See, sondern durch Landschlachten herbeigeführt werden, und hierbei können wir mit guten Hoffnungen die Dinge an uns herankommen lassen. Trotz alledem wird natürlich der Krieg von den Staatsmännern des Drei¬ bundes so lange als irgend möglich vermieden werden; denn auch der entschiedenste Sieg über beide Gegner könnte nicht Vorteile im Gefolge haben, welche die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/236>, abgerufen am 24.08.2024.