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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

gegen. Das Land ist verhältnismäßig diinn bevölkert, es fehlt an Eisenbahnen,
an guten Straßen, an größern Orten, an Mitteln zur Unterbringung und Ver¬
pflegung der Truppen. Der Oberbefehlshaber des einrückenden Heeres wäre
genötigt, sich nach jedem Erfolge, der den Gegner zum Aufgeben einer Stellung
zwänge, für das weitere Vorrücken mühsam und mit Zeitverlust eine neue
Grundlage zu schaffen, um nicht wie Napoleon, nachdem er mit seiner Armee
über das Weichselland hinausgekommen war, in der Luft zu schweben und
schließlich aus Mangel an Nachschub von Mannschaften, Kriegsmaterial und
Proviant zu Grunde zu gehen. Im Westen liegen die Dinge wesentlich anders.
Die Mobilmachung der französischen Wehrkräfte vollzieht. sich allerdings noch
nicht so schnell wie die der deutschen, aber immerhin in weit kürzerer Frist
als die der russischen. Soll nun die anfängliche Überlegenheit des Bundes in
dieser Gegend gehörig ausgenutzt werden, so müssen die ersten entscheidenden
Schläge ohne langen Verzug fallen, der Angriff muß also unserseits so schleunig
als nur möglich geschehen, was sich schon darum empfiehlt, weil solche Siege
moralische Wirkung auf den Gegner ausüben und gegenüber der ersten beiden
französischen Linien von Festungen und Sperrforts eine Überraschung darin
liegt. Das Hinterland Frankreichs hat nicht die ungeheure Tiefe des russischen
im Osten des politischen Grenzgebietes, namentlich dann nicht, wenn der geniale
Gedanke Moltkes eines Abdrängens nach Norden in dem neuen Kriege wieder
den Gang der deutschen Operation bestimmte, was bei der Stärke des im Süd¬
westen vorrückenden italienischen Heeres und bei der geographischen Gestaltung
des Kriegsschauplatzes sehr möglich wäre. Die anfängliche Überzahl ihrer
Truppen benutzend, kann die deutsch-italienische Heeresleitung in verhältnismäßig
kurzer Zeit den französischen Armeen einige entscheidende Niederlagen beibringen
und dann mit Umgehung der einen und der andern Festung weiter im Innern
des Landes zu einem Hauptschlage ausholen. Bei dieser Lage der Dinge würde
also die militärische Oberleitung des Bundes, falls sie nach einer von beiden
Richtungen hin verteidigungsweise zu Verfahren hätte, nicht die westliche, sondern
die östliche hierzu ersehen. Indes empfiehlt sich die reine Defensive gegen Rußland
nicht. Das österreichisch-ungarische Heer und die mit ihm hier zusammen¬
wirkenden Teile des deutschen müßten vielmehr ihre größere Kriegsbereitschaft, ihre
Befähigung zu schleunigerem Ausmarsche und die sich aus beiden Vorzügen er¬
gebende anfängliche Überlegenheit hinsichtlich der Zahl ebenfalls benutzen, um
den Versuch zu machen, dem in Polen stehenden russischen Heere eine oder einige
kräftige Schlappen beizubringen, die als letzte Folge zweckmäßig eingerichteter
konzentrischer Operationen dem Festungsdreiecke an der Weichsel seine Haupt¬
bedeutung benähmen. Dann könnte, wenn es nötig erschiene, das vorrückende
Heer hinter dem Dujepr oder einem andern großen Strome so lange in die
Defensive treten, bis die französische Kriegsmacht vollständig niedergeworfen
wäre und nun bedeutendere Verstärkungen nach Osten gesendet werden könnten.


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

gegen. Das Land ist verhältnismäßig diinn bevölkert, es fehlt an Eisenbahnen,
an guten Straßen, an größern Orten, an Mitteln zur Unterbringung und Ver¬
pflegung der Truppen. Der Oberbefehlshaber des einrückenden Heeres wäre
genötigt, sich nach jedem Erfolge, der den Gegner zum Aufgeben einer Stellung
zwänge, für das weitere Vorrücken mühsam und mit Zeitverlust eine neue
Grundlage zu schaffen, um nicht wie Napoleon, nachdem er mit seiner Armee
über das Weichselland hinausgekommen war, in der Luft zu schweben und
schließlich aus Mangel an Nachschub von Mannschaften, Kriegsmaterial und
Proviant zu Grunde zu gehen. Im Westen liegen die Dinge wesentlich anders.
Die Mobilmachung der französischen Wehrkräfte vollzieht. sich allerdings noch
nicht so schnell wie die der deutschen, aber immerhin in weit kürzerer Frist
als die der russischen. Soll nun die anfängliche Überlegenheit des Bundes in
dieser Gegend gehörig ausgenutzt werden, so müssen die ersten entscheidenden
Schläge ohne langen Verzug fallen, der Angriff muß also unserseits so schleunig
als nur möglich geschehen, was sich schon darum empfiehlt, weil solche Siege
moralische Wirkung auf den Gegner ausüben und gegenüber der ersten beiden
französischen Linien von Festungen und Sperrforts eine Überraschung darin
liegt. Das Hinterland Frankreichs hat nicht die ungeheure Tiefe des russischen
im Osten des politischen Grenzgebietes, namentlich dann nicht, wenn der geniale
Gedanke Moltkes eines Abdrängens nach Norden in dem neuen Kriege wieder
den Gang der deutschen Operation bestimmte, was bei der Stärke des im Süd¬
westen vorrückenden italienischen Heeres und bei der geographischen Gestaltung
des Kriegsschauplatzes sehr möglich wäre. Die anfängliche Überzahl ihrer
Truppen benutzend, kann die deutsch-italienische Heeresleitung in verhältnismäßig
kurzer Zeit den französischen Armeen einige entscheidende Niederlagen beibringen
und dann mit Umgehung der einen und der andern Festung weiter im Innern
des Landes zu einem Hauptschlage ausholen. Bei dieser Lage der Dinge würde
also die militärische Oberleitung des Bundes, falls sie nach einer von beiden
Richtungen hin verteidigungsweise zu Verfahren hätte, nicht die westliche, sondern
die östliche hierzu ersehen. Indes empfiehlt sich die reine Defensive gegen Rußland
nicht. Das österreichisch-ungarische Heer und die mit ihm hier zusammen¬
wirkenden Teile des deutschen müßten vielmehr ihre größere Kriegsbereitschaft, ihre
Befähigung zu schleunigerem Ausmarsche und die sich aus beiden Vorzügen er¬
gebende anfängliche Überlegenheit hinsichtlich der Zahl ebenfalls benutzen, um
den Versuch zu machen, dem in Polen stehenden russischen Heere eine oder einige
kräftige Schlappen beizubringen, die als letzte Folge zweckmäßig eingerichteter
konzentrischer Operationen dem Festungsdreiecke an der Weichsel seine Haupt¬
bedeutung benähmen. Dann könnte, wenn es nötig erschiene, das vorrückende
Heer hinter dem Dujepr oder einem andern großen Strome so lange in die
Defensive treten, bis die französische Kriegsmacht vollständig niedergeworfen
wäre und nun bedeutendere Verstärkungen nach Osten gesendet werden könnten.


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[0235] Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner. gegen. Das Land ist verhältnismäßig diinn bevölkert, es fehlt an Eisenbahnen, an guten Straßen, an größern Orten, an Mitteln zur Unterbringung und Ver¬ pflegung der Truppen. Der Oberbefehlshaber des einrückenden Heeres wäre genötigt, sich nach jedem Erfolge, der den Gegner zum Aufgeben einer Stellung zwänge, für das weitere Vorrücken mühsam und mit Zeitverlust eine neue Grundlage zu schaffen, um nicht wie Napoleon, nachdem er mit seiner Armee über das Weichselland hinausgekommen war, in der Luft zu schweben und schließlich aus Mangel an Nachschub von Mannschaften, Kriegsmaterial und Proviant zu Grunde zu gehen. Im Westen liegen die Dinge wesentlich anders. Die Mobilmachung der französischen Wehrkräfte vollzieht. sich allerdings noch nicht so schnell wie die der deutschen, aber immerhin in weit kürzerer Frist als die der russischen. Soll nun die anfängliche Überlegenheit des Bundes in dieser Gegend gehörig ausgenutzt werden, so müssen die ersten entscheidenden Schläge ohne langen Verzug fallen, der Angriff muß also unserseits so schleunig als nur möglich geschehen, was sich schon darum empfiehlt, weil solche Siege moralische Wirkung auf den Gegner ausüben und gegenüber der ersten beiden französischen Linien von Festungen und Sperrforts eine Überraschung darin liegt. Das Hinterland Frankreichs hat nicht die ungeheure Tiefe des russischen im Osten des politischen Grenzgebietes, namentlich dann nicht, wenn der geniale Gedanke Moltkes eines Abdrängens nach Norden in dem neuen Kriege wieder den Gang der deutschen Operation bestimmte, was bei der Stärke des im Süd¬ westen vorrückenden italienischen Heeres und bei der geographischen Gestaltung des Kriegsschauplatzes sehr möglich wäre. Die anfängliche Überzahl ihrer Truppen benutzend, kann die deutsch-italienische Heeresleitung in verhältnismäßig kurzer Zeit den französischen Armeen einige entscheidende Niederlagen beibringen und dann mit Umgehung der einen und der andern Festung weiter im Innern des Landes zu einem Hauptschlage ausholen. Bei dieser Lage der Dinge würde also die militärische Oberleitung des Bundes, falls sie nach einer von beiden Richtungen hin verteidigungsweise zu Verfahren hätte, nicht die westliche, sondern die östliche hierzu ersehen. Indes empfiehlt sich die reine Defensive gegen Rußland nicht. Das österreichisch-ungarische Heer und die mit ihm hier zusammen¬ wirkenden Teile des deutschen müßten vielmehr ihre größere Kriegsbereitschaft, ihre Befähigung zu schleunigerem Ausmarsche und die sich aus beiden Vorzügen er¬ gebende anfängliche Überlegenheit hinsichtlich der Zahl ebenfalls benutzen, um den Versuch zu machen, dem in Polen stehenden russischen Heere eine oder einige kräftige Schlappen beizubringen, die als letzte Folge zweckmäßig eingerichteter konzentrischer Operationen dem Festungsdreiecke an der Weichsel seine Haupt¬ bedeutung benähmen. Dann könnte, wenn es nötig erschiene, das vorrückende Heer hinter dem Dujepr oder einem andern großen Strome so lange in die Defensive treten, bis die französische Kriegsmacht vollständig niedergeworfen wäre und nun bedeutendere Verstärkungen nach Osten gesendet werden könnten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/235>, abgerufen am 24.08.2024.