Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner. des Zarenreiches, darauf verzichten müssen, angriffsweise vorzugehen. Das Wenden wir uns dem andern Kriegsschauplatze zu und richten wir die Es wäre also nach keiner der beiden Seiten hin durch die Umstände ge¬ Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner. des Zarenreiches, darauf verzichten müssen, angriffsweise vorzugehen. Das Wenden wir uns dem andern Kriegsschauplatze zu und richten wir die Es wäre also nach keiner der beiden Seiten hin durch die Umstände ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289357"/> <fw type="header" place="top"> Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.</fw><lb/> <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782"> des Zarenreiches, darauf verzichten müssen, angriffsweise vorzugehen. Das<lb/> würde ja heißen, er müsse warten, bis die vorläufig verfügbaren russischen<lb/> Streitkräfte ruhig und ungestört ihren Aufmarsch vollendet, und wohl auch<lb/> noch, bis sie sich durch Nachschub aus den weiter östlich liegenden Gouvernements<lb/> verstärkt hätten.</p><lb/> <p xml:id="ID_784"> Wenden wir uns dem andern Kriegsschauplatze zu und richten wir die<lb/> Blicke dabei zuerst nach Südwesten. Italien vermag, wie bereits erwähnt<lb/> wurde, binnen vierzehn Tagen nach Eröffnung eines Feldzuges ungefähr mit<lb/> 420 000 Mann (28 Infanterie-, 3 Kavalleriedivisionen des Linienheeres und<lb/> den Alpentruppen) nach der französischen Grenze vorzurücken und dort den Auf¬<lb/> marsch zu vollziehen. Das deutsche Reich verfügt im ganzen über achtzehn<lb/> bis neunzehn Jahrgänge gleichmäßig ausgebildeter Soldaten, und es steht ihm<lb/> für diese eine genügende Menge von Offizieren und Unteroffizieren, die im<lb/> Felde verwendbar sind, zu Gebote. Frankreich dagegen kann an seiner Ost-<lb/> grenze, wenn wir die zu Besatzungszwecken erforderlichen Truppen abrechnen<lb/> und den Umstand berücksichtigen, daß bei der von ihm geplanten Ausdehnung<lb/> der Wehrpflicht bis zum fünfundvierzigsten Lebensjahre ohne Zweifel für eine<lb/> bedeutende Anzahl von Einheiten das führende Personal mangeln wird, zu<lb/> Anfang des Krieges schwerlich eine stärkere Operationsarmee aufstellen als etwa<lb/> 60 Divisionen Infanterie und 7 bis 3 Divisionen Reiterei. Dadurch ist aber<lb/> der Schluß gerechtfertigt, daß wir in Verbindung mit Italien auch auf dem<lb/> westlichen Kriegsschauplatze bei Beginn des Kampfes uns eine Überlegenheit<lb/> der Zahl nach schaffen können, die genügend erscheint, um auch hier der an¬<lb/> greifende Teil zu sein. Es geht, wie der Juli des Jahres 1870 zeigt, sehr<lb/> wohl an, daß man politisch defensiv und zu gleicher Zeit strategisch offensiv<lb/> verfährt.</p><lb/> <p xml:id="ID_785" next="#ID_786"> Es wäre also nach keiner der beiden Seiten hin durch die Umstände ge¬<lb/> boten und zweckdienlich, sich auf die Verteidigung zu beschränken. Aber setzen<lb/> wir auch den Fall, dies wäre in Zukunft nach der einen Richtung hin aus<lb/> irgend welchen Gründen zu empfehlen, so müssen wir doch entschieden in Abrede<lb/> stellen, daß die wiederholt genannte Broschüre die rechte Wahl trifft, wenn sie<lb/> meint, der Bund solle im Westen den Angriff abwarten, gegen Rußland aber<lb/> angriffsweise vorgehen. Gerade für das Umgekehrte sprechen bei näherer Prüfung<lb/> der Umstände gute Gründe, immer vorausgesetzt, daß überhaupt wo die Ver¬<lb/> teidigung dem Angriffe vorgezogen werden müßte, was, wie angedeutet, nur<lb/> durch Umstände veranlaßt werden könnte, die jetzt nicht vorauszusehen sind.<lb/> Ein Angriffskrieg gegen Rußland verspricht zwar Erfolg, wird aber jedenfalls<lb/> längere Dauer haben als ein solcher gegen Frankreich. Schon Polen mit seinen<lb/> schwer zu überschreitenden Flüssen, seinen dichten und sumpfigen Wäldern und<lb/> seinen starken Weichselfestungen bietet einem raschen Vordringen große Schwierig¬<lb/> keiten, und sind diese überwunden, so stellen sich dem Angreifenden neue ent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.
des Zarenreiches, darauf verzichten müssen, angriffsweise vorzugehen. Das
würde ja heißen, er müsse warten, bis die vorläufig verfügbaren russischen
Streitkräfte ruhig und ungestört ihren Aufmarsch vollendet, und wohl auch
noch, bis sie sich durch Nachschub aus den weiter östlich liegenden Gouvernements
verstärkt hätten.
Wenden wir uns dem andern Kriegsschauplatze zu und richten wir die
Blicke dabei zuerst nach Südwesten. Italien vermag, wie bereits erwähnt
wurde, binnen vierzehn Tagen nach Eröffnung eines Feldzuges ungefähr mit
420 000 Mann (28 Infanterie-, 3 Kavalleriedivisionen des Linienheeres und
den Alpentruppen) nach der französischen Grenze vorzurücken und dort den Auf¬
marsch zu vollziehen. Das deutsche Reich verfügt im ganzen über achtzehn
bis neunzehn Jahrgänge gleichmäßig ausgebildeter Soldaten, und es steht ihm
für diese eine genügende Menge von Offizieren und Unteroffizieren, die im
Felde verwendbar sind, zu Gebote. Frankreich dagegen kann an seiner Ost-
grenze, wenn wir die zu Besatzungszwecken erforderlichen Truppen abrechnen
und den Umstand berücksichtigen, daß bei der von ihm geplanten Ausdehnung
der Wehrpflicht bis zum fünfundvierzigsten Lebensjahre ohne Zweifel für eine
bedeutende Anzahl von Einheiten das führende Personal mangeln wird, zu
Anfang des Krieges schwerlich eine stärkere Operationsarmee aufstellen als etwa
60 Divisionen Infanterie und 7 bis 3 Divisionen Reiterei. Dadurch ist aber
der Schluß gerechtfertigt, daß wir in Verbindung mit Italien auch auf dem
westlichen Kriegsschauplatze bei Beginn des Kampfes uns eine Überlegenheit
der Zahl nach schaffen können, die genügend erscheint, um auch hier der an¬
greifende Teil zu sein. Es geht, wie der Juli des Jahres 1870 zeigt, sehr
wohl an, daß man politisch defensiv und zu gleicher Zeit strategisch offensiv
verfährt.
Es wäre also nach keiner der beiden Seiten hin durch die Umstände ge¬
boten und zweckdienlich, sich auf die Verteidigung zu beschränken. Aber setzen
wir auch den Fall, dies wäre in Zukunft nach der einen Richtung hin aus
irgend welchen Gründen zu empfehlen, so müssen wir doch entschieden in Abrede
stellen, daß die wiederholt genannte Broschüre die rechte Wahl trifft, wenn sie
meint, der Bund solle im Westen den Angriff abwarten, gegen Rußland aber
angriffsweise vorgehen. Gerade für das Umgekehrte sprechen bei näherer Prüfung
der Umstände gute Gründe, immer vorausgesetzt, daß überhaupt wo die Ver¬
teidigung dem Angriffe vorgezogen werden müßte, was, wie angedeutet, nur
durch Umstände veranlaßt werden könnte, die jetzt nicht vorauszusehen sind.
Ein Angriffskrieg gegen Rußland verspricht zwar Erfolg, wird aber jedenfalls
längere Dauer haben als ein solcher gegen Frankreich. Schon Polen mit seinen
schwer zu überschreitenden Flüssen, seinen dichten und sumpfigen Wäldern und
seinen starken Weichselfestungen bietet einem raschen Vordringen große Schwierig¬
keiten, und sind diese überwunden, so stellen sich dem Angreifenden neue ent-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |