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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

dies jetzt wieder, so ist nach der Heimkehr der Besiegten eine russische Revolution
zu befürchten. Aber siegte man auch, was bei einem Vergleiche der Eigen¬
schaften unsrer Kriegsmacht mit den angeführten Eigenschaften der russischen
nicht zu erwarten und umso weniger wahrscheinlich ist, als das Verpflegungs¬
wesen der letztern infolge von unausrottbarer Betrügerei der Lieferanten und
unverbesserlicher Bestechlichkeit der obern Befehlshaber in unerhörtem Grade im
Argen liegt, so würden die Offiziere aus dem Westen Ideen zurückbringen, die
der russische Absolutismus nicht verträgt. Die Gedanken, die man sich 1815
im Westen aneignete, führten zu den Ereignissen von 182S, und der Nihilismus
ist gleichfalls ein Kind des Westens, das im halbbarbarischen Osten besonders
wilde Mißgestalt annahm. Es kann nach alledem nur unverständiger Dünkel
und verblendete Begier nach Ruhm sein, wenn höhere Offiziere in Petersburg
und Moskau eifrig die Gelegenheit herbeisehnen, sich mit Deutschland und
Österreich-Ungarn auf dem Schlachtfelde zu messen, und es ist im Interesse
Rußlands nicht minder wie Deutschlands, daß ihre Sehnsucht ungestillt bleibt,
im Interesse Deutschlands freilich mehr deswegen, weil sein Sieg keine greif¬
baren Erfolge, welche die Opfer lohnten, haben, vielmehr nur Ruhm bringen
würde, dessen wir uus schon reichlich zu erfreuen haben, und der nur den Neid
und die Rachsucht, die uns ebenfalls schon mehr als zur Genüge umgeben,
verstärken würde.

Wir kommen nun zu Frankreich, als dem voraussichtlichen Verbündeten
Rußlands bei einem Angriffskriege gegen Deutschland. Über die Stärke der
französischen Armee zahlenmäßig nach allen Einzelheiten zu berichten, halten
wir, da dies schon oft mit aller Ausführlichkeit geschehen ist, für überflüssig.
Wir beschränken uns hier auf eine kurze Charakteristik der Verhältnisse. Wie
bekannt, ist man nach dem Kriege von 1870 und 1871 auch bei unsern west¬
lichen Nachbarn dem Beispiele Preußens gefolgt und hat die allgemeine per¬
sönliche Dienstpflicht eingeführt, soweit es möglich war, d. h. mit den Be¬
schränkungen, zu denen sich alle Staaten, welche dieses System annehmen,
genötigt sehen, weil die Geldmittel zu vollständiger Durchführung desselben,
also zur Einstellung aller Diensttauglichen in das Heer, sich schlechterdings nicht
auftreiben lassen. Nach langen und heftigen parlamentarischen Kämpfen zwischen
denen, welche für Beibehaltung der frühern Einrichtungen mit einigen Ver¬
besserungen waren, und denen, welche allgemeine Volksbewaffnung im Sinne
einer Miliz und möglichst kurzem Verbleiben bei der Fahne befürworteten, einigte
man sich endlich zu dem Beschlusse, die Dienstzeit im stehenden Heere ans fünf
und in der Reserve desselben auf vier Jahre festzusetzen; dann sollten die
Mannschaften für weitere fünf der Territorialarmee, die unsrer Landwehr ent¬
spricht, angehören und schließlich noch für sechs Jahre in der Reserve dieser
Armee innerhalb gewisser Schranken der Regierung zur Verfügung stehen.
Daneben wurde die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen eingeführt, sehr


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

dies jetzt wieder, so ist nach der Heimkehr der Besiegten eine russische Revolution
zu befürchten. Aber siegte man auch, was bei einem Vergleiche der Eigen¬
schaften unsrer Kriegsmacht mit den angeführten Eigenschaften der russischen
nicht zu erwarten und umso weniger wahrscheinlich ist, als das Verpflegungs¬
wesen der letztern infolge von unausrottbarer Betrügerei der Lieferanten und
unverbesserlicher Bestechlichkeit der obern Befehlshaber in unerhörtem Grade im
Argen liegt, so würden die Offiziere aus dem Westen Ideen zurückbringen, die
der russische Absolutismus nicht verträgt. Die Gedanken, die man sich 1815
im Westen aneignete, führten zu den Ereignissen von 182S, und der Nihilismus
ist gleichfalls ein Kind des Westens, das im halbbarbarischen Osten besonders
wilde Mißgestalt annahm. Es kann nach alledem nur unverständiger Dünkel
und verblendete Begier nach Ruhm sein, wenn höhere Offiziere in Petersburg
und Moskau eifrig die Gelegenheit herbeisehnen, sich mit Deutschland und
Österreich-Ungarn auf dem Schlachtfelde zu messen, und es ist im Interesse
Rußlands nicht minder wie Deutschlands, daß ihre Sehnsucht ungestillt bleibt,
im Interesse Deutschlands freilich mehr deswegen, weil sein Sieg keine greif¬
baren Erfolge, welche die Opfer lohnten, haben, vielmehr nur Ruhm bringen
würde, dessen wir uus schon reichlich zu erfreuen haben, und der nur den Neid
und die Rachsucht, die uns ebenfalls schon mehr als zur Genüge umgeben,
verstärken würde.

Wir kommen nun zu Frankreich, als dem voraussichtlichen Verbündeten
Rußlands bei einem Angriffskriege gegen Deutschland. Über die Stärke der
französischen Armee zahlenmäßig nach allen Einzelheiten zu berichten, halten
wir, da dies schon oft mit aller Ausführlichkeit geschehen ist, für überflüssig.
Wir beschränken uns hier auf eine kurze Charakteristik der Verhältnisse. Wie
bekannt, ist man nach dem Kriege von 1870 und 1871 auch bei unsern west¬
lichen Nachbarn dem Beispiele Preußens gefolgt und hat die allgemeine per¬
sönliche Dienstpflicht eingeführt, soweit es möglich war, d. h. mit den Be¬
schränkungen, zu denen sich alle Staaten, welche dieses System annehmen,
genötigt sehen, weil die Geldmittel zu vollständiger Durchführung desselben,
also zur Einstellung aller Diensttauglichen in das Heer, sich schlechterdings nicht
auftreiben lassen. Nach langen und heftigen parlamentarischen Kämpfen zwischen
denen, welche für Beibehaltung der frühern Einrichtungen mit einigen Ver¬
besserungen waren, und denen, welche allgemeine Volksbewaffnung im Sinne
einer Miliz und möglichst kurzem Verbleiben bei der Fahne befürworteten, einigte
man sich endlich zu dem Beschlusse, die Dienstzeit im stehenden Heere ans fünf
und in der Reserve desselben auf vier Jahre festzusetzen; dann sollten die
Mannschaften für weitere fünf der Territorialarmee, die unsrer Landwehr ent¬
spricht, angehören und schließlich noch für sechs Jahre in der Reserve dieser
Armee innerhalb gewisser Schranken der Regierung zur Verfügung stehen.
Daneben wurde die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen eingeführt, sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/157>, abgerufen am 22.07.2024.