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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Ariegsmacht des Friedcnsbundes und die seiner Gegner.

gegen die Lehre, nach welcher alle Bürger der Republik als unbedingt gleich
anzusehen und zu behandeln sind. Diese Formationen standen indes von An¬
fang an auf schwachen Füßen, da der Geist des Parlamentarismus wie über¬
haupt so auch auf militärischem Gebiete dauerndes nicht duldet und steten
Wechsel verursacht. Schon seit langer Zeit wird von den Radikalen eine Ab¬
änderung des Gesetzes über die Wehrpflicht erstrebt, nach welcher die Dienstzeit
im stehenden Heere auf drei Jahre herabgesetzt und die Einjährig-Freiwilligen
abgeschafft werden sollen, was in Frankreich für den Wert der Armee allerdings
nicht so viel wie bei uns zu bedeuten hätte, da die Anforderungen, die man
dort an die wissenschaftliche Bildung der sich zum einjährigen Dienste mel¬
denden stellt, weit geringer sind als in Deutschland. Visher wurden jedes Jahr
140000 Mann in die Armee eingestellt, von denen 100000 drei Jahre, die
übrigen, die sogenannte "zweite Portion," ein Jahr bei der Fahne dienen
sollten, in Wirklichkeit aber mir zehn Monate bei ihr blieben und somit nur
eine dürftige militärische Ausbildung erhielten, auch nicht genügend an dienst¬
lichen Gehorsam gewöhnt werden konnten und ebenso wenig ihre Schulbildung
zu ergänzen oder überhaupt etwas der Art sich zu erwerben imstande waren --
ein Umstand, der ins Gewicht fällt, wenn man bedenkt, daß noch 1836 nicht
weniger als 11,30 Prozent der sich zur Rekrutirung stellenden jungen Leute
aller Schulkenntnisse entbehrten. Seit 1871 hat der regierende Parlamen¬
tarismus dem Lande achtzehn Kriegsminister gegeben, und jeder derselben
hielt es für seine Pflicht, an der Heeresorganisatiou mehr oder minder zu
ändern. Der tüchtigste war der vorletzte, General Ferron, dessen Änderungen
wirkliche Verbesserungen waren. Er bildete die damals bestehenden 144 Regi¬
menter Infanterie, die je vier Bataillone hatten, in 162 Regimenter von je
drei Bataillonen um und gab den einzelnen Kompagnien dieser Waffengattung
eine für die taktische Einübung vorteilhaftere Friedensstärke. Er fügte ferner
den vorhandenen 70 europäischen Kavallerieregimentern (die afrikanische zählt
deren 8) noch 6 hinzu. Dagegen ließ er die Artillerie, die entsprechend den
19 Armeekorps 19 Brigaden mit 449 Batterien und 2694 bespannten Ge¬
schützen hat, bei ihrem bisherigen Bestände. Vor etwa zwei Jahren erschien
eine Schrift mit dem Titel: ^vaut 1^ dawillö, die viel Aufsehen erregte, da
man erfuhr, daß Barthelemy, ihr Verfasser, bei seiner Arbeit aus amtlichen
Quellen geschöpft hatte. Sie rechnete für das stehende Heer und dessen Reserve
mit Einschluß aller Mannschaften der verschiednen Hilfsdienste eine Stärke von
2051459 Mann heraus, wobei aber nicht gesagt war, daß ein erheblicher Teil
dieser Masse von Menschen in Uniform beinahe gar keine militärische Aus¬
bildung genossen hatte, also sehr wenig brauchbar sein mußte. Ja diese pa-
pierne Kriegsmacht schrumpfte in der Wirklichkeit auch der Zahl nach nicht un¬
beträchtlich zusammen. Andre französische Schriftsteller geben das Heer erster
Linie auf rund 1186000 Mann an, schießen aber auch damit noch über das


Die Ariegsmacht des Friedcnsbundes und die seiner Gegner.

gegen die Lehre, nach welcher alle Bürger der Republik als unbedingt gleich
anzusehen und zu behandeln sind. Diese Formationen standen indes von An¬
fang an auf schwachen Füßen, da der Geist des Parlamentarismus wie über¬
haupt so auch auf militärischem Gebiete dauerndes nicht duldet und steten
Wechsel verursacht. Schon seit langer Zeit wird von den Radikalen eine Ab¬
änderung des Gesetzes über die Wehrpflicht erstrebt, nach welcher die Dienstzeit
im stehenden Heere auf drei Jahre herabgesetzt und die Einjährig-Freiwilligen
abgeschafft werden sollen, was in Frankreich für den Wert der Armee allerdings
nicht so viel wie bei uns zu bedeuten hätte, da die Anforderungen, die man
dort an die wissenschaftliche Bildung der sich zum einjährigen Dienste mel¬
denden stellt, weit geringer sind als in Deutschland. Visher wurden jedes Jahr
140000 Mann in die Armee eingestellt, von denen 100000 drei Jahre, die
übrigen, die sogenannte „zweite Portion," ein Jahr bei der Fahne dienen
sollten, in Wirklichkeit aber mir zehn Monate bei ihr blieben und somit nur
eine dürftige militärische Ausbildung erhielten, auch nicht genügend an dienst¬
lichen Gehorsam gewöhnt werden konnten und ebenso wenig ihre Schulbildung
zu ergänzen oder überhaupt etwas der Art sich zu erwerben imstande waren —
ein Umstand, der ins Gewicht fällt, wenn man bedenkt, daß noch 1836 nicht
weniger als 11,30 Prozent der sich zur Rekrutirung stellenden jungen Leute
aller Schulkenntnisse entbehrten. Seit 1871 hat der regierende Parlamen¬
tarismus dem Lande achtzehn Kriegsminister gegeben, und jeder derselben
hielt es für seine Pflicht, an der Heeresorganisatiou mehr oder minder zu
ändern. Der tüchtigste war der vorletzte, General Ferron, dessen Änderungen
wirkliche Verbesserungen waren. Er bildete die damals bestehenden 144 Regi¬
menter Infanterie, die je vier Bataillone hatten, in 162 Regimenter von je
drei Bataillonen um und gab den einzelnen Kompagnien dieser Waffengattung
eine für die taktische Einübung vorteilhaftere Friedensstärke. Er fügte ferner
den vorhandenen 70 europäischen Kavallerieregimentern (die afrikanische zählt
deren 8) noch 6 hinzu. Dagegen ließ er die Artillerie, die entsprechend den
19 Armeekorps 19 Brigaden mit 449 Batterien und 2694 bespannten Ge¬
schützen hat, bei ihrem bisherigen Bestände. Vor etwa zwei Jahren erschien
eine Schrift mit dem Titel: ^vaut 1^ dawillö, die viel Aufsehen erregte, da
man erfuhr, daß Barthelemy, ihr Verfasser, bei seiner Arbeit aus amtlichen
Quellen geschöpft hatte. Sie rechnete für das stehende Heer und dessen Reserve
mit Einschluß aller Mannschaften der verschiednen Hilfsdienste eine Stärke von
2051459 Mann heraus, wobei aber nicht gesagt war, daß ein erheblicher Teil
dieser Masse von Menschen in Uniform beinahe gar keine militärische Aus¬
bildung genossen hatte, also sehr wenig brauchbar sein mußte. Ja diese pa-
pierne Kriegsmacht schrumpfte in der Wirklichkeit auch der Zahl nach nicht un¬
beträchtlich zusammen. Andre französische Schriftsteller geben das Heer erster
Linie auf rund 1186000 Mann an, schießen aber auch damit noch über das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/158>, abgerufen am 22.07.2024.