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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbimdes und die seiner Gegner.

rund 820 000 Gemeinen und Unteroffizieren mit etwa 17 000 Offizieren haben.
Die reguläre Kavallerie, nur Dragoner, die auch auf den Dienst zu Fuß ein¬
geübt sind, umfaßt 10 Garde- und 46 Linienregimenter, jedes zu 6 Schwadronen,
sodaß mit Hinzurechnung von einigen besondern Abteilungen im ganzen 334
Schwadronen vorhanden sind, die, auf Kriegsstärke gebracht, 45 000 Reiter
haben. An Feldartillerie weist die europäische Armee Rußlands 288 Batterien
auf, die in schwere, leichte, reitende und Gebirgsbatterien zerfallen, 2472 Ge¬
schütze führen und etwa 82 000 Mann zur Bedienung derselben haben. Mit
Einschluß der Genie- und andern Spezialtruppen und des Trains giebt das
eine Kriegsstärke von ungefähr einer Million Soldaten für die Feldarmee.
An Reservetruppen will man bei Ausbruch eines Krieges 545 Bataillone,
60 Schwadronen und 80 Batterien mit 640 Geschützen, im ganzen ungefähr
570 000 Mann aufstellen, während an eigentlichen Ersatztruppen noch etwa
80 000 Mann mit 26 000 Pferden und 212 Geschützen marschbereit gemacht
werden sollen. Da die vorhandnen Lokaltruppen, wenn man von den 50 Ba¬
taillonen der Festungsartillerie absieht, in der Hauptsache nur für deu Dienst
im Innern des Reiches bestimmt sind, so brauchen wir sie hier nur zu er¬
wähnen. Dagegen muß ein andres Glied des russischen Heercsorganismus, das
ursprünglich eine Art Miliz oder Landwehr lokalen Charakters war, die Kosaken,
etwas näher betrachtet werden, weil ein Teil desselben jetzt bereits für den
Frieden organisirt und den Dragonerdivisionen zugeteilt ist. Wir meinen damit
die Kosaken vom Don, die im Frieden 2 Garde- und 15 Linienregimenter mit
8 Batterien stellen, im Kriege aber um 31 Regimenter vermehrt werden sollen.
Sie haben mit ihrer Einreihung in die reguläre Armee, mit der eine Ab¬
streifung ihres frühern Charakters verbunden sein mußte, nur noch die Bedeutung
einer populären Reiterei. Übrigens ist der Nimbus der Kosaken, seit die Armee
umgestaltet worden ist, Hinterlader eingeführt, die gewöhnlichen Truppen mobiler
gemacht und Anstalten zur Errichtung eines Landsturms getroffen werden und
vielfach Eisenbahnen und Telegraphen vorhanden sind, gänzlich verschwunden,
und es wäre keine wesentliche Vergrößerung der von Nußland uns drohenden
Gefahr darin zu erblicken, wenn man die übrigen Kosaken, die ihr altes Wesen
bewahrt haben und von denen die Steppenlandschaften am Kaukasus und in
Mittelasien sowie Sibirien gegen 140 000 Mann liefern können, bei einem
Kriege mit Deutschland und Österreich-Ungarn verwenden könnte. Die Kultur
mit ihren Maschinen und anderm Handwerkszeuge der Kriegführung ist viel
elastischer und geschwinder als diese Naturmenschen, deren militärischer Wert eben
nur in ihrer Elastizität und Schnelligkeit bestand.

Wie die russische Regierung durch Einführung der allgemeinen persönlichen
Wehrpflicht ihre Armee in ein riesenhaftes Heer verwandelt hat, so ist sie auch
bemüht gewesen, die Tüchtigkeit derselben zu verbessern. Der russische Rekrut
bringt dazu viel mit, namentlich natürliche Tapferkeit, Ausdauer bei Strapazen


Die Kriegsmacht des Friedensbimdes und die seiner Gegner.

rund 820 000 Gemeinen und Unteroffizieren mit etwa 17 000 Offizieren haben.
Die reguläre Kavallerie, nur Dragoner, die auch auf den Dienst zu Fuß ein¬
geübt sind, umfaßt 10 Garde- und 46 Linienregimenter, jedes zu 6 Schwadronen,
sodaß mit Hinzurechnung von einigen besondern Abteilungen im ganzen 334
Schwadronen vorhanden sind, die, auf Kriegsstärke gebracht, 45 000 Reiter
haben. An Feldartillerie weist die europäische Armee Rußlands 288 Batterien
auf, die in schwere, leichte, reitende und Gebirgsbatterien zerfallen, 2472 Ge¬
schütze führen und etwa 82 000 Mann zur Bedienung derselben haben. Mit
Einschluß der Genie- und andern Spezialtruppen und des Trains giebt das
eine Kriegsstärke von ungefähr einer Million Soldaten für die Feldarmee.
An Reservetruppen will man bei Ausbruch eines Krieges 545 Bataillone,
60 Schwadronen und 80 Batterien mit 640 Geschützen, im ganzen ungefähr
570 000 Mann aufstellen, während an eigentlichen Ersatztruppen noch etwa
80 000 Mann mit 26 000 Pferden und 212 Geschützen marschbereit gemacht
werden sollen. Da die vorhandnen Lokaltruppen, wenn man von den 50 Ba¬
taillonen der Festungsartillerie absieht, in der Hauptsache nur für deu Dienst
im Innern des Reiches bestimmt sind, so brauchen wir sie hier nur zu er¬
wähnen. Dagegen muß ein andres Glied des russischen Heercsorganismus, das
ursprünglich eine Art Miliz oder Landwehr lokalen Charakters war, die Kosaken,
etwas näher betrachtet werden, weil ein Teil desselben jetzt bereits für den
Frieden organisirt und den Dragonerdivisionen zugeteilt ist. Wir meinen damit
die Kosaken vom Don, die im Frieden 2 Garde- und 15 Linienregimenter mit
8 Batterien stellen, im Kriege aber um 31 Regimenter vermehrt werden sollen.
Sie haben mit ihrer Einreihung in die reguläre Armee, mit der eine Ab¬
streifung ihres frühern Charakters verbunden sein mußte, nur noch die Bedeutung
einer populären Reiterei. Übrigens ist der Nimbus der Kosaken, seit die Armee
umgestaltet worden ist, Hinterlader eingeführt, die gewöhnlichen Truppen mobiler
gemacht und Anstalten zur Errichtung eines Landsturms getroffen werden und
vielfach Eisenbahnen und Telegraphen vorhanden sind, gänzlich verschwunden,
und es wäre keine wesentliche Vergrößerung der von Nußland uns drohenden
Gefahr darin zu erblicken, wenn man die übrigen Kosaken, die ihr altes Wesen
bewahrt haben und von denen die Steppenlandschaften am Kaukasus und in
Mittelasien sowie Sibirien gegen 140 000 Mann liefern können, bei einem
Kriege mit Deutschland und Österreich-Ungarn verwenden könnte. Die Kultur
mit ihren Maschinen und anderm Handwerkszeuge der Kriegführung ist viel
elastischer und geschwinder als diese Naturmenschen, deren militärischer Wert eben
nur in ihrer Elastizität und Schnelligkeit bestand.

Wie die russische Regierung durch Einführung der allgemeinen persönlichen
Wehrpflicht ihre Armee in ein riesenhaftes Heer verwandelt hat, so ist sie auch
bemüht gewesen, die Tüchtigkeit derselben zu verbessern. Der russische Rekrut
bringt dazu viel mit, namentlich natürliche Tapferkeit, Ausdauer bei Strapazen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/155>, abgerufen am 22.07.2024.