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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

wurden. Ich weiß z. B. noch, und gewiß viele, wie Schillers Wort von der
"kaiserlosen, der schrecklichen Zeit" in der Ballade vom Grafen von Habsburg
(v. I. 1803), die man ja ganz früh kennen lernt, mir als Knaben wie einen
Stoß gab, der eine Lücke im tiefsten Gefühl eröffnete, die Ausfüllung verlangte.
Und was Rückerts volksmäßig gehaltenes Lied vom alten Barbarossa, dem
Kaiser Friederich im KyfMuser (vom Jahre 1814) im stillen Seelengrunde von
tausend und abertausend Kindern für Wirkung gethan und vorbereitet hat, das ist
nicht zu ermessen: ein romantischer Traum, ja! aber ein prophetischer, einer
von denen, die doch dann für die Tagesarbeit auch Kraft und Saft in Sinn
und Glieder geben.

Diese Arbeit, die nach den Freiheitskriegen der Nation aufgegeben war,
erschien oder war schwerer als je eine, hoffnungslos den widerstrebenden Mächten
und Verhältnissen gegenüber. Aber die Kräfte der Nation sammelten sich auch
unter dem Druck stetiger und sicherer als je, von allen Seiten auf die eine
wunde Stelle drängend, die schon im dreizehnten Jahrhundert Freidank scharf
bezeichnet hatte, um sie zu heilen. Wie die ästhetische Stubenarbeit endlich in
Drang nach wirklicher Arbeit ausgelaufen war, am schärfsten ausgesprochen in
Hölderlins "wir ^Jungen) wollen thun, was die Künstler träumten," ebenso
ging es nun, noch merkwürdiger, mit der philosophischen Stubenarbeit. Schon
in Fichte ballte sich Kants reine Denkwelt wie zu Thateukraft zusammen, wie
es Arnim tröstend geahnt hatte, und das System, in dem der reine Gedanke,
die Idee ihren höchsten Flug nahm und im Äther zu verschweben schien, das
Hegeltum, schlug doch am Ende auch geradezu in drängende Thatkraft um, die
Idee griff nun nach unten und umfaßte die ganzen Nöte der Zeit und des
Vaterlandes mit den" in der Höhe gelernten gewaltigen Anspannen, und das
Umfassen ging von selbst in ein Erfassen, das Begreifen in ein Eingreifen über.
Dazu halfen die Dichter den Philosophen, wie in der großen Zeit des achtzehnten
Jahrhunderts, der Zeit der ahnenden Vorarbeit, so nun bei der Arbeit des
Zugreifens; das sogenannte junge Deutschland und das junge Hegeltum gingen
ans Werk in stillem und offenem Bunde, alles lang und tief geschulte Denken
und Empfinden, Träumen und Ahnen ward aus sich selbst heraus zu einem
Wollen. Auch die bildende Kunst wie die Geschichtsforschung, nicht anders die
junge deutsche Philologie, eigentlich alle Geistesarbeit der dreißiger, vierziger
Jahre hatte mehr oder weniger bewußt nur ein Ziel, auf das alle neu erweckten
Kräfte in einer Richtung hinstrebten, wie Strahlen nach ihrem einen Ausgangs¬
punkte, während die umgekehrte Richtung in der deutschen Geschichte das Her¬
kömmliche war. Die zerstreut arbeitenden Kräfte wurden damit zu einer un¬
widerstehlichen Kraft, die in sich ihres Erfolges sicher war. Die Luft war voll
von einer deutlich geahnten, heiß ersehnten nötigen großen deutschen That, die
wie mit einem großen Ruck alles Zerfahrene auf einen neuen festen Fuß und
Stand setzen mußte.


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

wurden. Ich weiß z. B. noch, und gewiß viele, wie Schillers Wort von der
„kaiserlosen, der schrecklichen Zeit" in der Ballade vom Grafen von Habsburg
(v. I. 1803), die man ja ganz früh kennen lernt, mir als Knaben wie einen
Stoß gab, der eine Lücke im tiefsten Gefühl eröffnete, die Ausfüllung verlangte.
Und was Rückerts volksmäßig gehaltenes Lied vom alten Barbarossa, dem
Kaiser Friederich im KyfMuser (vom Jahre 1814) im stillen Seelengrunde von
tausend und abertausend Kindern für Wirkung gethan und vorbereitet hat, das ist
nicht zu ermessen: ein romantischer Traum, ja! aber ein prophetischer, einer
von denen, die doch dann für die Tagesarbeit auch Kraft und Saft in Sinn
und Glieder geben.

Diese Arbeit, die nach den Freiheitskriegen der Nation aufgegeben war,
erschien oder war schwerer als je eine, hoffnungslos den widerstrebenden Mächten
und Verhältnissen gegenüber. Aber die Kräfte der Nation sammelten sich auch
unter dem Druck stetiger und sicherer als je, von allen Seiten auf die eine
wunde Stelle drängend, die schon im dreizehnten Jahrhundert Freidank scharf
bezeichnet hatte, um sie zu heilen. Wie die ästhetische Stubenarbeit endlich in
Drang nach wirklicher Arbeit ausgelaufen war, am schärfsten ausgesprochen in
Hölderlins „wir ^Jungen) wollen thun, was die Künstler träumten," ebenso
ging es nun, noch merkwürdiger, mit der philosophischen Stubenarbeit. Schon
in Fichte ballte sich Kants reine Denkwelt wie zu Thateukraft zusammen, wie
es Arnim tröstend geahnt hatte, und das System, in dem der reine Gedanke,
die Idee ihren höchsten Flug nahm und im Äther zu verschweben schien, das
Hegeltum, schlug doch am Ende auch geradezu in drängende Thatkraft um, die
Idee griff nun nach unten und umfaßte die ganzen Nöte der Zeit und des
Vaterlandes mit den« in der Höhe gelernten gewaltigen Anspannen, und das
Umfassen ging von selbst in ein Erfassen, das Begreifen in ein Eingreifen über.
Dazu halfen die Dichter den Philosophen, wie in der großen Zeit des achtzehnten
Jahrhunderts, der Zeit der ahnenden Vorarbeit, so nun bei der Arbeit des
Zugreifens; das sogenannte junge Deutschland und das junge Hegeltum gingen
ans Werk in stillem und offenem Bunde, alles lang und tief geschulte Denken
und Empfinden, Träumen und Ahnen ward aus sich selbst heraus zu einem
Wollen. Auch die bildende Kunst wie die Geschichtsforschung, nicht anders die
junge deutsche Philologie, eigentlich alle Geistesarbeit der dreißiger, vierziger
Jahre hatte mehr oder weniger bewußt nur ein Ziel, auf das alle neu erweckten
Kräfte in einer Richtung hinstrebten, wie Strahlen nach ihrem einen Ausgangs¬
punkte, während die umgekehrte Richtung in der deutschen Geschichte das Her¬
kömmliche war. Die zerstreut arbeitenden Kräfte wurden damit zu einer un¬
widerstehlichen Kraft, die in sich ihres Erfolges sicher war. Die Luft war voll
von einer deutlich geahnten, heiß ersehnten nötigen großen deutschen That, die
wie mit einem großen Ruck alles Zerfahrene auf einen neuen festen Fuß und
Stand setzen mußte.


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[0146] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. wurden. Ich weiß z. B. noch, und gewiß viele, wie Schillers Wort von der „kaiserlosen, der schrecklichen Zeit" in der Ballade vom Grafen von Habsburg (v. I. 1803), die man ja ganz früh kennen lernt, mir als Knaben wie einen Stoß gab, der eine Lücke im tiefsten Gefühl eröffnete, die Ausfüllung verlangte. Und was Rückerts volksmäßig gehaltenes Lied vom alten Barbarossa, dem Kaiser Friederich im KyfMuser (vom Jahre 1814) im stillen Seelengrunde von tausend und abertausend Kindern für Wirkung gethan und vorbereitet hat, das ist nicht zu ermessen: ein romantischer Traum, ja! aber ein prophetischer, einer von denen, die doch dann für die Tagesarbeit auch Kraft und Saft in Sinn und Glieder geben. Diese Arbeit, die nach den Freiheitskriegen der Nation aufgegeben war, erschien oder war schwerer als je eine, hoffnungslos den widerstrebenden Mächten und Verhältnissen gegenüber. Aber die Kräfte der Nation sammelten sich auch unter dem Druck stetiger und sicherer als je, von allen Seiten auf die eine wunde Stelle drängend, die schon im dreizehnten Jahrhundert Freidank scharf bezeichnet hatte, um sie zu heilen. Wie die ästhetische Stubenarbeit endlich in Drang nach wirklicher Arbeit ausgelaufen war, am schärfsten ausgesprochen in Hölderlins „wir ^Jungen) wollen thun, was die Künstler träumten," ebenso ging es nun, noch merkwürdiger, mit der philosophischen Stubenarbeit. Schon in Fichte ballte sich Kants reine Denkwelt wie zu Thateukraft zusammen, wie es Arnim tröstend geahnt hatte, und das System, in dem der reine Gedanke, die Idee ihren höchsten Flug nahm und im Äther zu verschweben schien, das Hegeltum, schlug doch am Ende auch geradezu in drängende Thatkraft um, die Idee griff nun nach unten und umfaßte die ganzen Nöte der Zeit und des Vaterlandes mit den« in der Höhe gelernten gewaltigen Anspannen, und das Umfassen ging von selbst in ein Erfassen, das Begreifen in ein Eingreifen über. Dazu halfen die Dichter den Philosophen, wie in der großen Zeit des achtzehnten Jahrhunderts, der Zeit der ahnenden Vorarbeit, so nun bei der Arbeit des Zugreifens; das sogenannte junge Deutschland und das junge Hegeltum gingen ans Werk in stillem und offenem Bunde, alles lang und tief geschulte Denken und Empfinden, Träumen und Ahnen ward aus sich selbst heraus zu einem Wollen. Auch die bildende Kunst wie die Geschichtsforschung, nicht anders die junge deutsche Philologie, eigentlich alle Geistesarbeit der dreißiger, vierziger Jahre hatte mehr oder weniger bewußt nur ein Ziel, auf das alle neu erweckten Kräfte in einer Richtung hinstrebten, wie Strahlen nach ihrem einen Ausgangs¬ punkte, während die umgekehrte Richtung in der deutschen Geschichte das Her¬ kömmliche war. Die zerstreut arbeitenden Kräfte wurden damit zu einer un¬ widerstehlichen Kraft, die in sich ihres Erfolges sicher war. Die Luft war voll von einer deutlich geahnten, heiß ersehnten nötigen großen deutschen That, die wie mit einem großen Ruck alles Zerfahrene auf einen neuen festen Fuß und Stand setzen mußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/146>, abgerufen am 22.07.2024.