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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tcigebuchl'kälter eines Sonntagsphilosophen.

Aus dem Kreise der bewußten Arbeiter und Dränger sei nur einer benutzt,
P. A. Pfizer und sein "Briefwechsel zweier Deutschen," Stuttgart und Tübingen,
bei Cotta, 1831, während ich daneben gern auch Wienbargs Ästhetische Feld¬
züge, Hamburg, 1834, das eigentliche Stiftungsbuch des jungen Deutschlands, zu¬
zöge. Beide Bücher sind rechte Prophctenarbeit. Pfizer, der junge Schwabe, steht
in Hegels Welt, die ja, selbst aus schwäbischen Geiste, damals in Berlin die
Herrschaft hatte. Man sieht da das wunderbare Gähren der überhohen Ideen¬
welt, wie sie durch Hegel aufgeregt war, sieht aber auch die Abgründe, die sich
darunter aufthaten (wie bei Wienbarg auch) und durch den ätherischen oder auch
grauen Nebel hindurch, der doch schon Risse hat, das ganze Elend des Vater¬
landes mit einer Schärfe als Schmach vor Europa empfunden, wie kaum je
vorher. Aber eben aus der Idee blitzt auch kühne Hoffnung und Thatkraft,
z. B. in dem Schlußworte eines Briefes von Friederich an Wilhelm (so heißen
die beiden bricfwechselnden Dentschen), das zugleich an Schillers Gedanken vom
Jahre 1800 anknüpft, ohne davon zu wissen (S. 263): "Möge einstweilen
immerhin das stolze England alle Meere beherrschen, möge Frankreich die Welt
zum zweiten male erobern (!) oder Nußland seine gewaltthätigen Arme noch
weiter über Asien und Europa strecken, die wahre Geistesbildung wird ihren
Sitz und Mittelpunkt in Deutschland doch behalten und immer fester begründen;
ja die Zeit wird kommen, wo die Schutzgöttin der Deutschen, die Philosophie,
aufhört, eine bloße Schulmeisterin zu sein, die auf Kathedern thront, die Zeit
wird kommen, wo sie handelt und vollbringt, wo sie zur That wird und die
Welt beherrscht." Was im Hintergründe von alle dem als bestimmender Punkt
in des Philosophen Seele stand, wie bei Tausenden, zeigt ein Gedicht "der künf¬
tige Messias" S. 354, wo er, in romantischer, religiöser Haltung, von einem
Klausner dichtet (er bekennt sich zuletzt selbst als ihn), der sich aus dem Volke,
"das mit Unwert prahlt und sich der Schande freut," in des Waldes Einsam¬
keit geflüchtet hat, aber als Prediger in der Wüste "von dem Reiche, das kommen
soll," redet,


Von des Heilands Feuertaufe, vom Erlöser, der erscheint,
Wenn der Stern aus Morgen wieder blinkt, das irre Volk vereint n. s. w.

Woher aber der Messias kommen sollte? Die Antwort war schon seit dem
siebzehnten Jahrhundert gleichsam herangewachsen. Wie Lobenstein seinen Ar-
minius in dem Berlin des großen Kurfürsten dauernd ansiedeln wollte, wie im
achtzehnten Jahrhundert der große Friedrich die alten deutschen Messiashoff-
nungcn wach rief, so war durch die mit stillem und Hellem Lichte leuchtenden
Thaten der Befreiungskriege der preußische Staat die Stelle der Hoffnnngs-
strahlen im düstern Gewölk für den, der über das wirre Durcheinander der
Verhältnisse, Strebungen und Meinungen hinausblickte in die Höhe der ge¬
gebenen Thatsachen und Kräfte. Was freilich nun für uns und das ganze


Tcigebuchl'kälter eines Sonntagsphilosophen.

Aus dem Kreise der bewußten Arbeiter und Dränger sei nur einer benutzt,
P. A. Pfizer und sein „Briefwechsel zweier Deutschen," Stuttgart und Tübingen,
bei Cotta, 1831, während ich daneben gern auch Wienbargs Ästhetische Feld¬
züge, Hamburg, 1834, das eigentliche Stiftungsbuch des jungen Deutschlands, zu¬
zöge. Beide Bücher sind rechte Prophctenarbeit. Pfizer, der junge Schwabe, steht
in Hegels Welt, die ja, selbst aus schwäbischen Geiste, damals in Berlin die
Herrschaft hatte. Man sieht da das wunderbare Gähren der überhohen Ideen¬
welt, wie sie durch Hegel aufgeregt war, sieht aber auch die Abgründe, die sich
darunter aufthaten (wie bei Wienbarg auch) und durch den ätherischen oder auch
grauen Nebel hindurch, der doch schon Risse hat, das ganze Elend des Vater¬
landes mit einer Schärfe als Schmach vor Europa empfunden, wie kaum je
vorher. Aber eben aus der Idee blitzt auch kühne Hoffnung und Thatkraft,
z. B. in dem Schlußworte eines Briefes von Friederich an Wilhelm (so heißen
die beiden bricfwechselnden Dentschen), das zugleich an Schillers Gedanken vom
Jahre 1800 anknüpft, ohne davon zu wissen (S. 263): „Möge einstweilen
immerhin das stolze England alle Meere beherrschen, möge Frankreich die Welt
zum zweiten male erobern (!) oder Nußland seine gewaltthätigen Arme noch
weiter über Asien und Europa strecken, die wahre Geistesbildung wird ihren
Sitz und Mittelpunkt in Deutschland doch behalten und immer fester begründen;
ja die Zeit wird kommen, wo die Schutzgöttin der Deutschen, die Philosophie,
aufhört, eine bloße Schulmeisterin zu sein, die auf Kathedern thront, die Zeit
wird kommen, wo sie handelt und vollbringt, wo sie zur That wird und die
Welt beherrscht." Was im Hintergründe von alle dem als bestimmender Punkt
in des Philosophen Seele stand, wie bei Tausenden, zeigt ein Gedicht „der künf¬
tige Messias" S. 354, wo er, in romantischer, religiöser Haltung, von einem
Klausner dichtet (er bekennt sich zuletzt selbst als ihn), der sich aus dem Volke,
„das mit Unwert prahlt und sich der Schande freut," in des Waldes Einsam¬
keit geflüchtet hat, aber als Prediger in der Wüste „von dem Reiche, das kommen
soll," redet,


Von des Heilands Feuertaufe, vom Erlöser, der erscheint,
Wenn der Stern aus Morgen wieder blinkt, das irre Volk vereint n. s. w.

Woher aber der Messias kommen sollte? Die Antwort war schon seit dem
siebzehnten Jahrhundert gleichsam herangewachsen. Wie Lobenstein seinen Ar-
minius in dem Berlin des großen Kurfürsten dauernd ansiedeln wollte, wie im
achtzehnten Jahrhundert der große Friedrich die alten deutschen Messiashoff-
nungcn wach rief, so war durch die mit stillem und Hellem Lichte leuchtenden
Thaten der Befreiungskriege der preußische Staat die Stelle der Hoffnnngs-
strahlen im düstern Gewölk für den, der über das wirre Durcheinander der
Verhältnisse, Strebungen und Meinungen hinausblickte in die Höhe der ge¬
gebenen Thatsachen und Kräfte. Was freilich nun für uns und das ganze


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[0147] Tcigebuchl'kälter eines Sonntagsphilosophen. Aus dem Kreise der bewußten Arbeiter und Dränger sei nur einer benutzt, P. A. Pfizer und sein „Briefwechsel zweier Deutschen," Stuttgart und Tübingen, bei Cotta, 1831, während ich daneben gern auch Wienbargs Ästhetische Feld¬ züge, Hamburg, 1834, das eigentliche Stiftungsbuch des jungen Deutschlands, zu¬ zöge. Beide Bücher sind rechte Prophctenarbeit. Pfizer, der junge Schwabe, steht in Hegels Welt, die ja, selbst aus schwäbischen Geiste, damals in Berlin die Herrschaft hatte. Man sieht da das wunderbare Gähren der überhohen Ideen¬ welt, wie sie durch Hegel aufgeregt war, sieht aber auch die Abgründe, die sich darunter aufthaten (wie bei Wienbarg auch) und durch den ätherischen oder auch grauen Nebel hindurch, der doch schon Risse hat, das ganze Elend des Vater¬ landes mit einer Schärfe als Schmach vor Europa empfunden, wie kaum je vorher. Aber eben aus der Idee blitzt auch kühne Hoffnung und Thatkraft, z. B. in dem Schlußworte eines Briefes von Friederich an Wilhelm (so heißen die beiden bricfwechselnden Dentschen), das zugleich an Schillers Gedanken vom Jahre 1800 anknüpft, ohne davon zu wissen (S. 263): „Möge einstweilen immerhin das stolze England alle Meere beherrschen, möge Frankreich die Welt zum zweiten male erobern (!) oder Nußland seine gewaltthätigen Arme noch weiter über Asien und Europa strecken, die wahre Geistesbildung wird ihren Sitz und Mittelpunkt in Deutschland doch behalten und immer fester begründen; ja die Zeit wird kommen, wo die Schutzgöttin der Deutschen, die Philosophie, aufhört, eine bloße Schulmeisterin zu sein, die auf Kathedern thront, die Zeit wird kommen, wo sie handelt und vollbringt, wo sie zur That wird und die Welt beherrscht." Was im Hintergründe von alle dem als bestimmender Punkt in des Philosophen Seele stand, wie bei Tausenden, zeigt ein Gedicht „der künf¬ tige Messias" S. 354, wo er, in romantischer, religiöser Haltung, von einem Klausner dichtet (er bekennt sich zuletzt selbst als ihn), der sich aus dem Volke, „das mit Unwert prahlt und sich der Schande freut," in des Waldes Einsam¬ keit geflüchtet hat, aber als Prediger in der Wüste „von dem Reiche, das kommen soll," redet, Von des Heilands Feuertaufe, vom Erlöser, der erscheint, Wenn der Stern aus Morgen wieder blinkt, das irre Volk vereint n. s. w. Woher aber der Messias kommen sollte? Die Antwort war schon seit dem siebzehnten Jahrhundert gleichsam herangewachsen. Wie Lobenstein seinen Ar- minius in dem Berlin des großen Kurfürsten dauernd ansiedeln wollte, wie im achtzehnten Jahrhundert der große Friedrich die alten deutschen Messiashoff- nungcn wach rief, so war durch die mit stillem und Hellem Lichte leuchtenden Thaten der Befreiungskriege der preußische Staat die Stelle der Hoffnnngs- strahlen im düstern Gewölk für den, der über das wirre Durcheinander der Verhältnisse, Strebungen und Meinungen hinausblickte in die Höhe der ge¬ gebenen Thatsachen und Kräfte. Was freilich nun für uns und das ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/147>, abgerufen am 24.08.2024.