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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Von oben eingreifen lernt oder lehrt, daß es die gottgewollten Wege finde. Und
das alles zugleich ein fröhliches und sicheres Zeichen, wie keines sonst, daß die
große, ja ungeheure Aufgabe gelingt, an der die Besten bei allen Völkern seit
Jahrhunderten arbeiten: die Menschheit aus der Gefahr des Alterns und Ver-
rottens, der das classische Altertum nicht hat entgehen können, heraus zu holen
zu einem neuen Leben; ja, "es ist der Geist, der sich (neu) den Körper baut."

Für uns Deutsche aber wurden seit dem Morgen unsers neuen Lebens, der
auf den Abend des alten gefolgt ist, die Fragen, wie sie aus dem gründlich
rajolten Boden wuchsen, alte und neue, als Kraut oder Unkraut, alle doch von
einer umspannt: von der nach Kaiser und Reich. Es war ja auch die alte
erste Frage, von allem Anfang her, die Frage nach dem Zaun oder der Mauer,
die einen Garten umhegen muß, damit dann in ihnen sicher wachsen und werden
könne, was soll oder will, was Menschen Bedarf oder Willkür und was des Himmels
Luft und Licht aus dem gegebenen Boden lind seinen Keimkräften gewinnen mag.

Solche Namen haben, wie Blumen, einen Duft um sich, weit waltend und
allbestimmend und belebend, so lange sie die Träger von Lebensmächten sind;
der Duft kann sich aber auch verlieren, wie bei den Blumen, und in sein Gegen¬
teil umschlagen, wenn das Leben davon weicht. So war es mit "Kaiser und
Reich" gegangen. Für das letztere braucht man nur an die Reichstruppen zu
denken, um zu wissen, wie übelriechend der alte edle Begriff geworden war.
Und ich weiß noch aus meiner Kindheit, wie da "draußen im Reich" unter den
Leuten in Gebrauch war. wohlbemerkt, "draußen," von Sachsen, Preußen,
Österreich aus gesagt, wo man längst mit Genugthuung empfand, daß man
nicht mehr "drin" war. Sang man doch schon im sechzehnten Jahrhundert vom
sterbenden Reiche, d. h. die damals gar stolzen Buchdrucker sangen in einem
Preisliede ihrer "Gesellschaft" von sich selbst, um der Sicherheit ihrer Fröhlich¬
keit kräftigen Ausdruck zu geben, auch wie prophezeiend (Fischarts Gargantua
Cap. 6, Uhlands Volkslieder Ur. 265):


Sie hat gar kleine Sorgen
Wol umb das Römisch Reich,
Es sterb heut oder morgen,
So gilt es ihnen gleich.

Also schon wie Goethes Studenten in Auerbachs Keller, Frosch:


Das liebe heilge Römsche Reich,
Wie hales nur noch zusammen?

Aber Brander, dem das doch eine peinliche Gedankenreihe erweckt, unterbricht
ihn gleich:


Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!
Ein leidig Lied! Danke Gott mit jedem Morgen,
Daß ihr nicht braucht siirs Römsche Reich zu sorgen!
Ich halt' es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.

Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Von oben eingreifen lernt oder lehrt, daß es die gottgewollten Wege finde. Und
das alles zugleich ein fröhliches und sicheres Zeichen, wie keines sonst, daß die
große, ja ungeheure Aufgabe gelingt, an der die Besten bei allen Völkern seit
Jahrhunderten arbeiten: die Menschheit aus der Gefahr des Alterns und Ver-
rottens, der das classische Altertum nicht hat entgehen können, heraus zu holen
zu einem neuen Leben; ja, „es ist der Geist, der sich (neu) den Körper baut."

Für uns Deutsche aber wurden seit dem Morgen unsers neuen Lebens, der
auf den Abend des alten gefolgt ist, die Fragen, wie sie aus dem gründlich
rajolten Boden wuchsen, alte und neue, als Kraut oder Unkraut, alle doch von
einer umspannt: von der nach Kaiser und Reich. Es war ja auch die alte
erste Frage, von allem Anfang her, die Frage nach dem Zaun oder der Mauer,
die einen Garten umhegen muß, damit dann in ihnen sicher wachsen und werden
könne, was soll oder will, was Menschen Bedarf oder Willkür und was des Himmels
Luft und Licht aus dem gegebenen Boden lind seinen Keimkräften gewinnen mag.

Solche Namen haben, wie Blumen, einen Duft um sich, weit waltend und
allbestimmend und belebend, so lange sie die Träger von Lebensmächten sind;
der Duft kann sich aber auch verlieren, wie bei den Blumen, und in sein Gegen¬
teil umschlagen, wenn das Leben davon weicht. So war es mit „Kaiser und
Reich" gegangen. Für das letztere braucht man nur an die Reichstruppen zu
denken, um zu wissen, wie übelriechend der alte edle Begriff geworden war.
Und ich weiß noch aus meiner Kindheit, wie da „draußen im Reich" unter den
Leuten in Gebrauch war. wohlbemerkt, „draußen," von Sachsen, Preußen,
Österreich aus gesagt, wo man längst mit Genugthuung empfand, daß man
nicht mehr „drin" war. Sang man doch schon im sechzehnten Jahrhundert vom
sterbenden Reiche, d. h. die damals gar stolzen Buchdrucker sangen in einem
Preisliede ihrer „Gesellschaft" von sich selbst, um der Sicherheit ihrer Fröhlich¬
keit kräftigen Ausdruck zu geben, auch wie prophezeiend (Fischarts Gargantua
Cap. 6, Uhlands Volkslieder Ur. 265):


Sie hat gar kleine Sorgen
Wol umb das Römisch Reich,
Es sterb heut oder morgen,
So gilt es ihnen gleich.

Also schon wie Goethes Studenten in Auerbachs Keller, Frosch:


Das liebe heilge Römsche Reich,
Wie hales nur noch zusammen?

Aber Brander, dem das doch eine peinliche Gedankenreihe erweckt, unterbricht
ihn gleich:


Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!
Ein leidig Lied! Danke Gott mit jedem Morgen,
Daß ihr nicht braucht siirs Römsche Reich zu sorgen!
Ich halt' es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.

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[0144] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Von oben eingreifen lernt oder lehrt, daß es die gottgewollten Wege finde. Und das alles zugleich ein fröhliches und sicheres Zeichen, wie keines sonst, daß die große, ja ungeheure Aufgabe gelingt, an der die Besten bei allen Völkern seit Jahrhunderten arbeiten: die Menschheit aus der Gefahr des Alterns und Ver- rottens, der das classische Altertum nicht hat entgehen können, heraus zu holen zu einem neuen Leben; ja, „es ist der Geist, der sich (neu) den Körper baut." Für uns Deutsche aber wurden seit dem Morgen unsers neuen Lebens, der auf den Abend des alten gefolgt ist, die Fragen, wie sie aus dem gründlich rajolten Boden wuchsen, alte und neue, als Kraut oder Unkraut, alle doch von einer umspannt: von der nach Kaiser und Reich. Es war ja auch die alte erste Frage, von allem Anfang her, die Frage nach dem Zaun oder der Mauer, die einen Garten umhegen muß, damit dann in ihnen sicher wachsen und werden könne, was soll oder will, was Menschen Bedarf oder Willkür und was des Himmels Luft und Licht aus dem gegebenen Boden lind seinen Keimkräften gewinnen mag. Solche Namen haben, wie Blumen, einen Duft um sich, weit waltend und allbestimmend und belebend, so lange sie die Träger von Lebensmächten sind; der Duft kann sich aber auch verlieren, wie bei den Blumen, und in sein Gegen¬ teil umschlagen, wenn das Leben davon weicht. So war es mit „Kaiser und Reich" gegangen. Für das letztere braucht man nur an die Reichstruppen zu denken, um zu wissen, wie übelriechend der alte edle Begriff geworden war. Und ich weiß noch aus meiner Kindheit, wie da „draußen im Reich" unter den Leuten in Gebrauch war. wohlbemerkt, „draußen," von Sachsen, Preußen, Österreich aus gesagt, wo man längst mit Genugthuung empfand, daß man nicht mehr „drin" war. Sang man doch schon im sechzehnten Jahrhundert vom sterbenden Reiche, d. h. die damals gar stolzen Buchdrucker sangen in einem Preisliede ihrer „Gesellschaft" von sich selbst, um der Sicherheit ihrer Fröhlich¬ keit kräftigen Ausdruck zu geben, auch wie prophezeiend (Fischarts Gargantua Cap. 6, Uhlands Volkslieder Ur. 265): Sie hat gar kleine Sorgen Wol umb das Römisch Reich, Es sterb heut oder morgen, So gilt es ihnen gleich. Also schon wie Goethes Studenten in Auerbachs Keller, Frosch: Das liebe heilge Römsche Reich, Wie hales nur noch zusammen? Aber Brander, dem das doch eine peinliche Gedankenreihe erweckt, unterbricht ihn gleich: Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied! Ein leidig Lied! Danke Gott mit jedem Morgen, Daß ihr nicht braucht siirs Römsche Reich zu sorgen! Ich halt' es wenigstens für reichlichen Gewinn, Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/144>, abgerufen am 22.07.2024.