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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

nicht gern daran zurück), sprach er doch endlich zugleich, aus der griechischen Rolle
fallend, als große Volksstimme, auch wie mit dröhnenden Posaunentöne, z. B.:


Und wir sind alle neugeboren,
Das große Sehnen ist gestillt.
Bei Friedrichs Asche wards geschworen
Und ist auf ewig nun erfüllt --

auf ewig! ja so dachte, fühlte man damals, man sah durch die Befreiung vom
napoleonischen Joche für alles geholfen, wofür doch noch Arbeit, Streit und Leid
genug übrig blieb und bleibt, und doch sind die Worte wie schon für die hohen Stun¬
den von 1870 und wie für unsre nähere Zukunft geschrieben. Ebenso im Munde
des Epimenides:


Ich sehe nun mein frommes Hoffen
Nach Wunderthaten eingetroffen u. s. w.

Und im Liede des Chors am Ende:


Nun sind wir Deutsche wiederum,
Nun sind wir wieder groß u. s. w.
Zusammenhaltet euren Wert,
Und euch ist niemand gleich.

Damit ist zugleich über den Augenblick hinaus in die Zukunft geblickt, stand
er doch mit den Zeitgenossen nun auch wie auf heiliger Bergeshöhe, wie Schiller
damals im Jahre 1800, und doch nun auch ganz anders. Wenn Schiller die
Höhe ganz aus sich selbst und dem deutschen Innern hatte nehmen und sein
prophetisches Ausschauen auf das Innere beschränken müssen, so war oder wurde
nnn, wie Hölderlin zwanzig Jahre vorher geahnt hatte, die Wasserscheide vom
bloßen Innenleben zu neuem wirklichen Leben überschritten, und man sah vor
sich und hinter sich in das Land der deutschen Geschichte mit ganz verschiedenem
Anblick. Auf Wasserscheiden stehen an der Straße gern Capellen zur Andacht,
zu der die Höhe mit ihrem Weitblick den Wanderer ohnehin leicht einladet. Auch
auf dieser Höhe war der deutsche Geist zur Andacht erhöht, von Gott und dem
Heiligen voll. Es ging eine hohe Sonntagsstimmung durch die Lande, zugleich
Frühlingsstimmung, Osterstimmung, wie Schenkendorf in die Geschichte zurück¬
blickend jubelnd ausbrach (Frühlingsgruß 1814):


Vaterland! in tausend Jahren
Kam dir solch ein Frühling kaum.

Auch Epimenides blickt so andächtig hoch gestimmt ins Weite von der noch
nicht erlebten Höhe. Schon im Eingange thut es die Muse für ihn, um voraus
den Grundaccord anzuschlagen (am Schluß der Ansprache):


So ging es mir sGoethcn^, mög es Euch so ergehen,
Daß aller Haß sich suum^ augenblicks entfernte...
Und alle Welt von uns die Eintracht lernte.
Und so genießt das höchste Glück hienieden,
Nach hartem äußern Kampf den innern Frieden.

Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

nicht gern daran zurück), sprach er doch endlich zugleich, aus der griechischen Rolle
fallend, als große Volksstimme, auch wie mit dröhnenden Posaunentöne, z. B.:


Und wir sind alle neugeboren,
Das große Sehnen ist gestillt.
Bei Friedrichs Asche wards geschworen
Und ist auf ewig nun erfüllt —

auf ewig! ja so dachte, fühlte man damals, man sah durch die Befreiung vom
napoleonischen Joche für alles geholfen, wofür doch noch Arbeit, Streit und Leid
genug übrig blieb und bleibt, und doch sind die Worte wie schon für die hohen Stun¬
den von 1870 und wie für unsre nähere Zukunft geschrieben. Ebenso im Munde
des Epimenides:


Ich sehe nun mein frommes Hoffen
Nach Wunderthaten eingetroffen u. s. w.

Und im Liede des Chors am Ende:


Nun sind wir Deutsche wiederum,
Nun sind wir wieder groß u. s. w.
Zusammenhaltet euren Wert,
Und euch ist niemand gleich.

Damit ist zugleich über den Augenblick hinaus in die Zukunft geblickt, stand
er doch mit den Zeitgenossen nun auch wie auf heiliger Bergeshöhe, wie Schiller
damals im Jahre 1800, und doch nun auch ganz anders. Wenn Schiller die
Höhe ganz aus sich selbst und dem deutschen Innern hatte nehmen und sein
prophetisches Ausschauen auf das Innere beschränken müssen, so war oder wurde
nnn, wie Hölderlin zwanzig Jahre vorher geahnt hatte, die Wasserscheide vom
bloßen Innenleben zu neuem wirklichen Leben überschritten, und man sah vor
sich und hinter sich in das Land der deutschen Geschichte mit ganz verschiedenem
Anblick. Auf Wasserscheiden stehen an der Straße gern Capellen zur Andacht,
zu der die Höhe mit ihrem Weitblick den Wanderer ohnehin leicht einladet. Auch
auf dieser Höhe war der deutsche Geist zur Andacht erhöht, von Gott und dem
Heiligen voll. Es ging eine hohe Sonntagsstimmung durch die Lande, zugleich
Frühlingsstimmung, Osterstimmung, wie Schenkendorf in die Geschichte zurück¬
blickend jubelnd ausbrach (Frühlingsgruß 1814):


Vaterland! in tausend Jahren
Kam dir solch ein Frühling kaum.

Auch Epimenides blickt so andächtig hoch gestimmt ins Weite von der noch
nicht erlebten Höhe. Schon im Eingange thut es die Muse für ihn, um voraus
den Grundaccord anzuschlagen (am Schluß der Ansprache):


So ging es mir sGoethcn^, mög es Euch so ergehen,
Daß aller Haß sich suum^ augenblicks entfernte...
Und alle Welt von uns die Eintracht lernte.
Und so genießt das höchste Glück hienieden,
Nach hartem äußern Kampf den innern Frieden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/140>, abgerufen am 24.08.2024.