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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Soimtagsxhilosoxhen.

Frieden, Eintracht: wie reicht das zugleich dem Schlußbilde der alten Prophe¬
zeiungen die Hand, in der des Jupiter im Simplicissimus, wie in Sibyllen
Weissagung aus dem vierzehnten Jahrhundert. Und wenn Goethe die Welt,
die Eintracht von uns lernend wünscht (das Gefühl, daß man ein ganz neues
Leben zu beginnen habe, ging ja durch ganz Europa), wie fällt das in der
Sache zusammen mit dem alten Zuge in der Idee des deutschen Kaisers, der
sich in dem Titel xaoiüou8 ausdrückt, bei Walther von der Vogelweide in der
Mahnung an Kaiser Otto IV. als an seine höchste, letzte Aufgabe, nachdem er
in Deutschland Frieden gemacht: und süövöt al als Kristsvlisit (12, 22 Lach¬
mann). Die hohe Idee war eben wie von selbst nicht nur an die Kaiseridee,
auch an unsre Mittellage in Europa gebunden, die Leibniz so nachdrücklich be¬
tonte. Völlig, als wäre er mit den alten Weissagungen bekannt, schrieb am
3. November 1814 Cornelius aus Rom an Görres, seine Stimmung jugendlich
ausschüttend u. a.: "Ich glaube, Gott will sich aller herrlichen Keime, die in
der deutschen Nation liegen, bedienen, um von ihr aus ein neues Leben, ein
neues Reich seiner Kraft und Herrlichkeit über die Erde zu verbreiten" (Görres
Schriften 8, 435).

Aber Eintracht bei den Deutschen! und der Dichter dachte sie sich offenbar
auch wie nun dauernd, als Muster für Europa. Ja damals war sie da, rein
und groß, eine hübsche Zeit lang, wie lange nicht in unsrer Geschichte, von
einer jugendlichen Begeisterung getragen, wie man sie seit den Kreuzzügen nicht
wieder gesehen hatte. An die dachte man denn auch, wie Cornelius in dem
erwähnten Briefe, wie Schenkendorf öfter, wie Körner: "Es ist ein Kreuzzug,
ist ein Heilger Krieg," und auch das als Kriegszeichen gestiftete eiserne Kreuz
faßte man so auf. Nehmen wir Goethes Wunsch aus den wunderbaren Tagen
von 1814 als mahnendes Prophetenwort für die Zukunft, für das wir thun
was wir können! Geschieht es doch schon, freilich mehr zwangsweise, seit bald
zwanzig Jahren.

Ein wichtiges, mehr nüchternes, und doch auch ein Prophetenwort fällt
noch am Schlüsse des Stückes. Epimenides erklärt:


Er öder Höchste) lehrte mich das Gegcnwärtge kennen,
Nun aber soll mein Geist entbrennen,
In fremde Zeiten auszuschaun.

Das ist zunächst wieder ein bloß persönliches Bekenntnis: ich hatte mir die
Gegenwart (in seinem eigentümlichen gedrungenen Sinne genommen) als Ziel
und Umkreis meines Erkennens gesetzt, das Sinnengegebene, die Natur, nun
aber erkenne ich, daß das nicht ausreicht und die Geschichte zur Ergänzung
braucht; man kennt sein Geständnis noch in Wahrheit und Dichtung, daß er der
Weltgeschichte nie etwas habe abgewinnen können. Jetzt aber war er mit er¬
griffen von dem Drang, die ungeheuern Dinge aus der Geschichte begreifend zu


Tagebuchblätter eines Soimtagsxhilosoxhen.

Frieden, Eintracht: wie reicht das zugleich dem Schlußbilde der alten Prophe¬
zeiungen die Hand, in der des Jupiter im Simplicissimus, wie in Sibyllen
Weissagung aus dem vierzehnten Jahrhundert. Und wenn Goethe die Welt,
die Eintracht von uns lernend wünscht (das Gefühl, daß man ein ganz neues
Leben zu beginnen habe, ging ja durch ganz Europa), wie fällt das in der
Sache zusammen mit dem alten Zuge in der Idee des deutschen Kaisers, der
sich in dem Titel xaoiüou8 ausdrückt, bei Walther von der Vogelweide in der
Mahnung an Kaiser Otto IV. als an seine höchste, letzte Aufgabe, nachdem er
in Deutschland Frieden gemacht: und süövöt al als Kristsvlisit (12, 22 Lach¬
mann). Die hohe Idee war eben wie von selbst nicht nur an die Kaiseridee,
auch an unsre Mittellage in Europa gebunden, die Leibniz so nachdrücklich be¬
tonte. Völlig, als wäre er mit den alten Weissagungen bekannt, schrieb am
3. November 1814 Cornelius aus Rom an Görres, seine Stimmung jugendlich
ausschüttend u. a.: „Ich glaube, Gott will sich aller herrlichen Keime, die in
der deutschen Nation liegen, bedienen, um von ihr aus ein neues Leben, ein
neues Reich seiner Kraft und Herrlichkeit über die Erde zu verbreiten" (Görres
Schriften 8, 435).

Aber Eintracht bei den Deutschen! und der Dichter dachte sie sich offenbar
auch wie nun dauernd, als Muster für Europa. Ja damals war sie da, rein
und groß, eine hübsche Zeit lang, wie lange nicht in unsrer Geschichte, von
einer jugendlichen Begeisterung getragen, wie man sie seit den Kreuzzügen nicht
wieder gesehen hatte. An die dachte man denn auch, wie Cornelius in dem
erwähnten Briefe, wie Schenkendorf öfter, wie Körner: „Es ist ein Kreuzzug,
ist ein Heilger Krieg," und auch das als Kriegszeichen gestiftete eiserne Kreuz
faßte man so auf. Nehmen wir Goethes Wunsch aus den wunderbaren Tagen
von 1814 als mahnendes Prophetenwort für die Zukunft, für das wir thun
was wir können! Geschieht es doch schon, freilich mehr zwangsweise, seit bald
zwanzig Jahren.

Ein wichtiges, mehr nüchternes, und doch auch ein Prophetenwort fällt
noch am Schlüsse des Stückes. Epimenides erklärt:


Er öder Höchste) lehrte mich das Gegcnwärtge kennen,
Nun aber soll mein Geist entbrennen,
In fremde Zeiten auszuschaun.

Das ist zunächst wieder ein bloß persönliches Bekenntnis: ich hatte mir die
Gegenwart (in seinem eigentümlichen gedrungenen Sinne genommen) als Ziel
und Umkreis meines Erkennens gesetzt, das Sinnengegebene, die Natur, nun
aber erkenne ich, daß das nicht ausreicht und die Geschichte zur Ergänzung
braucht; man kennt sein Geständnis noch in Wahrheit und Dichtung, daß er der
Weltgeschichte nie etwas habe abgewinnen können. Jetzt aber war er mit er¬
griffen von dem Drang, die ungeheuern Dinge aus der Geschichte begreifend zu


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[0141] Tagebuchblätter eines Soimtagsxhilosoxhen. Frieden, Eintracht: wie reicht das zugleich dem Schlußbilde der alten Prophe¬ zeiungen die Hand, in der des Jupiter im Simplicissimus, wie in Sibyllen Weissagung aus dem vierzehnten Jahrhundert. Und wenn Goethe die Welt, die Eintracht von uns lernend wünscht (das Gefühl, daß man ein ganz neues Leben zu beginnen habe, ging ja durch ganz Europa), wie fällt das in der Sache zusammen mit dem alten Zuge in der Idee des deutschen Kaisers, der sich in dem Titel xaoiüou8 ausdrückt, bei Walther von der Vogelweide in der Mahnung an Kaiser Otto IV. als an seine höchste, letzte Aufgabe, nachdem er in Deutschland Frieden gemacht: und süövöt al als Kristsvlisit (12, 22 Lach¬ mann). Die hohe Idee war eben wie von selbst nicht nur an die Kaiseridee, auch an unsre Mittellage in Europa gebunden, die Leibniz so nachdrücklich be¬ tonte. Völlig, als wäre er mit den alten Weissagungen bekannt, schrieb am 3. November 1814 Cornelius aus Rom an Görres, seine Stimmung jugendlich ausschüttend u. a.: „Ich glaube, Gott will sich aller herrlichen Keime, die in der deutschen Nation liegen, bedienen, um von ihr aus ein neues Leben, ein neues Reich seiner Kraft und Herrlichkeit über die Erde zu verbreiten" (Görres Schriften 8, 435). Aber Eintracht bei den Deutschen! und der Dichter dachte sie sich offenbar auch wie nun dauernd, als Muster für Europa. Ja damals war sie da, rein und groß, eine hübsche Zeit lang, wie lange nicht in unsrer Geschichte, von einer jugendlichen Begeisterung getragen, wie man sie seit den Kreuzzügen nicht wieder gesehen hatte. An die dachte man denn auch, wie Cornelius in dem erwähnten Briefe, wie Schenkendorf öfter, wie Körner: „Es ist ein Kreuzzug, ist ein Heilger Krieg," und auch das als Kriegszeichen gestiftete eiserne Kreuz faßte man so auf. Nehmen wir Goethes Wunsch aus den wunderbaren Tagen von 1814 als mahnendes Prophetenwort für die Zukunft, für das wir thun was wir können! Geschieht es doch schon, freilich mehr zwangsweise, seit bald zwanzig Jahren. Ein wichtiges, mehr nüchternes, und doch auch ein Prophetenwort fällt noch am Schlüsse des Stückes. Epimenides erklärt: Er öder Höchste) lehrte mich das Gegcnwärtge kennen, Nun aber soll mein Geist entbrennen, In fremde Zeiten auszuschaun. Das ist zunächst wieder ein bloß persönliches Bekenntnis: ich hatte mir die Gegenwart (in seinem eigentümlichen gedrungenen Sinne genommen) als Ziel und Umkreis meines Erkennens gesetzt, das Sinnengegebene, die Natur, nun aber erkenne ich, daß das nicht ausreicht und die Geschichte zur Ergänzung braucht; man kennt sein Geständnis noch in Wahrheit und Dichtung, daß er der Weltgeschichte nie etwas habe abgewinnen können. Jetzt aber war er mit er¬ griffen von dem Drang, die ungeheuern Dinge aus der Geschichte begreifend zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/141>, abgerufen am 22.07.2024.