Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.TagebuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen, als Geheimnis behandelt und dem Briefe nicht anvertrauen mag. Jenes Be¬ Aus der Stimmung jener Stunde begreift sichs auch, wenn er sich nun Brüder, auf! die Welt zu befreien! Gewalt, Blitz, Grimm, alles sonst so unbrauchbar in Goethes Denk- und Em¬ Auch als Epimenides, dessen er da nicht gedenkt (er dachte offenbar später TagebuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen, als Geheimnis behandelt und dem Briefe nicht anvertrauen mag. Jenes Be¬ Aus der Stimmung jener Stunde begreift sichs auch, wenn er sich nun Brüder, auf! die Welt zu befreien! Gewalt, Blitz, Grimm, alles sonst so unbrauchbar in Goethes Denk- und Em¬ Auch als Epimenides, dessen er da nicht gedenkt (er dachte offenbar später <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289262"/> <fw type="header" place="top"> TagebuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen,</fw><lb/> <p xml:id="ID_462" prev="#ID_461"> als Geheimnis behandelt und dem Briefe nicht anvertrauen mag. Jenes Be¬<lb/> kenntnis und Ehrenerklärung des Epimenides stammt aus dem Gedankenkreise,<lb/> den Kieser da leider nur andeutet, und wenn man in der Goethegemeinde aller¬<lb/> meist nicht daran will, daß da in der altgriechischen Maske der Dichter selber<lb/> von sich selber von der Bühne herab zur Nation so rede, so geschieht das wohl<lb/> nur, weil er ihnen mit der Selbsterniedrigung zu klein würde; ich sehe ihn nir¬<lb/> gends größer als da.</p><lb/> <p xml:id="ID_463" next="#ID_464"> Aus der Stimmung jener Stunde begreift sichs auch, wenn er sich nun<lb/> zu dem alten vox xoxuli ?ox asi versteht, das zugleich so tief ist und so flach<lb/> sein kann, für ihn gleichfalls eine wahre Selbstüberwindung, eine Selbstüber-<lb/> springung. Im siebenten Auftritt singt der Chor:</p><lb/> <quote> Brüder, auf! die Welt zu befreien!<lb/> Kometen winken, die Stund' ist groß u. s. w.<lb/> So erschallt nun Gottes Stimme,<lb/> Denn des Volkes Stimme sie erschallt,<lb/> Und, entflammt von heilgen Grimme,<lb/> Folgt des Blitzes Allgewalt.</quote><lb/> <p xml:id="ID_464" prev="#ID_463"> Gewalt, Blitz, Grimm, alles sonst so unbrauchbar in Goethes Denk- und Em¬<lb/> pfindungswelt, und hier, im Licht aus heiliger Höhe gefaßt, unentbehrlich. Er<lb/> war eben über sich selbst erhöht durch die Gewalt der Ereignisse und der na¬<lb/> tionalen Erhebung: erhöht, wenn das der Goethegemeinde nicht munden will,<lb/> kann man auch sagen, aus seiner Ätherhöhe heruntergeholt in die drangvolle<lb/> Wirklichkeit, in der eben allein sich alles Leben bewegt, das doch sonst sein rechtes<lb/> Stichwort ist, und hier fand sich doch erst die rechte Höhe für ihn, an der<lb/> Spitze der Nation. Auch die Volksstimme, mit der er sich selbst hier vorgreift,<lb/> ward ihm noch zu einem unentbehrlichen Begriffe, als er sich nachher immer<lb/> mehr darein fand, doch mit der Entwickelung des neuen Zeitgeistes zu gehen,<lb/> so weit er konnte; hatte er doch das Gesunde darin selbst halb unbewußt mit<lb/> pflanzen und Pflegen helfen. So in dem erwähnten Gespräche mit Eckermann<lb/> im Jahre 1830 (3, 216), wo von Beranger die Rede ist, von dem er nicht<lb/> ohne neidische Regung äußert, „daß der Dichter fast immer als große Volks¬<lb/> stimme vernommen wird. Bei uns in Deutschland ist dergleichen nicht möglich.<lb/> Wir haben keine Stadt soie Paris^, ja wir haben nicht einmal ein Land, von dem<lb/> wir entschieden sagen könnten: hier ist Deutschland! Bloß vor sechzehn Jahren,<lb/> als wir endlich die Franzosen los sein wollten, da war Deutschland überall" :c.<lb/> (folgt noch Bedeutsames genug): „Deutschland überall" im Jahre 1814 auf so<lb/> kurze Zeit, dann eigentlich keins mehr, das wissen ja wir Alten noch aus bitterm<lb/> wurmenden Weh, und nun doch „Deutschland überall" auf immer, oder wir<lb/> müßten nicht wollen, auch ohne ein deutsches Paris, das alles Leben in sich<lb/> aufsaugen will, und das wir gar nicht brauchen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_465"> Auch als Epimenides, dessen er da nicht gedenkt (er dachte offenbar später</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0139]
TagebuchblÄtter eines Sonntagsphilosophen,
als Geheimnis behandelt und dem Briefe nicht anvertrauen mag. Jenes Be¬
kenntnis und Ehrenerklärung des Epimenides stammt aus dem Gedankenkreise,
den Kieser da leider nur andeutet, und wenn man in der Goethegemeinde aller¬
meist nicht daran will, daß da in der altgriechischen Maske der Dichter selber
von sich selber von der Bühne herab zur Nation so rede, so geschieht das wohl
nur, weil er ihnen mit der Selbsterniedrigung zu klein würde; ich sehe ihn nir¬
gends größer als da.
Aus der Stimmung jener Stunde begreift sichs auch, wenn er sich nun
zu dem alten vox xoxuli ?ox asi versteht, das zugleich so tief ist und so flach
sein kann, für ihn gleichfalls eine wahre Selbstüberwindung, eine Selbstüber-
springung. Im siebenten Auftritt singt der Chor:
Brüder, auf! die Welt zu befreien!
Kometen winken, die Stund' ist groß u. s. w.
So erschallt nun Gottes Stimme,
Denn des Volkes Stimme sie erschallt,
Und, entflammt von heilgen Grimme,
Folgt des Blitzes Allgewalt.
Gewalt, Blitz, Grimm, alles sonst so unbrauchbar in Goethes Denk- und Em¬
pfindungswelt, und hier, im Licht aus heiliger Höhe gefaßt, unentbehrlich. Er
war eben über sich selbst erhöht durch die Gewalt der Ereignisse und der na¬
tionalen Erhebung: erhöht, wenn das der Goethegemeinde nicht munden will,
kann man auch sagen, aus seiner Ätherhöhe heruntergeholt in die drangvolle
Wirklichkeit, in der eben allein sich alles Leben bewegt, das doch sonst sein rechtes
Stichwort ist, und hier fand sich doch erst die rechte Höhe für ihn, an der
Spitze der Nation. Auch die Volksstimme, mit der er sich selbst hier vorgreift,
ward ihm noch zu einem unentbehrlichen Begriffe, als er sich nachher immer
mehr darein fand, doch mit der Entwickelung des neuen Zeitgeistes zu gehen,
so weit er konnte; hatte er doch das Gesunde darin selbst halb unbewußt mit
pflanzen und Pflegen helfen. So in dem erwähnten Gespräche mit Eckermann
im Jahre 1830 (3, 216), wo von Beranger die Rede ist, von dem er nicht
ohne neidische Regung äußert, „daß der Dichter fast immer als große Volks¬
stimme vernommen wird. Bei uns in Deutschland ist dergleichen nicht möglich.
Wir haben keine Stadt soie Paris^, ja wir haben nicht einmal ein Land, von dem
wir entschieden sagen könnten: hier ist Deutschland! Bloß vor sechzehn Jahren,
als wir endlich die Franzosen los sein wollten, da war Deutschland überall" :c.
(folgt noch Bedeutsames genug): „Deutschland überall" im Jahre 1814 auf so
kurze Zeit, dann eigentlich keins mehr, das wissen ja wir Alten noch aus bitterm
wurmenden Weh, und nun doch „Deutschland überall" auf immer, oder wir
müßten nicht wollen, auch ohne ein deutsches Paris, das alles Leben in sich
aufsaugen will, und das wir gar nicht brauchen können.
Auch als Epimenides, dessen er da nicht gedenkt (er dachte offenbar später
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