Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Wieder, vom himmlischen Musengott" (Werke 1827 33, 148). Und so kam es, Nun war denn das vaterländische Feuer in Tausenden von Herzen wie Er hat aber das Überspringen seiner selbst, das Schwerste, was einem auf¬ Doch Scham' ich mich der Ruhestunden, Man muß, um das zu begreifen, in den Erinnerungen der Malerin Louise Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Wieder, vom himmlischen Musengott" (Werke 1827 33, 148). Und so kam es, Nun war denn das vaterländische Feuer in Tausenden von Herzen wie Er hat aber das Überspringen seiner selbst, das Schwerste, was einem auf¬ Doch Scham' ich mich der Ruhestunden, Man muß, um das zu begreifen, in den Erinnerungen der Malerin Louise <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289261"/> <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> Wieder, vom himmlischen Musengott" (Werke 1827 33, 148). Und so kam es,<lb/> war schon längst still im Gange.</p><lb/> <p xml:id="ID_459"> Nun war denn das vaterländische Feuer in Tausenden von Herzen wie<lb/> auf seinem heiligen Herde wieder entfacht zur vollen Flamme und leuchtete auch<lb/> aus großen Thaten und Erfolgen in die Welt hinaus, wie es seit Jahrhun¬<lb/> derten nicht mehr geschehen war, leuchtete als ahnungsvolles Morgenrot eines<lb/> neuen vaterländischen Tages. Und Goethe, der selbst den Funken des Prome¬<lb/> theus dazu vom Himmel geholt hatte, wenn auch mehr für die Menschheit als<lb/> für das Deutschtum, sollte dazu treten und es als Priester segnen. Das hat<lb/> er denn gethan in „des Epimenides Erwachen." Er war noch nicht genug<lb/> wieder Deutscher geworden, um es anders thun zu können als in griechischer<lb/> Maske. Das Stück, mit der Spannung der wunderbar gehobenen Zeitstim¬<lb/> mung erwartet, begegnete vieler Enttäuschung. Man brauchte unmittelbare Wir¬<lb/> kung in dem unmittelbaren Leben, das man wieder schmeckte, und sollte sie sich<lb/> durch Gelehrsamkeit vermittelt zusammensuchen, sodaß die Nichtgelehrtcn von<lb/> vornherein davon ausgeschlossen waren. Ja hätte Schiller noch zehn Jahre<lb/> länger leben und das Stück schreiben können, wie hätte er seine hohen Pro¬<lb/> phetenworte vom Jahre 1800 nun nach der politischen Seite, für die er den<lb/> höchsten Sinn hatte, ergänzt vortragen können! Goethe mußte dazu sich gleich¬<lb/> sam selbst überspringen, um ein Jahrzehnt oder mehr über sich selbst hinaus<lb/> und voraus springen, denn bei Eckermann später findet man ihn in Stimmungen<lb/> (z. B. am 14. März 1830), die für die Aufgabe die brauchbaren gewesen wären.</p><lb/> <p xml:id="ID_460"> Er hat aber das Überspringen seiner selbst, das Schwerste, was einem auf¬<lb/> gegeben werden kann, doch auch tapfer geleistet. Er hat als Epimenides die<lb/> düstere Nacht der furchtbaren Zeit verschlafen und verträumt und sieht nun<lb/> beim Erwachen auf einmal die ungeheure Wandlung, sieht, was vollbracht ist<lb/> ohne sein Zuthun, und — erklärt vor seinem Volke geradezu ein x^lor xsevavi,<lb/> sieht es nun über sich, nicht mehr unter sich (2. Aufzug, 9. Auftritt):</p><lb/> <quote> Doch Scham' ich mich der Ruhestunden,<lb/> Mit euch zu leiden war Gewinn:<lb/> Denn sür den Schmerz, den ihr empfunden,<lb/> Seid ihr auch größer als ich bin.</quote><lb/> <p xml:id="ID_461" next="#ID_462"> Man muß, um das zu begreifen, in den Erinnerungen der Malerin Louise<lb/> Seidler nachlesen, wie ihn Professor Kieser bei einem Besuche am 12. De¬<lb/> cember 1813 fand (2. Auflage S. 104), nämlich erschüttert bis in die Grund¬<lb/> festen seines Wesens, weil die Braudung der neuen Begeisterung nun auch in<lb/> Weimar selbst an ihn kam und ihn unentrinnbar umfing, daß es ihm über den<lb/> Wert der Nation und die wahre Bedeutung des Geschehenden recht eigentlich<lb/> wie Schuppen von den Augen fiel; er beichtete in einer unerhörten Aufregung<lb/> vor Kiesern wie vor einem Vertreter der von ihm gekränkten Nation, und ent¬<lb/> wickelte einen großen Plan, wie er selbst nun eingreifen wolle, den Kieser leider</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
Wieder, vom himmlischen Musengott" (Werke 1827 33, 148). Und so kam es,
war schon längst still im Gange.
Nun war denn das vaterländische Feuer in Tausenden von Herzen wie
auf seinem heiligen Herde wieder entfacht zur vollen Flamme und leuchtete auch
aus großen Thaten und Erfolgen in die Welt hinaus, wie es seit Jahrhun¬
derten nicht mehr geschehen war, leuchtete als ahnungsvolles Morgenrot eines
neuen vaterländischen Tages. Und Goethe, der selbst den Funken des Prome¬
theus dazu vom Himmel geholt hatte, wenn auch mehr für die Menschheit als
für das Deutschtum, sollte dazu treten und es als Priester segnen. Das hat
er denn gethan in „des Epimenides Erwachen." Er war noch nicht genug
wieder Deutscher geworden, um es anders thun zu können als in griechischer
Maske. Das Stück, mit der Spannung der wunderbar gehobenen Zeitstim¬
mung erwartet, begegnete vieler Enttäuschung. Man brauchte unmittelbare Wir¬
kung in dem unmittelbaren Leben, das man wieder schmeckte, und sollte sie sich
durch Gelehrsamkeit vermittelt zusammensuchen, sodaß die Nichtgelehrtcn von
vornherein davon ausgeschlossen waren. Ja hätte Schiller noch zehn Jahre
länger leben und das Stück schreiben können, wie hätte er seine hohen Pro¬
phetenworte vom Jahre 1800 nun nach der politischen Seite, für die er den
höchsten Sinn hatte, ergänzt vortragen können! Goethe mußte dazu sich gleich¬
sam selbst überspringen, um ein Jahrzehnt oder mehr über sich selbst hinaus
und voraus springen, denn bei Eckermann später findet man ihn in Stimmungen
(z. B. am 14. März 1830), die für die Aufgabe die brauchbaren gewesen wären.
Er hat aber das Überspringen seiner selbst, das Schwerste, was einem auf¬
gegeben werden kann, doch auch tapfer geleistet. Er hat als Epimenides die
düstere Nacht der furchtbaren Zeit verschlafen und verträumt und sieht nun
beim Erwachen auf einmal die ungeheure Wandlung, sieht, was vollbracht ist
ohne sein Zuthun, und — erklärt vor seinem Volke geradezu ein x^lor xsevavi,
sieht es nun über sich, nicht mehr unter sich (2. Aufzug, 9. Auftritt):
Doch Scham' ich mich der Ruhestunden,
Mit euch zu leiden war Gewinn:
Denn sür den Schmerz, den ihr empfunden,
Seid ihr auch größer als ich bin.
Man muß, um das zu begreifen, in den Erinnerungen der Malerin Louise
Seidler nachlesen, wie ihn Professor Kieser bei einem Besuche am 12. De¬
cember 1813 fand (2. Auflage S. 104), nämlich erschüttert bis in die Grund¬
festen seines Wesens, weil die Braudung der neuen Begeisterung nun auch in
Weimar selbst an ihn kam und ihn unentrinnbar umfing, daß es ihm über den
Wert der Nation und die wahre Bedeutung des Geschehenden recht eigentlich
wie Schuppen von den Augen fiel; er beichtete in einer unerhörten Aufregung
vor Kiesern wie vor einem Vertreter der von ihm gekränkten Nation, und ent¬
wickelte einen großen Plan, wie er selbst nun eingreifen wolle, den Kieser leider
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