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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Marskarten.

plötzlich verdoppelt erschienen, mußte zu den überraschendsten Kombinationen
führen. Diese neuen Kanäle erschienen so regelmäßig gebaut, daß sie den alten
genau parallel folgten und dieselbe Breite hatten. So lange man über die Art
und Zeitdauer der Bildung dieser neuen Erscheinungen nichts näheres beobachtet
hatte, konnte man über ihr Entstehen die kühnsten Hypothesen äußern, und es
lag der Gedanke nicht fern, sie für künstliche Bauwerke zu halten. Indessen
diese Hypothese mußte fallen, sobald die kurze Zeitdauer ihrer Bildung beobachtet
war. Von den mehr als zwanzig neuen Kanälen, die Schiciparelli auf seiner
Karte verzeichnen konnte, wollen wir nur die Bildungsweise eines einzigen heraus¬
greifen. In der Gegend des südlichen Wendekreises konnte 1877 kein einziger
Kanal doppelt gesehen werden. Der große, auf der Karte Nil benannte Kanal
erschien bis zum 24. Dezember 1879 scharf ausgesprochen, einfach. Aber schon
am 26. Dezember war die Verdoppelung des Kanals zu sehen. Auch Anfang
1882 war sie, nachdem sie kurz zuvor noch unsichtbar gewesen war, deutlich
wieder zu sehen und konnte vom 12. Januar bis Ende Februar gut verfolgt
werden. In den beiden folgenden Annäherungen des Mars an die Erde 1884
und 1886 wurden die Einzelheiten der Marskarte immer wieder in Übereinstim¬
mung mit dem Himmel gefunden und weitere neue kleine Bildungen beobachtet.
Im Frühjahr des laufenden Jahres hat auch der Nizzaer Astronom Perrotin
einige neue bemerkenswerte Veränderungen am Mars beobachtet, die er in eine
von ihm entworfene Marskarte eingezeichnet hat. Perrotin meint, die Mars¬
kanäle erschienen bestimmt als Verbindungen zwischen den Meeren der beiden
Marshalbkugeln, oder auch um die einzelnen Teile desselben Meeres zu ver¬
binden, oder schließlich auch als Verbindungen zwischen den Kanälen selbst. Und
in der That zeigt die Marskarte ein solches Gewirr durcheinander laufender
dunkler Linien. Während das Aussehen dieser Kanäle nach Perrotin gegen
die Erscheinung von 1886 in diesem Jahre sich im allgemeinen nicht verändert
hat, zeigten sich vor zwei Monaten gegen die frühern Jahre doch drei auffällige
Veränderungen am Mars. Die merkwürdigste ist das jetzt völlige Verschwunden¬
sein eines Festlandes von der Größe Deutschlands, das 1886 noch gut zu sehen
war und auch auf der ältern Karte des Mars verzeichnet ist. Dieses Land
lag in der Nähe des Äquators und war im Süden und Osten durch ein Meer
begrenzt; es macht den Eindruck, als wenn es vom Meere verschlungen worden
wäre. Ferner enthalten die frühern Marskarten, die viel kleinere Gebilde in
großer Vollständigkeit haben, einen Kanal nicht, der jetzt gut sichtbar ist, eine
Länge von 20 Grad hat und wegen seiner Augenfälligkeit nicht übersehen werden
kann. Dieser Kanal liegt im Norden des verschwundenen Festlandes und muß
eine neue Bildung sein, die innerhalb der letzten zwei Jahre entstanden ist. Eine
dritte auffällige Veränderung gegenüber den bisherigen Marskarten ist ein großer
Kanal, der durch das Nordpolareis des Mars zieht und sich weiter über den
Planeten erstreckt.


Marskarten.

plötzlich verdoppelt erschienen, mußte zu den überraschendsten Kombinationen
führen. Diese neuen Kanäle erschienen so regelmäßig gebaut, daß sie den alten
genau parallel folgten und dieselbe Breite hatten. So lange man über die Art
und Zeitdauer der Bildung dieser neuen Erscheinungen nichts näheres beobachtet
hatte, konnte man über ihr Entstehen die kühnsten Hypothesen äußern, und es
lag der Gedanke nicht fern, sie für künstliche Bauwerke zu halten. Indessen
diese Hypothese mußte fallen, sobald die kurze Zeitdauer ihrer Bildung beobachtet
war. Von den mehr als zwanzig neuen Kanälen, die Schiciparelli auf seiner
Karte verzeichnen konnte, wollen wir nur die Bildungsweise eines einzigen heraus¬
greifen. In der Gegend des südlichen Wendekreises konnte 1877 kein einziger
Kanal doppelt gesehen werden. Der große, auf der Karte Nil benannte Kanal
erschien bis zum 24. Dezember 1879 scharf ausgesprochen, einfach. Aber schon
am 26. Dezember war die Verdoppelung des Kanals zu sehen. Auch Anfang
1882 war sie, nachdem sie kurz zuvor noch unsichtbar gewesen war, deutlich
wieder zu sehen und konnte vom 12. Januar bis Ende Februar gut verfolgt
werden. In den beiden folgenden Annäherungen des Mars an die Erde 1884
und 1886 wurden die Einzelheiten der Marskarte immer wieder in Übereinstim¬
mung mit dem Himmel gefunden und weitere neue kleine Bildungen beobachtet.
Im Frühjahr des laufenden Jahres hat auch der Nizzaer Astronom Perrotin
einige neue bemerkenswerte Veränderungen am Mars beobachtet, die er in eine
von ihm entworfene Marskarte eingezeichnet hat. Perrotin meint, die Mars¬
kanäle erschienen bestimmt als Verbindungen zwischen den Meeren der beiden
Marshalbkugeln, oder auch um die einzelnen Teile desselben Meeres zu ver¬
binden, oder schließlich auch als Verbindungen zwischen den Kanälen selbst. Und
in der That zeigt die Marskarte ein solches Gewirr durcheinander laufender
dunkler Linien. Während das Aussehen dieser Kanäle nach Perrotin gegen
die Erscheinung von 1886 in diesem Jahre sich im allgemeinen nicht verändert
hat, zeigten sich vor zwei Monaten gegen die frühern Jahre doch drei auffällige
Veränderungen am Mars. Die merkwürdigste ist das jetzt völlige Verschwunden¬
sein eines Festlandes von der Größe Deutschlands, das 1886 noch gut zu sehen
war und auch auf der ältern Karte des Mars verzeichnet ist. Dieses Land
lag in der Nähe des Äquators und war im Süden und Osten durch ein Meer
begrenzt; es macht den Eindruck, als wenn es vom Meere verschlungen worden
wäre. Ferner enthalten die frühern Marskarten, die viel kleinere Gebilde in
großer Vollständigkeit haben, einen Kanal nicht, der jetzt gut sichtbar ist, eine
Länge von 20 Grad hat und wegen seiner Augenfälligkeit nicht übersehen werden
kann. Dieser Kanal liegt im Norden des verschwundenen Festlandes und muß
eine neue Bildung sein, die innerhalb der letzten zwei Jahre entstanden ist. Eine
dritte auffällige Veränderung gegenüber den bisherigen Marskarten ist ein großer
Kanal, der durch das Nordpolareis des Mars zieht und sich weiter über den
Planeten erstreckt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/132>, abgerufen am 22.07.2024.