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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Wie wir sehen, wird die Marskarte immer mehr vervollkommnet, gerade
so, wie etwa in den letzten Jahren unsre Karten von Afrika immer mehr Einzel¬
heiten erhalten haben. Nur in einem Punkte unterscheiden sich noch die beiden
Kartenwerke: die Marskarten scheinen periodischen Veränderungen unterworfen
zu sein, was bei den Erdkarten kaum vorkommt. Dazu kommt, daß die bis¬
herigen Beobachtungen des Mars das Vorhandensein einer sehr bedeutenden
Atmosphäre um ihn gezeigt haben und die Anwesenheit sehr großer Flüssigkeits¬
massen wahrscheinlich machen. Daraus läßt sich vermuten, daß das zeitweilige
Unsichtbarsein so mächtiger Kanäle entweder durch die zufällige Beschaffenheit
der Atmosphäre hervorgerufen sei, oder daß sie wirklich zu Zeiten, von Flüssig¬
keiten frei, wie Länderstrecken erscheinen, zu andern wieder wirklich Wasserstraßen
seien. Recht gut würde dazu auch die Annahme passen, daß das Überfluten
eines so großen Ländergebietes, wie es in diesem Frühjahre beobachtet worden
ist, in der Wechselwirkung zwischen Meer und Atmosphäre seine Ursache habe.
Hoffentlich werde" wir bei den zu erwartenden Annäherungen des Mars in
den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts noch näheres über diese merkwürdigen
Verhältnisse erfahren. Ob wir freilich jemals in die Lage kommen werden,
eine Reliefkarte des Mars zu gewinnen, wie wir sie von der Erde und auch
vom Monde bereits haben, muß man jetzt noch stark bezweifeln.




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
Prophezeiungen.
(Schluß.)

ber es drängt mich zum Ende, auch über die Zeit hinweg, die
nach jenen Träumen von 1800 in so furchtbarem Widerspruche
folgen sollte, über das verzweifelte Wanken und Schwanken
unsrer äußern und innern Zustände hinweg, wo eintraf, was
Leibniz und schon Nicolaus von Cues voraus gefürchtet hatten,
daß Deutschland zusammenbrach und alles durcheinander purzelte unter den
Schlägen und Fußtritten des westlichen Nachbarn, der seit Jahrhunderten auf
den Augenblick gelauert und ihn, an uns von außen und innen nagend, unter
Mitwirkung der Vaterlandsverräter vorbereitet hatte. Gab es doch Deutsche, die
in der verzweifelten Lage in Napoleon selbst den Gotteshelden sehen wollten, der
die Welt, auch die deutsche, verjüngen sollte, als wäre er der deutsche Held der


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Wie wir sehen, wird die Marskarte immer mehr vervollkommnet, gerade
so, wie etwa in den letzten Jahren unsre Karten von Afrika immer mehr Einzel¬
heiten erhalten haben. Nur in einem Punkte unterscheiden sich noch die beiden
Kartenwerke: die Marskarten scheinen periodischen Veränderungen unterworfen
zu sein, was bei den Erdkarten kaum vorkommt. Dazu kommt, daß die bis¬
herigen Beobachtungen des Mars das Vorhandensein einer sehr bedeutenden
Atmosphäre um ihn gezeigt haben und die Anwesenheit sehr großer Flüssigkeits¬
massen wahrscheinlich machen. Daraus läßt sich vermuten, daß das zeitweilige
Unsichtbarsein so mächtiger Kanäle entweder durch die zufällige Beschaffenheit
der Atmosphäre hervorgerufen sei, oder daß sie wirklich zu Zeiten, von Flüssig¬
keiten frei, wie Länderstrecken erscheinen, zu andern wieder wirklich Wasserstraßen
seien. Recht gut würde dazu auch die Annahme passen, daß das Überfluten
eines so großen Ländergebietes, wie es in diesem Frühjahre beobachtet worden
ist, in der Wechselwirkung zwischen Meer und Atmosphäre seine Ursache habe.
Hoffentlich werde» wir bei den zu erwartenden Annäherungen des Mars in
den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts noch näheres über diese merkwürdigen
Verhältnisse erfahren. Ob wir freilich jemals in die Lage kommen werden,
eine Reliefkarte des Mars zu gewinnen, wie wir sie von der Erde und auch
vom Monde bereits haben, muß man jetzt noch stark bezweifeln.




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
Prophezeiungen.
(Schluß.)

ber es drängt mich zum Ende, auch über die Zeit hinweg, die
nach jenen Träumen von 1800 in so furchtbarem Widerspruche
folgen sollte, über das verzweifelte Wanken und Schwanken
unsrer äußern und innern Zustände hinweg, wo eintraf, was
Leibniz und schon Nicolaus von Cues voraus gefürchtet hatten,
daß Deutschland zusammenbrach und alles durcheinander purzelte unter den
Schlägen und Fußtritten des westlichen Nachbarn, der seit Jahrhunderten auf
den Augenblick gelauert und ihn, an uns von außen und innen nagend, unter
Mitwirkung der Vaterlandsverräter vorbereitet hatte. Gab es doch Deutsche, die
in der verzweifelten Lage in Napoleon selbst den Gotteshelden sehen wollten, der
die Welt, auch die deutsche, verjüngen sollte, als wäre er der deutsche Held der


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[0133] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Wie wir sehen, wird die Marskarte immer mehr vervollkommnet, gerade so, wie etwa in den letzten Jahren unsre Karten von Afrika immer mehr Einzel¬ heiten erhalten haben. Nur in einem Punkte unterscheiden sich noch die beiden Kartenwerke: die Marskarten scheinen periodischen Veränderungen unterworfen zu sein, was bei den Erdkarten kaum vorkommt. Dazu kommt, daß die bis¬ herigen Beobachtungen des Mars das Vorhandensein einer sehr bedeutenden Atmosphäre um ihn gezeigt haben und die Anwesenheit sehr großer Flüssigkeits¬ massen wahrscheinlich machen. Daraus läßt sich vermuten, daß das zeitweilige Unsichtbarsein so mächtiger Kanäle entweder durch die zufällige Beschaffenheit der Atmosphäre hervorgerufen sei, oder daß sie wirklich zu Zeiten, von Flüssig¬ keiten frei, wie Länderstrecken erscheinen, zu andern wieder wirklich Wasserstraßen seien. Recht gut würde dazu auch die Annahme passen, daß das Überfluten eines so großen Ländergebietes, wie es in diesem Frühjahre beobachtet worden ist, in der Wechselwirkung zwischen Meer und Atmosphäre seine Ursache habe. Hoffentlich werde» wir bei den zu erwartenden Annäherungen des Mars in den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts noch näheres über diese merkwürdigen Verhältnisse erfahren. Ob wir freilich jemals in die Lage kommen werden, eine Reliefkarte des Mars zu gewinnen, wie wir sie von der Erde und auch vom Monde bereits haben, muß man jetzt noch stark bezweifeln. Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Prophezeiungen. (Schluß.) ber es drängt mich zum Ende, auch über die Zeit hinweg, die nach jenen Träumen von 1800 in so furchtbarem Widerspruche folgen sollte, über das verzweifelte Wanken und Schwanken unsrer äußern und innern Zustände hinweg, wo eintraf, was Leibniz und schon Nicolaus von Cues voraus gefürchtet hatten, daß Deutschland zusammenbrach und alles durcheinander purzelte unter den Schlägen und Fußtritten des westlichen Nachbarn, der seit Jahrhunderten auf den Augenblick gelauert und ihn, an uns von außen und innen nagend, unter Mitwirkung der Vaterlandsverräter vorbereitet hatte. Gab es doch Deutsche, die in der verzweifelten Lage in Napoleon selbst den Gotteshelden sehen wollten, der die Welt, auch die deutsche, verjüngen sollte, als wäre er der deutsche Held der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/133>, abgerufen am 22.07.2024.