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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

von ganz andrer Seite gefährdet war, als von Seiten der Regierung, und daß
die Thatsachen keinen hinreichenden Anlaß geboten hatten zu dem schändlichen
Lärm der freisinnigen Redner am letzten Tage der Session des Abgeordneten¬
hauses, wo Herr Richter von Bismarck als einem Staatsverräter gesprochen
hatte; dem Kaiser hat er dann die Äußerung vom "treffenden Worte zu rechter
Zeit" zugeschoben. Gelang Puttkamer der Nachweis nicht, so mußte man auf
seinen Rücktritt gefaßt sein, und was sich daran weiter anschließen würde, das
ließ sich noch gar nicht übersehen. Für jetzt verlautete nur, daß der aller¬
höchsten Genehmigung des Gesetzes später ein Erlaß eines die Wahlfreiheit
sichernden Aktes folgen solle. Etwas Angenehmeres hätte nun dem Freisinn
und den Ultramontanen gar nicht begegnen können, als die Veröffentlichung
eines kaiserlichen Erlasses für Freiheit der Wahlen, über die doch bisher und
wieder im letzten Abgeordnetenhause von allen Parteien gewacht worden war.
Erfolgte ein solcher Erlaß, so konnten Herr Richter und seine schwarzen und
roten Kumpane dem Kaiser in derselben Stellung zeigen, die sie so heuchlerisch
bisher angenommen hatten, wenn sie den letzten Reichstag, der uns vor dem
schwersten Unheil bewahrt hat, als ein Angstprodukt des mißleiteten Volkes
darstellten. Auch mußte ein solcher Erlaß ganz von selbst die Folge haben,
daß während der Wahlzeit das Kommando der Herren Richter und Windthorst
an die Stelle der Regierung trat. Und damit wäre ja den wackern Patrioten
geholfen gewesen.

So war denn wieder eine neue Krisis im Anzüge, die der Kompagnie der
dcutschfreisiunigen Streber heraufzubeschwören glücklich gelungen war. Schließlich
schien sie damit beigelegt, daß der Staatsanzeiger amtlich das die Verlängerung
der Legislaturperiode des preußischen Abgeordnetenhauses betreffende Gesetz ver¬
öffentlichte. Ein Wahlerlaß, der sich gegen Puttkamer gewendet hätte, erschien
nicht. Man durfte darum wohl annehmen, daß es dem Minister gelungen sei,
durch seine schriftliche Darlegung seine bisherigen Verwaltungsgrundscitzc als
im Einklang mit dem kaiserlichen Erlaß vom 4. Januar 1882 stehend nachzu¬
weisen. Da gelangte aber tags darauf ein neues Schreiben des Kaisers be¬
züglich der Wahlen, unerwartet für alle Beteiligten, an Puttkamer, und nun
war es wohl keine Frage, daß der Minister xsrsoua, WZraw war. Dies allein
hat seinen Sturz bewirkt. Als die Entlassung genehmigt war, zeigte es sich,
daß dem Freisinn der ganze Lärm gegen Puttkamer nur soweit von wirklichem
Belang war, als er damit Bismarck treffen könnte. Sie nannten Puttkamer
und meinten Bismarck. Die Volkszeitung sagte das ganz deutlich in ihrem
Artikel über "Freiheit der Wahlen": "Gesetzt den günstigsten Fall, es käme
an die Stelle des Herrn von Puttkamer ein Minister des Innern, der diesen
oder jenen Auswuchs beseitigte oder milderte, so wären derartige "Verbesse¬
rungen," die, so lange Fürst Bismarck am Ruder bleibt, äußerst geringfügig
sein könnten, eher schädlich als nützlich." Was war das wiederum anders als


Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

von ganz andrer Seite gefährdet war, als von Seiten der Regierung, und daß
die Thatsachen keinen hinreichenden Anlaß geboten hatten zu dem schändlichen
Lärm der freisinnigen Redner am letzten Tage der Session des Abgeordneten¬
hauses, wo Herr Richter von Bismarck als einem Staatsverräter gesprochen
hatte; dem Kaiser hat er dann die Äußerung vom „treffenden Worte zu rechter
Zeit" zugeschoben. Gelang Puttkamer der Nachweis nicht, so mußte man auf
seinen Rücktritt gefaßt sein, und was sich daran weiter anschließen würde, das
ließ sich noch gar nicht übersehen. Für jetzt verlautete nur, daß der aller¬
höchsten Genehmigung des Gesetzes später ein Erlaß eines die Wahlfreiheit
sichernden Aktes folgen solle. Etwas Angenehmeres hätte nun dem Freisinn
und den Ultramontanen gar nicht begegnen können, als die Veröffentlichung
eines kaiserlichen Erlasses für Freiheit der Wahlen, über die doch bisher und
wieder im letzten Abgeordnetenhause von allen Parteien gewacht worden war.
Erfolgte ein solcher Erlaß, so konnten Herr Richter und seine schwarzen und
roten Kumpane dem Kaiser in derselben Stellung zeigen, die sie so heuchlerisch
bisher angenommen hatten, wenn sie den letzten Reichstag, der uns vor dem
schwersten Unheil bewahrt hat, als ein Angstprodukt des mißleiteten Volkes
darstellten. Auch mußte ein solcher Erlaß ganz von selbst die Folge haben,
daß während der Wahlzeit das Kommando der Herren Richter und Windthorst
an die Stelle der Regierung trat. Und damit wäre ja den wackern Patrioten
geholfen gewesen.

So war denn wieder eine neue Krisis im Anzüge, die der Kompagnie der
dcutschfreisiunigen Streber heraufzubeschwören glücklich gelungen war. Schließlich
schien sie damit beigelegt, daß der Staatsanzeiger amtlich das die Verlängerung
der Legislaturperiode des preußischen Abgeordnetenhauses betreffende Gesetz ver¬
öffentlichte. Ein Wahlerlaß, der sich gegen Puttkamer gewendet hätte, erschien
nicht. Man durfte darum wohl annehmen, daß es dem Minister gelungen sei,
durch seine schriftliche Darlegung seine bisherigen Verwaltungsgrundscitzc als
im Einklang mit dem kaiserlichen Erlaß vom 4. Januar 1882 stehend nachzu¬
weisen. Da gelangte aber tags darauf ein neues Schreiben des Kaisers be¬
züglich der Wahlen, unerwartet für alle Beteiligten, an Puttkamer, und nun
war es wohl keine Frage, daß der Minister xsrsoua, WZraw war. Dies allein
hat seinen Sturz bewirkt. Als die Entlassung genehmigt war, zeigte es sich,
daß dem Freisinn der ganze Lärm gegen Puttkamer nur soweit von wirklichem
Belang war, als er damit Bismarck treffen könnte. Sie nannten Puttkamer
und meinten Bismarck. Die Volkszeitung sagte das ganz deutlich in ihrem
Artikel über „Freiheit der Wahlen": „Gesetzt den günstigsten Fall, es käme
an die Stelle des Herrn von Puttkamer ein Minister des Innern, der diesen
oder jenen Auswuchs beseitigte oder milderte, so wären derartige »Verbesse¬
rungen,« die, so lange Fürst Bismarck am Ruder bleibt, äußerst geringfügig
sein könnten, eher schädlich als nützlich." Was war das wiederum anders als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/117>, abgerufen am 24.08.2024.