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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

das alte: Fort mit Bismarck! das man eben nicht so schlechtweg rufen darf,
jetzt wie ehedem, weil man damit selbst die gänzlich Unwissenden vor den Kopf
stößt. Es muß feiner operirt werden. Vor allen Dingen brauchte man eine
fortschrittliche Majorität, zu der es nur kommen konnte, wenn man Herrn
von Puttkamer als Angriffsziel nahm. Man rechnete so, daß, wenn es gelänge,
ihn zu beseitigen, schon jetzt die freisinnige Mythe Glauben finden mußte, daß
auch der Kaiser die vollendete Wahlniederlage des Freisinns als ein Werk amt¬
licher Beeinflussung der Wahlen ansahe. Und damit glaubte man den Sieg
schon in den Händen zu haben, umso mehr, als man Wege gefunden hatte, nicht
bis zum Kaiser selbst, aber bis in seine Nähe zu kommen. Dieselbe Quelle,
aus der schon in San Remo die Preßpiraten ihre Nachrichten gezogen hatten,
schien jetzt noch reichlicher zu fließen. Eugen Richter war in der letzten Zeit
immer prompt in den Stand gesetzt, über gewisse Vorgänge bei Hofe schnell
berichten zu können. Von allen übrigen Zeitungen schrieb er zuerst in seinem
Blatte (9. Juni): "Der Angriff der freisinnigen Partei auf das System Putt¬
kamer in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses ist von dem erhofften
Erfolge gekrönt worden. Das treffende Wort zur rechten Zeit hat seine Wir¬
kung nicht verfehlt." Er berichtete zuerst, daß durch ein zweites eigenhändiges
Schreiben des Kaisers dem Herrn von Puttkamer kund gegeben worden sei, daß
dessen Nechtfertigungsschrift für nicht genügend befunden worden sei, worauf
Puttkamer seine Entlassung eingereicht habe, "deren Gewährung außer aller
Frage" stehe. Einen Teil ihres vielerstrebten Zieles schien also die freisinnige
Kamarilla in der That erreicht zu haben. In der Dresdner fortschrittlichen
Versammlung am Sonntage vor des Kaisers Tode, in welcher unter den sechs¬
hundert Teilnehmern etwa ein Drittel Sozialdemokraten und ein Drittel Neu¬
gierige waren, ließen denn auch schon Alexander Meyer und Munckel den Ge¬
danken hervorschimmern, daß sie, die Freisinnigen, bald an die Reihe kämen.
Und nach Ihnen wir! klang es schrill aus der Sozialistentruppe, der freisinnigen
Herrlichkeit nur kurze Dauer verheißend.

Lange sollte diese Herrlichkeit nun allerdings nicht sein; nicht etwa wegen
sozialdemokratischer Nachfolge, auch nicht deshalb, weil der Tod Kaiser Friedrichs
den Freisinnigen die Hoffnung genommen hätte, wie sie flunkern, sondern weil
Kaiser Friedrich selbst noch seine klare Willensmeinung, wie er regiert zu sehen
wünsche, dadurch kund gab, daß er zwei Tage vor seinem Heimgange den
Ministerpräsidenten beauftragte, mit dem Grafen Zedlitz in Verbindung zu treten
wegen Übernahme des Ministeriums des Innern. Dieser letzte Negierungsakt des
Kaisers war die deutlichste Sprache, wodurch der Deutschfrcisinn den Abschied er¬
hielt. Berufen sich die Freisinnigen für ihrem Bestrebungen auch noch nach solchem
Abschiede auf Kaiser Friedrich, so ist das der gewohnte fortschrittliche Schwindel.

Eines aber wollen wir nicht vergessen, das ist der Dank, den wir dem
Reichskanzler dafür schulden, daß er sich in der trübsten Zeit nicht hat hinweg-


Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

das alte: Fort mit Bismarck! das man eben nicht so schlechtweg rufen darf,
jetzt wie ehedem, weil man damit selbst die gänzlich Unwissenden vor den Kopf
stößt. Es muß feiner operirt werden. Vor allen Dingen brauchte man eine
fortschrittliche Majorität, zu der es nur kommen konnte, wenn man Herrn
von Puttkamer als Angriffsziel nahm. Man rechnete so, daß, wenn es gelänge,
ihn zu beseitigen, schon jetzt die freisinnige Mythe Glauben finden mußte, daß
auch der Kaiser die vollendete Wahlniederlage des Freisinns als ein Werk amt¬
licher Beeinflussung der Wahlen ansahe. Und damit glaubte man den Sieg
schon in den Händen zu haben, umso mehr, als man Wege gefunden hatte, nicht
bis zum Kaiser selbst, aber bis in seine Nähe zu kommen. Dieselbe Quelle,
aus der schon in San Remo die Preßpiraten ihre Nachrichten gezogen hatten,
schien jetzt noch reichlicher zu fließen. Eugen Richter war in der letzten Zeit
immer prompt in den Stand gesetzt, über gewisse Vorgänge bei Hofe schnell
berichten zu können. Von allen übrigen Zeitungen schrieb er zuerst in seinem
Blatte (9. Juni): „Der Angriff der freisinnigen Partei auf das System Putt¬
kamer in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses ist von dem erhofften
Erfolge gekrönt worden. Das treffende Wort zur rechten Zeit hat seine Wir¬
kung nicht verfehlt." Er berichtete zuerst, daß durch ein zweites eigenhändiges
Schreiben des Kaisers dem Herrn von Puttkamer kund gegeben worden sei, daß
dessen Nechtfertigungsschrift für nicht genügend befunden worden sei, worauf
Puttkamer seine Entlassung eingereicht habe, „deren Gewährung außer aller
Frage" stehe. Einen Teil ihres vielerstrebten Zieles schien also die freisinnige
Kamarilla in der That erreicht zu haben. In der Dresdner fortschrittlichen
Versammlung am Sonntage vor des Kaisers Tode, in welcher unter den sechs¬
hundert Teilnehmern etwa ein Drittel Sozialdemokraten und ein Drittel Neu¬
gierige waren, ließen denn auch schon Alexander Meyer und Munckel den Ge¬
danken hervorschimmern, daß sie, die Freisinnigen, bald an die Reihe kämen.
Und nach Ihnen wir! klang es schrill aus der Sozialistentruppe, der freisinnigen
Herrlichkeit nur kurze Dauer verheißend.

Lange sollte diese Herrlichkeit nun allerdings nicht sein; nicht etwa wegen
sozialdemokratischer Nachfolge, auch nicht deshalb, weil der Tod Kaiser Friedrichs
den Freisinnigen die Hoffnung genommen hätte, wie sie flunkern, sondern weil
Kaiser Friedrich selbst noch seine klare Willensmeinung, wie er regiert zu sehen
wünsche, dadurch kund gab, daß er zwei Tage vor seinem Heimgange den
Ministerpräsidenten beauftragte, mit dem Grafen Zedlitz in Verbindung zu treten
wegen Übernahme des Ministeriums des Innern. Dieser letzte Negierungsakt des
Kaisers war die deutlichste Sprache, wodurch der Deutschfrcisinn den Abschied er¬
hielt. Berufen sich die Freisinnigen für ihrem Bestrebungen auch noch nach solchem
Abschiede auf Kaiser Friedrich, so ist das der gewohnte fortschrittliche Schwindel.

Eines aber wollen wir nicht vergessen, das ist der Dank, den wir dem
Reichskanzler dafür schulden, daß er sich in der trübsten Zeit nicht hat hinweg-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/118>, abgerufen am 22.07.2024.