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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Doutschfreistnnigen während der Regiorungszeit Kaiser Friedrichs.

Seit beinahe drei Monaten hatte das fortschrittliche Parlamentsstrebcrtnm
alles mögliche an Lüge und Verdrehung geleistet, um die Leitung der vater¬
ländischen Geschicke in die Hände eines Richter, Hamel, Rickert, Bamberger zu
bringen; an Liebedienerei hatten sie es nicht fehlen lassen. So stellte Herr Rickert
sich als den getreuen Eckart der Krone hin, die er gegen den "Hausmeier" ver¬
teidigen zu müssen glaubte, und verkündigte laut: "Wir können uns denken,
daß die Krone etwas andres will, als der jeweilige Minister, und dann müssen
wir die Interessen der Krone wahrnehmen." Was das für eine Krone war,
verriet freilich Herr Rickert nur zu deutlich, wenn er an demselben Tage sagte:
"Der zahlende Wähler ist der eigentliche Träger der Staatsgewalt."

Man sieht, wie wahr es ist, daß die Lüge auch das logische Denken
verdirbt. Wie korrumpirt das politische Denken dieser fortschrittlichen Herren
ist, zeigte der Fall Techow. Dieser gab der Volkszeitung in mehreren Artikeln
Veranlassung, in dem "Militarismus" wieder einmal den "Moloch" zu sehen,
der alles Glück des Landes verschlingt. Daß die Volkszeitung für ihre Bilder
auf die Sprache Kanaans zurückgreift, ist nur natürlich, und daß sie die Ge¬
schichte sich zurecht macht nach der Weise der Geschichtschreiber Kanaans, ist
auch natürlich. So schrieb sie denn: "Die bedrohte Disziplin des Heeres hat
nicht gehindert, daß der Hauptmann von Natzmer, der gegen diese Disziplin
sich noch schwerer versündigt hatte als Techow, bereits nach einigen Monaten
begnadigt wurde." Der Hauptmann von Natzmer war Kommandant des Zeug¬
hauses bei dem Sturme desselben 1848 gewesen und war durch die gefälschte
Darstellung des Premierleutnants Techow über die Vorgänge und den Willen
des Königs so berichtet worden, daß er sich für berechtigt hielt, das Zeughaus
der Masse zu übergeben. Natzmer hatte darin gefehlt, daß er den Worten
Techows vertraut und sich den königlichen Befehl nicht schriftlich hatte über¬
geben lassen. Das war also "die schwerere Versündigung" Natzmers gegen
die Disziplin im Vergleich mit Techow. Natzmer machte sodann den Feldzug
gegen die Aufständischen in Baden als gemeiner Soldat mit, wobei er den
Tod suchte, um von dem guten Namen seiner Familie den Flecken wieder ab-
zuwaschen. Das nennt die Volkszeitung "Begnadigung." So suchte man teils
mit Liebedienerei, teils mit Lügen dem Herrscher nahe zu kommen und seinen
Willen zu beeinflussen.

Aber alle diese Künste waren doch bis jetzt, wenigstens in entscheidenden
Dingen, ohne Erfolg gewesen. Nunmehr schien dieser endlich zu winken. Die
Veröffentlichung des Gesetzes über die fünfjährige Dauer der preußischen Ab¬
geordnetenmandate war vom König einstweilen ausgesetzt worden. Schließlich
war aber das Gesetz mit der königlichen Unterschrift vollzogen und an den
Minister von Puttkamer mit einem Schreiben gesandt worden, das die Freiheit
der Wahlen verlangte. Es kam nun dem Minister darauf an, daß er vor der
Publikation des Gesetzes den König überzeugte, daß die Freiheit der Wahlen


Die Doutschfreistnnigen während der Regiorungszeit Kaiser Friedrichs.

Seit beinahe drei Monaten hatte das fortschrittliche Parlamentsstrebcrtnm
alles mögliche an Lüge und Verdrehung geleistet, um die Leitung der vater¬
ländischen Geschicke in die Hände eines Richter, Hamel, Rickert, Bamberger zu
bringen; an Liebedienerei hatten sie es nicht fehlen lassen. So stellte Herr Rickert
sich als den getreuen Eckart der Krone hin, die er gegen den „Hausmeier" ver¬
teidigen zu müssen glaubte, und verkündigte laut: „Wir können uns denken,
daß die Krone etwas andres will, als der jeweilige Minister, und dann müssen
wir die Interessen der Krone wahrnehmen." Was das für eine Krone war,
verriet freilich Herr Rickert nur zu deutlich, wenn er an demselben Tage sagte:
„Der zahlende Wähler ist der eigentliche Träger der Staatsgewalt."

Man sieht, wie wahr es ist, daß die Lüge auch das logische Denken
verdirbt. Wie korrumpirt das politische Denken dieser fortschrittlichen Herren
ist, zeigte der Fall Techow. Dieser gab der Volkszeitung in mehreren Artikeln
Veranlassung, in dem „Militarismus" wieder einmal den „Moloch" zu sehen,
der alles Glück des Landes verschlingt. Daß die Volkszeitung für ihre Bilder
auf die Sprache Kanaans zurückgreift, ist nur natürlich, und daß sie die Ge¬
schichte sich zurecht macht nach der Weise der Geschichtschreiber Kanaans, ist
auch natürlich. So schrieb sie denn: „Die bedrohte Disziplin des Heeres hat
nicht gehindert, daß der Hauptmann von Natzmer, der gegen diese Disziplin
sich noch schwerer versündigt hatte als Techow, bereits nach einigen Monaten
begnadigt wurde." Der Hauptmann von Natzmer war Kommandant des Zeug¬
hauses bei dem Sturme desselben 1848 gewesen und war durch die gefälschte
Darstellung des Premierleutnants Techow über die Vorgänge und den Willen
des Königs so berichtet worden, daß er sich für berechtigt hielt, das Zeughaus
der Masse zu übergeben. Natzmer hatte darin gefehlt, daß er den Worten
Techows vertraut und sich den königlichen Befehl nicht schriftlich hatte über¬
geben lassen. Das war also „die schwerere Versündigung" Natzmers gegen
die Disziplin im Vergleich mit Techow. Natzmer machte sodann den Feldzug
gegen die Aufständischen in Baden als gemeiner Soldat mit, wobei er den
Tod suchte, um von dem guten Namen seiner Familie den Flecken wieder ab-
zuwaschen. Das nennt die Volkszeitung „Begnadigung." So suchte man teils
mit Liebedienerei, teils mit Lügen dem Herrscher nahe zu kommen und seinen
Willen zu beeinflussen.

Aber alle diese Künste waren doch bis jetzt, wenigstens in entscheidenden
Dingen, ohne Erfolg gewesen. Nunmehr schien dieser endlich zu winken. Die
Veröffentlichung des Gesetzes über die fünfjährige Dauer der preußischen Ab¬
geordnetenmandate war vom König einstweilen ausgesetzt worden. Schließlich
war aber das Gesetz mit der königlichen Unterschrift vollzogen und an den
Minister von Puttkamer mit einem Schreiben gesandt worden, das die Freiheit
der Wahlen verlangte. Es kam nun dem Minister darauf an, daß er vor der
Publikation des Gesetzes den König überzeugte, daß die Freiheit der Wahlen


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[0116] Die Doutschfreistnnigen während der Regiorungszeit Kaiser Friedrichs. Seit beinahe drei Monaten hatte das fortschrittliche Parlamentsstrebcrtnm alles mögliche an Lüge und Verdrehung geleistet, um die Leitung der vater¬ ländischen Geschicke in die Hände eines Richter, Hamel, Rickert, Bamberger zu bringen; an Liebedienerei hatten sie es nicht fehlen lassen. So stellte Herr Rickert sich als den getreuen Eckart der Krone hin, die er gegen den „Hausmeier" ver¬ teidigen zu müssen glaubte, und verkündigte laut: „Wir können uns denken, daß die Krone etwas andres will, als der jeweilige Minister, und dann müssen wir die Interessen der Krone wahrnehmen." Was das für eine Krone war, verriet freilich Herr Rickert nur zu deutlich, wenn er an demselben Tage sagte: „Der zahlende Wähler ist der eigentliche Träger der Staatsgewalt." Man sieht, wie wahr es ist, daß die Lüge auch das logische Denken verdirbt. Wie korrumpirt das politische Denken dieser fortschrittlichen Herren ist, zeigte der Fall Techow. Dieser gab der Volkszeitung in mehreren Artikeln Veranlassung, in dem „Militarismus" wieder einmal den „Moloch" zu sehen, der alles Glück des Landes verschlingt. Daß die Volkszeitung für ihre Bilder auf die Sprache Kanaans zurückgreift, ist nur natürlich, und daß sie die Ge¬ schichte sich zurecht macht nach der Weise der Geschichtschreiber Kanaans, ist auch natürlich. So schrieb sie denn: „Die bedrohte Disziplin des Heeres hat nicht gehindert, daß der Hauptmann von Natzmer, der gegen diese Disziplin sich noch schwerer versündigt hatte als Techow, bereits nach einigen Monaten begnadigt wurde." Der Hauptmann von Natzmer war Kommandant des Zeug¬ hauses bei dem Sturme desselben 1848 gewesen und war durch die gefälschte Darstellung des Premierleutnants Techow über die Vorgänge und den Willen des Königs so berichtet worden, daß er sich für berechtigt hielt, das Zeughaus der Masse zu übergeben. Natzmer hatte darin gefehlt, daß er den Worten Techows vertraut und sich den königlichen Befehl nicht schriftlich hatte über¬ geben lassen. Das war also „die schwerere Versündigung" Natzmers gegen die Disziplin im Vergleich mit Techow. Natzmer machte sodann den Feldzug gegen die Aufständischen in Baden als gemeiner Soldat mit, wobei er den Tod suchte, um von dem guten Namen seiner Familie den Flecken wieder ab- zuwaschen. Das nennt die Volkszeitung „Begnadigung." So suchte man teils mit Liebedienerei, teils mit Lügen dem Herrscher nahe zu kommen und seinen Willen zu beeinflussen. Aber alle diese Künste waren doch bis jetzt, wenigstens in entscheidenden Dingen, ohne Erfolg gewesen. Nunmehr schien dieser endlich zu winken. Die Veröffentlichung des Gesetzes über die fünfjährige Dauer der preußischen Ab¬ geordnetenmandate war vom König einstweilen ausgesetzt worden. Schließlich war aber das Gesetz mit der königlichen Unterschrift vollzogen und an den Minister von Puttkamer mit einem Schreiben gesandt worden, das die Freiheit der Wahlen verlangte. Es kam nun dem Minister darauf an, daß er vor der Publikation des Gesetzes den König überzeugte, daß die Freiheit der Wahlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/116>, abgerufen am 24.08.2024.