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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deuischfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

strengen Spruche der Gerechtigkeit, sondern nach dem milden Recht der Gnade."
Vor solchem unreifen Geschwätz, welches die Tragik in einer Verkennung der
menschlichen Gebrechlichkeit sieht, die doch nur eine Voraussetzung des tragischen
Schicksals ist, nicht dieses selbst, und welches in seiner Gedankenlosigkeit Thor¬
heiten zu Tage fördert, wie die: "Wir, die wir keinen Gott mehr kennen," sollte
sich der Freisinn doch sehr hüten; denn jede Partei, die mit zählen will,
braucht Männer, die das Leben kennen, nicht Jünglinge, die erst noch etwas
Weltweisheit studiren sollten, um zu erkennen, daß der Dogmatismus, der die
Nichtexistenz Gottes behauptet, der schlechteste und bornirteste von allen ist.
Mit solchem Geschwätz wird man die Gefahren, die die Bestrebungen der Stadt¬
mission vielleicht in sich bergen, nicht bannen.

Der Artikel, der, wie man aus dem Gesagten schon erraten kann, eine
Mahnung an die Krone zu einer Amnestie war, sagte weiter, daß man schon
am neunzigsten Geburtstage Kaiser Wilhelms einen soschen Guatemale erwartet
habe. Das Ausbleiben hätte einen Schatten auf die Feier geworfen, aber dafür
sei Kaiser Wilhelm nicht verantwortlich zu machen gewesen, sondern "die von
seinen Beratern vertretene Staatsräson," die seinem milden Herzen Zwang an¬
gethan habe. Diese Staatsräson habe aber nun "den Stoß ins Herz" erhalten.
Klingt dies nicht gerade, als ob das ultramontane Wiener "Vaterland" redete?
Dann geht es weiter: "Diese Staatsräson hat sich als ein Gespenst erwiesen,"
aber jetzt ist es "in leeren Nebel und Rauch aufgelöst." Diese Aufwendung
von phrasenhaften Schweifwedelten, in denen aus jedem Worte die Tücke spricht,
sollte, wie gesagt, dazu dienen, die Amnestie zu empfehlen: "An dem heutigen
Gedenktage (22. März) drängt sich der wehmütige Gedanke an den letzten
Schatten auf, den die heute schon als wesenloses Gespenst entlarvte Staatsräson
auf die glorreichste und glücklichste Zeit Kaiser Wilhelms geworfen hat." Da
ist also die Staatsräson nicht mehr in Rauch aufgelöst, sondern entlarvt! Und
alles das, um zum Schlüsse zu kommen: "In keiner bessern Hand kann das
Recht der Gnade aufbewahrt sein, als in der Hand Kaiser Friedrichs." Das
wußten wir andern auch, und zwar ohne den Hinweis auf die schattenwerfcnde,
in Rauch aufgelöste, entlarvte Staatsräson. Man sieht aber aus dem Artikel,
und deshalb haben wir das schöne Machwerk etwas ausführlicher gezeichnet,
was den Herren vom Fortschritt in den Gliedern lag. Das "Fort mit
Bismarck!" ging jetzt vor der Hand noch nicht; darum mußte die Sache an
einem andern Ende angefaßt werden, und so rief man: Fort mit der Staats¬
räson! Das lautete anders und kam doch auf dasselbe hinaus. Später konnten
dann die dreisteren Worte folgen, wie es denn auch geschah nach dem Austritt
Puttkamers aus dem Ministerium. Da erklärte, nicht zufrieden mit diesem
Austritt, dieselbe Volkszeitung, daß der große Tag der Freude für das Volk (der,
an welchem das Sozialistengesetz zerbrochen werden würde) nicht eher anbrechen
könne, "als bis der Stern des Fürsten Bismarck für immer untergegangen" sei.


Die Deuischfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

strengen Spruche der Gerechtigkeit, sondern nach dem milden Recht der Gnade."
Vor solchem unreifen Geschwätz, welches die Tragik in einer Verkennung der
menschlichen Gebrechlichkeit sieht, die doch nur eine Voraussetzung des tragischen
Schicksals ist, nicht dieses selbst, und welches in seiner Gedankenlosigkeit Thor¬
heiten zu Tage fördert, wie die: „Wir, die wir keinen Gott mehr kennen," sollte
sich der Freisinn doch sehr hüten; denn jede Partei, die mit zählen will,
braucht Männer, die das Leben kennen, nicht Jünglinge, die erst noch etwas
Weltweisheit studiren sollten, um zu erkennen, daß der Dogmatismus, der die
Nichtexistenz Gottes behauptet, der schlechteste und bornirteste von allen ist.
Mit solchem Geschwätz wird man die Gefahren, die die Bestrebungen der Stadt¬
mission vielleicht in sich bergen, nicht bannen.

Der Artikel, der, wie man aus dem Gesagten schon erraten kann, eine
Mahnung an die Krone zu einer Amnestie war, sagte weiter, daß man schon
am neunzigsten Geburtstage Kaiser Wilhelms einen soschen Guatemale erwartet
habe. Das Ausbleiben hätte einen Schatten auf die Feier geworfen, aber dafür
sei Kaiser Wilhelm nicht verantwortlich zu machen gewesen, sondern „die von
seinen Beratern vertretene Staatsräson," die seinem milden Herzen Zwang an¬
gethan habe. Diese Staatsräson habe aber nun „den Stoß ins Herz" erhalten.
Klingt dies nicht gerade, als ob das ultramontane Wiener „Vaterland" redete?
Dann geht es weiter: „Diese Staatsräson hat sich als ein Gespenst erwiesen,"
aber jetzt ist es „in leeren Nebel und Rauch aufgelöst." Diese Aufwendung
von phrasenhaften Schweifwedelten, in denen aus jedem Worte die Tücke spricht,
sollte, wie gesagt, dazu dienen, die Amnestie zu empfehlen: „An dem heutigen
Gedenktage (22. März) drängt sich der wehmütige Gedanke an den letzten
Schatten auf, den die heute schon als wesenloses Gespenst entlarvte Staatsräson
auf die glorreichste und glücklichste Zeit Kaiser Wilhelms geworfen hat." Da
ist also die Staatsräson nicht mehr in Rauch aufgelöst, sondern entlarvt! Und
alles das, um zum Schlüsse zu kommen: „In keiner bessern Hand kann das
Recht der Gnade aufbewahrt sein, als in der Hand Kaiser Friedrichs." Das
wußten wir andern auch, und zwar ohne den Hinweis auf die schattenwerfcnde,
in Rauch aufgelöste, entlarvte Staatsräson. Man sieht aber aus dem Artikel,
und deshalb haben wir das schöne Machwerk etwas ausführlicher gezeichnet,
was den Herren vom Fortschritt in den Gliedern lag. Das „Fort mit
Bismarck!" ging jetzt vor der Hand noch nicht; darum mußte die Sache an
einem andern Ende angefaßt werden, und so rief man: Fort mit der Staats¬
räson! Das lautete anders und kam doch auf dasselbe hinaus. Später konnten
dann die dreisteren Worte folgen, wie es denn auch geschah nach dem Austritt
Puttkamers aus dem Ministerium. Da erklärte, nicht zufrieden mit diesem
Austritt, dieselbe Volkszeitung, daß der große Tag der Freude für das Volk (der,
an welchem das Sozialistengesetz zerbrochen werden würde) nicht eher anbrechen
könne, „als bis der Stern des Fürsten Bismarck für immer untergegangen" sei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/110>, abgerufen am 01.10.2024.