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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Veutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

Partei es für das beste, ihre so laut verkündigte Theorie fernerhin mit Schweigen
zu bedecken und sich zunächst noch weiter aufs Abwarten zu legen.

Denn auf einen Erfolg, den Kaiser für sich in Beschlag zu nehmen, hofften
sie unverdrossen. Sie dachten an ein Verlangen des neuen Kaisers nach einer
freisinnigen Reichstagsmehrheit, wo der alte Spuk wieder losgehen könnte mit
der ultramontan-sozialistisch-welfisch-polnisch-dänisch-französischen Verbrüderung.
Aussicht zu solchem Schauspiel hatte der Kaiser in seinen an den preußischen
Landtag und an den Reichstag gerichteten Botschaften durchaus nicht gegeben.
Besonders die ein den Reichstag zeigte, daß es dem deutschfreisinnigen Drängen
nicht gelungen war, den Kanzler vom Kaiser zu trennen. Wies sie doch darauf
hin, daß Kaiser Wilhelm durch die einmütige Bereitwilligkeit dieses Reichstages
zur Stärkung der Wehrkraft des Vaterlandes noch in seinen letzten Lebenstagen
gestärkt und erfreut worden sei. Wurde doch diesem Reichstage, der nach fort¬
schrittlicher Anschauung nur ein Angstprodukt des deutschen Volkes war, Dank
und Anerkennung vom neuen Kaiser ausgesprochen für seine patriotische Hin¬
gebung und im zuversichtlichen Vertrauen auf diese die Zukunft des Reiches in
Gottes Hand gelegt.

Von demselben Tage, an welchem die beiden Botschaften ausgingen, war
auch der Erlaß, durch welchen der Kaiser kund gab, daß er die Regierung der
Reichslande übernommen habe. Der Kaiser war "entschlossen, die Rechte des
Reiches über diese deutschen, nach langer Zwischenzeit wiederum mit dem Vater¬
lande geeinigten Gebiete zu wahren." Die dauernde Vereinigung dieser alt¬
deutschen Gebiete mit dem deutschen Vaterlande wurde kräftig betont. Die eng¬
lischen Zeitungen, die so gütig waren, der neuen deutschen Kaiserin als einer
Tochter Englands die Aufgabe zuzuweisen, eine Versöhnung Frankreichs und
Deutschlands durch Verzicht des letztern auf Elsaß-Lothringen zu stände zu
bringen, erlebten so den Schmerz, die freundliche Insinuation zurückgewiesen zu
sehen. Für eine derartige, schon 1870 zur Genüge kennen gelernte Freundschaft
Albions müssen wir eben ein für alle mal danken.

Am 20. März hielt der Reichstag seine letzte Sitzung, und nun fühlte sich
der Freisinn selbst freier. Er war die Kontrole los, die er, wenn auch wider¬
willig, achten mußte. Und was für Schätze förderte er nun zu Tage! In einem
Artikel vom 22. März zeigte die Volkszeitung, daß sie auch Lessings Drama¬
turgie gelesen habe. Sie sprach von Furcht und Mitleid, die jedes fühlende
Herz bewege, sobald es erwäge, was das letzte Jahr den Hohenzollern gebracht
hatte, "den Tod Kaiser Wilhelms, die Krankheit Kaiser Friedrichs, die Ver¬
sammlung beim Grafen Waldersee." Diese drei Dinge stellte wirklich der Jüng¬
ling der Volkszeitung zusammen und gab seine Kenntnis der Tragödie weiter
damit zum Besten, daß er schrieb: "Wir, die keine Götter und keinen Gott mehr
kennen, sehen die Tragik in der Verkennung der menschlichen Gebrechlichkeit,
welche allen gleichermaßen anhaftet, und welche sich ausgleicht nicht nach dem


Die Veutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs.

Partei es für das beste, ihre so laut verkündigte Theorie fernerhin mit Schweigen
zu bedecken und sich zunächst noch weiter aufs Abwarten zu legen.

Denn auf einen Erfolg, den Kaiser für sich in Beschlag zu nehmen, hofften
sie unverdrossen. Sie dachten an ein Verlangen des neuen Kaisers nach einer
freisinnigen Reichstagsmehrheit, wo der alte Spuk wieder losgehen könnte mit
der ultramontan-sozialistisch-welfisch-polnisch-dänisch-französischen Verbrüderung.
Aussicht zu solchem Schauspiel hatte der Kaiser in seinen an den preußischen
Landtag und an den Reichstag gerichteten Botschaften durchaus nicht gegeben.
Besonders die ein den Reichstag zeigte, daß es dem deutschfreisinnigen Drängen
nicht gelungen war, den Kanzler vom Kaiser zu trennen. Wies sie doch darauf
hin, daß Kaiser Wilhelm durch die einmütige Bereitwilligkeit dieses Reichstages
zur Stärkung der Wehrkraft des Vaterlandes noch in seinen letzten Lebenstagen
gestärkt und erfreut worden sei. Wurde doch diesem Reichstage, der nach fort¬
schrittlicher Anschauung nur ein Angstprodukt des deutschen Volkes war, Dank
und Anerkennung vom neuen Kaiser ausgesprochen für seine patriotische Hin¬
gebung und im zuversichtlichen Vertrauen auf diese die Zukunft des Reiches in
Gottes Hand gelegt.

Von demselben Tage, an welchem die beiden Botschaften ausgingen, war
auch der Erlaß, durch welchen der Kaiser kund gab, daß er die Regierung der
Reichslande übernommen habe. Der Kaiser war „entschlossen, die Rechte des
Reiches über diese deutschen, nach langer Zwischenzeit wiederum mit dem Vater¬
lande geeinigten Gebiete zu wahren." Die dauernde Vereinigung dieser alt¬
deutschen Gebiete mit dem deutschen Vaterlande wurde kräftig betont. Die eng¬
lischen Zeitungen, die so gütig waren, der neuen deutschen Kaiserin als einer
Tochter Englands die Aufgabe zuzuweisen, eine Versöhnung Frankreichs und
Deutschlands durch Verzicht des letztern auf Elsaß-Lothringen zu stände zu
bringen, erlebten so den Schmerz, die freundliche Insinuation zurückgewiesen zu
sehen. Für eine derartige, schon 1870 zur Genüge kennen gelernte Freundschaft
Albions müssen wir eben ein für alle mal danken.

Am 20. März hielt der Reichstag seine letzte Sitzung, und nun fühlte sich
der Freisinn selbst freier. Er war die Kontrole los, die er, wenn auch wider¬
willig, achten mußte. Und was für Schätze förderte er nun zu Tage! In einem
Artikel vom 22. März zeigte die Volkszeitung, daß sie auch Lessings Drama¬
turgie gelesen habe. Sie sprach von Furcht und Mitleid, die jedes fühlende
Herz bewege, sobald es erwäge, was das letzte Jahr den Hohenzollern gebracht
hatte, „den Tod Kaiser Wilhelms, die Krankheit Kaiser Friedrichs, die Ver¬
sammlung beim Grafen Waldersee." Diese drei Dinge stellte wirklich der Jüng¬
ling der Volkszeitung zusammen und gab seine Kenntnis der Tragödie weiter
damit zum Besten, daß er schrieb: „Wir, die keine Götter und keinen Gott mehr
kennen, sehen die Tragik in der Verkennung der menschlichen Gebrechlichkeit,
welche allen gleichermaßen anhaftet, und welche sich ausgleicht nicht nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/109>, abgerufen am 01.07.2024.