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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

wehmutsvoll Über die Heide. Wüßtest du es nur: unsagbares Liebesglück --
bitterer Schmerz, den das Kreuz mildert -- oder der Hoffnung hoffendes All¬
tagsleben? Dann war ein andres Bild, eins, auf dem sie sehnend mitten auf
der braunen Heide steht, die Wange gegen die gefalteten Hände gelehnt, so süß
in ihrer naiven Sehnsucht, so unglücklich über das häßliche Leben, das so teil¬
nahmlos, ohne sie zu beachten, an ihr vorübergeht. Warum kommt denn
Eros nicht, warum zögert er, glaubt er, daß sie zu jung sei? Er sollte
nur fühlen, wie ihr Herz pocht, er sollte nur kommen mit seiner Hand, o,
dadrinnen liegt eine Welt verborgen, eine Welt der Welten, wenn sie nur er¬
wachen wollte! Und warum sie nicht wecken? Sie liegt dadrinnen wie eine
Knospe, all ihre Lieblichkeit, all ihre Schönheit fest umschließend, ganz für sich
allein, beklommen, ohne zu wissen weshalb. Sie weiß ja, daß das ist, von dem
sie nicht weiß, was es ist. Hat es nicht liebevoll die schützenden Blätter darum¬
gelegt, ist es nicht durch sie hineingedrungen, sodaß es licht wurde bis in das
innerste, tiefroteste Dunkel hinein, wo der Duft, sich selber ahnend, duftlos zu¬
sammengepreßt liegt in einer zitternden Thräne? Will es denn niemals kommen?
Soll es denn niemals aufatmen, was es ahnend besitzt, reich sein mit seinem
Reichtum? Soll es sich denn nie, niemals entfalten, sich wach erröten, während
die goldnen Sonnenstrahlen unter alle seine Blätter dringen? Sie verliert
wirklich alle Geduld mit Eros, schon zittern ihre Lippen von dem aufsteigenden
Weinen, hoffnungslos, herausfordernd schweift ihr Blick ins Weite, und das
Köpfchen sinkt immer verzagter herab, wendet langsam das feine Profil hinein
in das Bild, wo ein leiser Luftzug den rötlichen Staub vor sich hertreibt, hin
über die dunkelgrünen Ginsterbüsche, den weingoldnen Himmel entlang.

So malte Erik Restrup, und das, was er sagen wollte, fand stets seinen
Ausdruck in Bildern wie diese. Wohl konnte er andre Bilder träumen, konnte
sich heraussehnen aus dem engen Kreise, innerhalb dessen er sie heraufbeschwor;
kam er aber außerhalb desselben, versuchte er sich auf andern Gebieten, so
überkam ihn bald ein entmutigendes, ernüchterndes Gefühl, daß er von andern
leihen wolle, und daß das, was er hier schuf, nicht sein eigen war. Kehrte
er dann von einem so mißglückter Ausfluge zurück, bei dem er doch jedesmal
mehr lernte, als er selber ahnte, so wurde er nur noch mehr Erik Nestrup, als
er es bis dahin gewesen war, gab er sich nur noch mutiger, mit fast schmerz¬
licher Heftigkeit seiner Eigentümlichkeit hin und hielt sich, wo er ging und stand,
in pietätvoller Festesstimmung, die sich in seinen geringsten Handlungen aus¬
prägte, sich in der ganzen Art und Weise zeigte, mit der er in solchen Zeiten mit
sich selber verkehrte. Es war, als wenn die schönen Gestalten, die in ihm
dämmerten, jüngere Schwestern von Parmegianinos schlankgliedrigen Frauen
mit den länglichen Hälsen und den schmalen Prinzessinnenhänden, mit ihm
zu Tische säßen und seinen Becher kredenzten mit Bewegungen voller Adel
und Liebreiz, ihn in dem Banne ihrer lichten Träume hielten mit Luinis


Ricks Lyhne.

wehmutsvoll Über die Heide. Wüßtest du es nur: unsagbares Liebesglück —
bitterer Schmerz, den das Kreuz mildert — oder der Hoffnung hoffendes All¬
tagsleben? Dann war ein andres Bild, eins, auf dem sie sehnend mitten auf
der braunen Heide steht, die Wange gegen die gefalteten Hände gelehnt, so süß
in ihrer naiven Sehnsucht, so unglücklich über das häßliche Leben, das so teil¬
nahmlos, ohne sie zu beachten, an ihr vorübergeht. Warum kommt denn
Eros nicht, warum zögert er, glaubt er, daß sie zu jung sei? Er sollte
nur fühlen, wie ihr Herz pocht, er sollte nur kommen mit seiner Hand, o,
dadrinnen liegt eine Welt verborgen, eine Welt der Welten, wenn sie nur er¬
wachen wollte! Und warum sie nicht wecken? Sie liegt dadrinnen wie eine
Knospe, all ihre Lieblichkeit, all ihre Schönheit fest umschließend, ganz für sich
allein, beklommen, ohne zu wissen weshalb. Sie weiß ja, daß das ist, von dem
sie nicht weiß, was es ist. Hat es nicht liebevoll die schützenden Blätter darum¬
gelegt, ist es nicht durch sie hineingedrungen, sodaß es licht wurde bis in das
innerste, tiefroteste Dunkel hinein, wo der Duft, sich selber ahnend, duftlos zu¬
sammengepreßt liegt in einer zitternden Thräne? Will es denn niemals kommen?
Soll es denn niemals aufatmen, was es ahnend besitzt, reich sein mit seinem
Reichtum? Soll es sich denn nie, niemals entfalten, sich wach erröten, während
die goldnen Sonnenstrahlen unter alle seine Blätter dringen? Sie verliert
wirklich alle Geduld mit Eros, schon zittern ihre Lippen von dem aufsteigenden
Weinen, hoffnungslos, herausfordernd schweift ihr Blick ins Weite, und das
Köpfchen sinkt immer verzagter herab, wendet langsam das feine Profil hinein
in das Bild, wo ein leiser Luftzug den rötlichen Staub vor sich hertreibt, hin
über die dunkelgrünen Ginsterbüsche, den weingoldnen Himmel entlang.

So malte Erik Restrup, und das, was er sagen wollte, fand stets seinen
Ausdruck in Bildern wie diese. Wohl konnte er andre Bilder träumen, konnte
sich heraussehnen aus dem engen Kreise, innerhalb dessen er sie heraufbeschwor;
kam er aber außerhalb desselben, versuchte er sich auf andern Gebieten, so
überkam ihn bald ein entmutigendes, ernüchterndes Gefühl, daß er von andern
leihen wolle, und daß das, was er hier schuf, nicht sein eigen war. Kehrte
er dann von einem so mißglückter Ausfluge zurück, bei dem er doch jedesmal
mehr lernte, als er selber ahnte, so wurde er nur noch mehr Erik Nestrup, als
er es bis dahin gewesen war, gab er sich nur noch mutiger, mit fast schmerz¬
licher Heftigkeit seiner Eigentümlichkeit hin und hielt sich, wo er ging und stand,
in pietätvoller Festesstimmung, die sich in seinen geringsten Handlungen aus¬
prägte, sich in der ganzen Art und Weise zeigte, mit der er in solchen Zeiten mit
sich selber verkehrte. Es war, als wenn die schönen Gestalten, die in ihm
dämmerten, jüngere Schwestern von Parmegianinos schlankgliedrigen Frauen
mit den länglichen Hälsen und den schmalen Prinzessinnenhänden, mit ihm
zu Tische säßen und seinen Becher kredenzten mit Bewegungen voller Adel
und Liebreiz, ihn in dem Banne ihrer lichten Träume hielten mit Luinis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/102>, abgerufen am 01.07.2024.