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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks 5yhne.

Glauben Sie das? Ich suche nach einem Namen für Ihre Anschauung --
könnte man ihn nicht den pietistischen Atheismus nennen?

Jeder wahre Atheismus -- begann Ricks, aber Hjerrild unterbrach ihn
schnell: Natürlich, sagte er, natürlich! Laß uns doch nur ein einziges Thor,
ein einziges Nadelöhr für alle die Kamele der Erde!




Zehntes Aapitel.

Erst im Sommer kehrte Erik Nestrup nach einem zweijährigen Aufenthalte
in Italien wieder heim. Er war als Bildhauer fort gereist, aber als Maler
kam er zurück, und er hatte schon Glück gehabt mit seinen Bildern, er hatte
mehrere verkauft und neue Bestellungen erhalten.

Daß ihm das Glück so, gleichsam auf den ersten Wink, zugeflogen war,
verdankte er der sichern Selbstbegrenzung, mit der er sein Talent um sich zu¬
sammengezogen hatte. Es war keines der großen, vielversprechenden Talente,
deren Hände überall hinanreichen, deren Erdenweg einem Bacchuszuge gleicht,
die alle Gefilde jubelnd durchziehen und goldigen Samen nach allen Seiten hin
ausstreuen. Er gehörte zu denjenigen Talenten,, in welchen ein Traum be¬
graben liegt, der Frieden und Heiligkeit über einen kleinen Fleck ihrer Seele
verbreitet, da wo sie am meisten sie selber und doch am wenigsten sie selber
sind. Und durch das, was sie in der Kunst schaffen, die sie besitzen, klingt stets
derselbe sehnsuchtsvolle Endreim hindurch, und jedes ihrer Werke trägt dasselbe
ängstlich begrenzte Gepräge von Verwandtschaft, als stamme das Bild aus dem¬
selben kleinen Heimatslande, aus demselben kleinen Schlupfwinkel mitten zwischen
den Bergen. So verhielt es sich mit Erik; wo er auch in den Schönheits¬
ozean niedertauchen mochte, stets brachte er dieselbe Perle ans Licht.

Seine Bilder waren klein, im Vordergrunde eine einzelne Gestalt, thonblau
durch ihren eignen Schatten; dahinter erikabewachsene Erde, die Heide oder die
Campagna, am Horizont der rotgoldige Schein der sinkenden Sonne. Eine
dieser Gestalten war ein junges Mädchen, das sich nach Art der Italienerinnen
selber weissagt. Sie hat sich auf die Kniee niedergelassen, an einer Stelle,
wo die Erde bräunlich unter dem kurzen Grase hervorschimmert. Ein Herz,
ein Kreuz und einen Anker aus getriebenem Silber hat sie von ihrer Halskette
gelöst und auf die Erde gestreut; jetzt liegt sie auf den Knieen, ihre Augen
sind gläubig geschlossen, die eine Hand deckt die Augen, die andre hält sie
suchend ausgestreckt nach dein unsagbaren Liebesglück, nach dem bittern Schmerz,
den das Kreuz mildert, und nach der Hoffnung hoffenden Alltagsleben. Sie hat
es noch nicht gewagt, die Erde zu berühren; die Hand ist zaghaft in dem
kalten, geheimnisvollen Schatten; die Wangen glühen, und der Mund verzieht
sich halb zum Weinen, halb zum Gebet. Es liegt etwas Feierliches in der
Luft, das Abendrot da draußen droht so schaurig und so heiß, legt sich so


Ricks 5yhne.

Glauben Sie das? Ich suche nach einem Namen für Ihre Anschauung —
könnte man ihn nicht den pietistischen Atheismus nennen?

Jeder wahre Atheismus — begann Ricks, aber Hjerrild unterbrach ihn
schnell: Natürlich, sagte er, natürlich! Laß uns doch nur ein einziges Thor,
ein einziges Nadelöhr für alle die Kamele der Erde!




Zehntes Aapitel.

Erst im Sommer kehrte Erik Nestrup nach einem zweijährigen Aufenthalte
in Italien wieder heim. Er war als Bildhauer fort gereist, aber als Maler
kam er zurück, und er hatte schon Glück gehabt mit seinen Bildern, er hatte
mehrere verkauft und neue Bestellungen erhalten.

Daß ihm das Glück so, gleichsam auf den ersten Wink, zugeflogen war,
verdankte er der sichern Selbstbegrenzung, mit der er sein Talent um sich zu¬
sammengezogen hatte. Es war keines der großen, vielversprechenden Talente,
deren Hände überall hinanreichen, deren Erdenweg einem Bacchuszuge gleicht,
die alle Gefilde jubelnd durchziehen und goldigen Samen nach allen Seiten hin
ausstreuen. Er gehörte zu denjenigen Talenten,, in welchen ein Traum be¬
graben liegt, der Frieden und Heiligkeit über einen kleinen Fleck ihrer Seele
verbreitet, da wo sie am meisten sie selber und doch am wenigsten sie selber
sind. Und durch das, was sie in der Kunst schaffen, die sie besitzen, klingt stets
derselbe sehnsuchtsvolle Endreim hindurch, und jedes ihrer Werke trägt dasselbe
ängstlich begrenzte Gepräge von Verwandtschaft, als stamme das Bild aus dem¬
selben kleinen Heimatslande, aus demselben kleinen Schlupfwinkel mitten zwischen
den Bergen. So verhielt es sich mit Erik; wo er auch in den Schönheits¬
ozean niedertauchen mochte, stets brachte er dieselbe Perle ans Licht.

Seine Bilder waren klein, im Vordergrunde eine einzelne Gestalt, thonblau
durch ihren eignen Schatten; dahinter erikabewachsene Erde, die Heide oder die
Campagna, am Horizont der rotgoldige Schein der sinkenden Sonne. Eine
dieser Gestalten war ein junges Mädchen, das sich nach Art der Italienerinnen
selber weissagt. Sie hat sich auf die Kniee niedergelassen, an einer Stelle,
wo die Erde bräunlich unter dem kurzen Grase hervorschimmert. Ein Herz,
ein Kreuz und einen Anker aus getriebenem Silber hat sie von ihrer Halskette
gelöst und auf die Erde gestreut; jetzt liegt sie auf den Knieen, ihre Augen
sind gläubig geschlossen, die eine Hand deckt die Augen, die andre hält sie
suchend ausgestreckt nach dein unsagbaren Liebesglück, nach dem bittern Schmerz,
den das Kreuz mildert, und nach der Hoffnung hoffenden Alltagsleben. Sie hat
es noch nicht gewagt, die Erde zu berühren; die Hand ist zaghaft in dem
kalten, geheimnisvollen Schatten; die Wangen glühen, und der Mund verzieht
sich halb zum Weinen, halb zum Gebet. Es liegt etwas Feierliches in der
Luft, das Abendrot da draußen droht so schaurig und so heiß, legt sich so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/101>, abgerufen am 29.06.2024.