Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Frauenfrage des vierten Standes.

den Arbeitgebern gewährten Wohnungen Aufenthalt zu nehmen, welche nicht in
der eignen oder einer fremden, besonders geeigneten Familie Unterkommen finden
können. Durch diese Maßregel würden übrigens keineswegs Neuerungen ge¬
schaffen werden; es sei nur daran erinnert, daß z. B. in Leipzig bezüglich
eines einzelnen Gebietes des Schlafstellenwesens, desjenigen der Kellnerinnen,
eine Verordnung besteht, derzufolge in Gast- und Schankwirtschaften, Wein-
schänken, Kaffceschänkeu und Konditoreien Kellnerinnen nur unter der Voraussetzung
beschäftigt werden dürfen, daß sie bei den betreffenden Wirten wohnen und die
Wirte den Besitz der hierfür erforderlichen Räume nachweisen. Mit den "er¬
forderlichen" Räumen ist es freilich allein nicht gethan; diese müssen auch zum
Wohnen geeignet sein und in gesundheitlicher Beziehung allen Anforderungen
entsprechen.

Daß aber neben der Beschaffung billiger und geeigneter Wohnung auch für
billige und geeignete Beköstigung der Arbeiterinnen gesorgt werden muß, darf
wohl als selbstverständlich betrachtet werden. Die Logirhäuser eignen sich er¬
fahrungsgemäß gleichzeitig vortrefflich als Kosthäuser, wenn an ihrer Spitze
geeignete weibliche Kräfte stehen. Um aber denjenigen Arbeiterinnen, die in den
Logirhäusern keine Verpflegung finden können, gute und billige Kost zu liefern,
ist die Gründung von Speiseanstalten durch gemeinnützige Vereine, die Ein¬
richtung von Fabrikküchen u. s. w. dringend notwendig. Und ebenso not¬
wendig erscheint die Errichtung von Konsumanstalten, die als Anstalten größerer
Arbeitgeber oder gemeinnütziger Vereine dem Unwesen der die Arbeiterinnen
ungebürlich übervorteilenden Kleinhändler in wirksamer Weise entgegentreten
können. Auf die zweckmäßigste Organisation dieser Wohlfahrtseinrichtungen
hier näher einzugehen, würde zu weit führen; nur darauf sei aufmerksam ge¬
macht, daß die Konsumanstalten, Speisehäuser n. dergl. nur dann den Interessen
der Arbeiterinnen in vollem Maße Rechnung tragen können, wenn die Waren
lediglich unter Zuschlag der Verwaltungskosten oder zum Selbstkostenpreise ab¬
gegeben werden und die Leiter der Anstalten aus dem Einkäufe der Waren
keinen Gewinn zu ziehen suchen.

Neben der Sorge für das körperliche Wohl der Arbeiterinnen ist aber auch
für deren allgemeine wie wirtschaftliche Ausbildung und Erziehung zur künf¬
tigen Hansfrau Fürsorge zu treffen; ja es erscheint gerade nach dieser Rich¬
tung hin ein Beistand für die meist von der Familie abgelösten und auf eignen
Füßen stehenden Frauen und Mädchen der untern Klassen in erhöhtem Maße
am Platze. In welcher Weise dieser Beistand geleistet werden soll, hierüber
gehen die Ansichten freilich sehr auseinander. Von einer Seite wird behauptet,
daß es am zweckmäßigsten sei, wenn die den niedern Ständen angehörenden
Mädchen zunächst zwei oder mehrere Jahre eine Stelle als Dienstmädchen be¬
kleideten und sich dort die für eine künftige Hansfrau erforderlichen Kenntnisse
und Tugenden verschafften. Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß ein Dienst-


Die Frauenfrage des vierten Standes.

den Arbeitgebern gewährten Wohnungen Aufenthalt zu nehmen, welche nicht in
der eignen oder einer fremden, besonders geeigneten Familie Unterkommen finden
können. Durch diese Maßregel würden übrigens keineswegs Neuerungen ge¬
schaffen werden; es sei nur daran erinnert, daß z. B. in Leipzig bezüglich
eines einzelnen Gebietes des Schlafstellenwesens, desjenigen der Kellnerinnen,
eine Verordnung besteht, derzufolge in Gast- und Schankwirtschaften, Wein-
schänken, Kaffceschänkeu und Konditoreien Kellnerinnen nur unter der Voraussetzung
beschäftigt werden dürfen, daß sie bei den betreffenden Wirten wohnen und die
Wirte den Besitz der hierfür erforderlichen Räume nachweisen. Mit den „er¬
forderlichen" Räumen ist es freilich allein nicht gethan; diese müssen auch zum
Wohnen geeignet sein und in gesundheitlicher Beziehung allen Anforderungen
entsprechen.

Daß aber neben der Beschaffung billiger und geeigneter Wohnung auch für
billige und geeignete Beköstigung der Arbeiterinnen gesorgt werden muß, darf
wohl als selbstverständlich betrachtet werden. Die Logirhäuser eignen sich er¬
fahrungsgemäß gleichzeitig vortrefflich als Kosthäuser, wenn an ihrer Spitze
geeignete weibliche Kräfte stehen. Um aber denjenigen Arbeiterinnen, die in den
Logirhäusern keine Verpflegung finden können, gute und billige Kost zu liefern,
ist die Gründung von Speiseanstalten durch gemeinnützige Vereine, die Ein¬
richtung von Fabrikküchen u. s. w. dringend notwendig. Und ebenso not¬
wendig erscheint die Errichtung von Konsumanstalten, die als Anstalten größerer
Arbeitgeber oder gemeinnütziger Vereine dem Unwesen der die Arbeiterinnen
ungebürlich übervorteilenden Kleinhändler in wirksamer Weise entgegentreten
können. Auf die zweckmäßigste Organisation dieser Wohlfahrtseinrichtungen
hier näher einzugehen, würde zu weit führen; nur darauf sei aufmerksam ge¬
macht, daß die Konsumanstalten, Speisehäuser n. dergl. nur dann den Interessen
der Arbeiterinnen in vollem Maße Rechnung tragen können, wenn die Waren
lediglich unter Zuschlag der Verwaltungskosten oder zum Selbstkostenpreise ab¬
gegeben werden und die Leiter der Anstalten aus dem Einkäufe der Waren
keinen Gewinn zu ziehen suchen.

Neben der Sorge für das körperliche Wohl der Arbeiterinnen ist aber auch
für deren allgemeine wie wirtschaftliche Ausbildung und Erziehung zur künf¬
tigen Hansfrau Fürsorge zu treffen; ja es erscheint gerade nach dieser Rich¬
tung hin ein Beistand für die meist von der Familie abgelösten und auf eignen
Füßen stehenden Frauen und Mädchen der untern Klassen in erhöhtem Maße
am Platze. In welcher Weise dieser Beistand geleistet werden soll, hierüber
gehen die Ansichten freilich sehr auseinander. Von einer Seite wird behauptet,
daß es am zweckmäßigsten sei, wenn die den niedern Ständen angehörenden
Mädchen zunächst zwei oder mehrere Jahre eine Stelle als Dienstmädchen be¬
kleideten und sich dort die für eine künftige Hansfrau erforderlichen Kenntnisse
und Tugenden verschafften. Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß ein Dienst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203527"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Frauenfrage des vierten Standes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_199" prev="#ID_198"> den Arbeitgebern gewährten Wohnungen Aufenthalt zu nehmen, welche nicht in<lb/>
der eignen oder einer fremden, besonders geeigneten Familie Unterkommen finden<lb/>
können. Durch diese Maßregel würden übrigens keineswegs Neuerungen ge¬<lb/>
schaffen werden; es sei nur daran erinnert, daß z. B. in Leipzig bezüglich<lb/>
eines einzelnen Gebietes des Schlafstellenwesens, desjenigen der Kellnerinnen,<lb/>
eine Verordnung besteht, derzufolge in Gast- und Schankwirtschaften, Wein-<lb/>
schänken, Kaffceschänkeu und Konditoreien Kellnerinnen nur unter der Voraussetzung<lb/>
beschäftigt werden dürfen, daß sie bei den betreffenden Wirten wohnen und die<lb/>
Wirte den Besitz der hierfür erforderlichen Räume nachweisen. Mit den &#x201E;er¬<lb/>
forderlichen" Räumen ist es freilich allein nicht gethan; diese müssen auch zum<lb/>
Wohnen geeignet sein und in gesundheitlicher Beziehung allen Anforderungen<lb/>
entsprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_200"> Daß aber neben der Beschaffung billiger und geeigneter Wohnung auch für<lb/>
billige und geeignete Beköstigung der Arbeiterinnen gesorgt werden muß, darf<lb/>
wohl als selbstverständlich betrachtet werden. Die Logirhäuser eignen sich er¬<lb/>
fahrungsgemäß gleichzeitig vortrefflich als Kosthäuser, wenn an ihrer Spitze<lb/>
geeignete weibliche Kräfte stehen. Um aber denjenigen Arbeiterinnen, die in den<lb/>
Logirhäusern keine Verpflegung finden können, gute und billige Kost zu liefern,<lb/>
ist die Gründung von Speiseanstalten durch gemeinnützige Vereine, die Ein¬<lb/>
richtung von Fabrikküchen u. s. w. dringend notwendig. Und ebenso not¬<lb/>
wendig erscheint die Errichtung von Konsumanstalten, die als Anstalten größerer<lb/>
Arbeitgeber oder gemeinnütziger Vereine dem Unwesen der die Arbeiterinnen<lb/>
ungebürlich übervorteilenden Kleinhändler in wirksamer Weise entgegentreten<lb/>
können. Auf die zweckmäßigste Organisation dieser Wohlfahrtseinrichtungen<lb/>
hier näher einzugehen, würde zu weit führen; nur darauf sei aufmerksam ge¬<lb/>
macht, daß die Konsumanstalten, Speisehäuser n. dergl. nur dann den Interessen<lb/>
der Arbeiterinnen in vollem Maße Rechnung tragen können, wenn die Waren<lb/>
lediglich unter Zuschlag der Verwaltungskosten oder zum Selbstkostenpreise ab¬<lb/>
gegeben werden und die Leiter der Anstalten aus dem Einkäufe der Waren<lb/>
keinen Gewinn zu ziehen suchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_201" next="#ID_202"> Neben der Sorge für das körperliche Wohl der Arbeiterinnen ist aber auch<lb/>
für deren allgemeine wie wirtschaftliche Ausbildung und Erziehung zur künf¬<lb/>
tigen Hansfrau Fürsorge zu treffen; ja es erscheint gerade nach dieser Rich¬<lb/>
tung hin ein Beistand für die meist von der Familie abgelösten und auf eignen<lb/>
Füßen stehenden Frauen und Mädchen der untern Klassen in erhöhtem Maße<lb/>
am Platze. In welcher Weise dieser Beistand geleistet werden soll, hierüber<lb/>
gehen die Ansichten freilich sehr auseinander. Von einer Seite wird behauptet,<lb/>
daß es am zweckmäßigsten sei, wenn die den niedern Ständen angehörenden<lb/>
Mädchen zunächst zwei oder mehrere Jahre eine Stelle als Dienstmädchen be¬<lb/>
kleideten und sich dort die für eine künftige Hansfrau erforderlichen Kenntnisse<lb/>
und Tugenden verschafften. Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß ein Dienst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] Die Frauenfrage des vierten Standes. den Arbeitgebern gewährten Wohnungen Aufenthalt zu nehmen, welche nicht in der eignen oder einer fremden, besonders geeigneten Familie Unterkommen finden können. Durch diese Maßregel würden übrigens keineswegs Neuerungen ge¬ schaffen werden; es sei nur daran erinnert, daß z. B. in Leipzig bezüglich eines einzelnen Gebietes des Schlafstellenwesens, desjenigen der Kellnerinnen, eine Verordnung besteht, derzufolge in Gast- und Schankwirtschaften, Wein- schänken, Kaffceschänkeu und Konditoreien Kellnerinnen nur unter der Voraussetzung beschäftigt werden dürfen, daß sie bei den betreffenden Wirten wohnen und die Wirte den Besitz der hierfür erforderlichen Räume nachweisen. Mit den „er¬ forderlichen" Räumen ist es freilich allein nicht gethan; diese müssen auch zum Wohnen geeignet sein und in gesundheitlicher Beziehung allen Anforderungen entsprechen. Daß aber neben der Beschaffung billiger und geeigneter Wohnung auch für billige und geeignete Beköstigung der Arbeiterinnen gesorgt werden muß, darf wohl als selbstverständlich betrachtet werden. Die Logirhäuser eignen sich er¬ fahrungsgemäß gleichzeitig vortrefflich als Kosthäuser, wenn an ihrer Spitze geeignete weibliche Kräfte stehen. Um aber denjenigen Arbeiterinnen, die in den Logirhäusern keine Verpflegung finden können, gute und billige Kost zu liefern, ist die Gründung von Speiseanstalten durch gemeinnützige Vereine, die Ein¬ richtung von Fabrikküchen u. s. w. dringend notwendig. Und ebenso not¬ wendig erscheint die Errichtung von Konsumanstalten, die als Anstalten größerer Arbeitgeber oder gemeinnütziger Vereine dem Unwesen der die Arbeiterinnen ungebürlich übervorteilenden Kleinhändler in wirksamer Weise entgegentreten können. Auf die zweckmäßigste Organisation dieser Wohlfahrtseinrichtungen hier näher einzugehen, würde zu weit führen; nur darauf sei aufmerksam ge¬ macht, daß die Konsumanstalten, Speisehäuser n. dergl. nur dann den Interessen der Arbeiterinnen in vollem Maße Rechnung tragen können, wenn die Waren lediglich unter Zuschlag der Verwaltungskosten oder zum Selbstkostenpreise ab¬ gegeben werden und die Leiter der Anstalten aus dem Einkäufe der Waren keinen Gewinn zu ziehen suchen. Neben der Sorge für das körperliche Wohl der Arbeiterinnen ist aber auch für deren allgemeine wie wirtschaftliche Ausbildung und Erziehung zur künf¬ tigen Hansfrau Fürsorge zu treffen; ja es erscheint gerade nach dieser Rich¬ tung hin ein Beistand für die meist von der Familie abgelösten und auf eignen Füßen stehenden Frauen und Mädchen der untern Klassen in erhöhtem Maße am Platze. In welcher Weise dieser Beistand geleistet werden soll, hierüber gehen die Ansichten freilich sehr auseinander. Von einer Seite wird behauptet, daß es am zweckmäßigsten sei, wenn die den niedern Ständen angehörenden Mädchen zunächst zwei oder mehrere Jahre eine Stelle als Dienstmädchen be¬ kleideten und sich dort die für eine künftige Hansfrau erforderlichen Kenntnisse und Tugenden verschafften. Nun läßt sich zwar nicht leugnen, daß ein Dienst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/92>, abgerufen am 24.08.2024.