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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

"Antimachiavel" mit klaren Worten ausgesprochen. "Ich gestehe," heißt es
da (VIII, 122), "daß es fatale Notwendigkeiten geben kann, die einen
Fürsten in die Lage versetzen, seine Verträge und Bündnisse zu brechen. Aber
er muß sich von seinen Verbündeten als ehrlicher Mann trennen, indem er
ihnen bei Zeiten offen seinen Entschluß 'mitteilt, namentlich aber darf man es zu
einem derartigen äußersten Schritte niemals kommen lassen, ohne daß dringende
Notwendigkeit und die Rücksicht auf die Rettung des eignen Volkes ihn fordern."
Für die Pflege dauernder freundschaftlicher Beziehungen giebt der König
folgendes als Gesichtspunkt an (IX, 187): "Einer der obersten Grundsätze
der Politik besteht darin, daß man suchen muß, mit demjenigen seiner Nach¬
barn verbündet zu bleiben, der gegen den Staat die gefährlichsten Schläge
führen könnte. Aus diesem Grunde sind wir mit Rußland verbündet, weil
wir auf diese Weise den Rücken frei haben nach der Ostgrenze des Staates hin.
Die Zeiten können sich ändern, und die Seltsamkeiten der Konjunkturen können
uns veranlassen, andre Verpflichtungen einzugehen, aber bei keiner Macht
wird uns ein freundschaftliches Verhältnis so viele Vorteile bringen, wie bei
Rußland." Da zwischen Preußen und Osterreich, auch abgesehen von der
Erinnerung an Schlesien, die Eifersucht mit Bezug auf die Stellung in Deutsch¬
land kein rechtes Vertrauen aufkommen lassen konnte, so bemerkt Friedrich kurz:
"Ich spreche nicht von Osterreich, mit dem ein festes Band zu knüpfen beinahe
ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint."

Was den Schriftsteller wie den Politiker Friedrich in so ganz einziger
Weise auszeichnet, das ist die großartige Unbefangenheit, die, unbeirrt von aller
Phrase, von allem Pomp und Schein des Herkommens, die Dinge so nimmt
und so nennt, wie sie in Wirklichkeit sind. Österreich wird in seinen politischen
Beziehungen zu Deutschland jeder andern fremden Macht vollkommen gleich
gestellt. In den politischen Fingerzeigen, die der König zu Anfange des Jahres
1744 unter dem Namen "Fürstenspiegel" dem zum Antritt der Negierung
nach Stuttgart abreisenden Herzog Karl Eugen von Württemberg mit auf den
Weg gab, wird dem jungen Fürsten folgendes zur Nachachtung empfohlen:
"Die Lage Deines Landes, das zugleich an Frankreich und an die Staaten
des Hauses Osterreich grenzt, nötigt Dich, diesen beiden mächtigen Nachbarn
gegenüber eine nach beiden Seiten hin wohl abgemessene, gleichmäßige Haltung
zu beobachten. Zeige keine Vorliebe weder für das eine, noch für das andre
der beiden Reiche, daß ihre Beherrscher Dir niemals Parteilichkeit vorwerfen
können. Denn je nachdem sich das Glück auf die eine oder auf die andre
Seite neigt, würden sie nicht verfehlen, abwechselnd Dich büßen zu lassen für
das, was jeder glauben würde mit Recht Dir schuld geben zu können."

Das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland findet sich schon in dem ersten
politischen Aufsatze, der uns von dem jugendlichen Kronprinzen von Preußen
aus dem Jahre 1738 aufbewahrt ist, mit kurzen Worten so treffend charakterisirt,


Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

„Antimachiavel" mit klaren Worten ausgesprochen. „Ich gestehe," heißt es
da (VIII, 122), „daß es fatale Notwendigkeiten geben kann, die einen
Fürsten in die Lage versetzen, seine Verträge und Bündnisse zu brechen. Aber
er muß sich von seinen Verbündeten als ehrlicher Mann trennen, indem er
ihnen bei Zeiten offen seinen Entschluß 'mitteilt, namentlich aber darf man es zu
einem derartigen äußersten Schritte niemals kommen lassen, ohne daß dringende
Notwendigkeit und die Rücksicht auf die Rettung des eignen Volkes ihn fordern."
Für die Pflege dauernder freundschaftlicher Beziehungen giebt der König
folgendes als Gesichtspunkt an (IX, 187): „Einer der obersten Grundsätze
der Politik besteht darin, daß man suchen muß, mit demjenigen seiner Nach¬
barn verbündet zu bleiben, der gegen den Staat die gefährlichsten Schläge
führen könnte. Aus diesem Grunde sind wir mit Rußland verbündet, weil
wir auf diese Weise den Rücken frei haben nach der Ostgrenze des Staates hin.
Die Zeiten können sich ändern, und die Seltsamkeiten der Konjunkturen können
uns veranlassen, andre Verpflichtungen einzugehen, aber bei keiner Macht
wird uns ein freundschaftliches Verhältnis so viele Vorteile bringen, wie bei
Rußland." Da zwischen Preußen und Osterreich, auch abgesehen von der
Erinnerung an Schlesien, die Eifersucht mit Bezug auf die Stellung in Deutsch¬
land kein rechtes Vertrauen aufkommen lassen konnte, so bemerkt Friedrich kurz:
„Ich spreche nicht von Osterreich, mit dem ein festes Band zu knüpfen beinahe
ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint."

Was den Schriftsteller wie den Politiker Friedrich in so ganz einziger
Weise auszeichnet, das ist die großartige Unbefangenheit, die, unbeirrt von aller
Phrase, von allem Pomp und Schein des Herkommens, die Dinge so nimmt
und so nennt, wie sie in Wirklichkeit sind. Österreich wird in seinen politischen
Beziehungen zu Deutschland jeder andern fremden Macht vollkommen gleich
gestellt. In den politischen Fingerzeigen, die der König zu Anfange des Jahres
1744 unter dem Namen „Fürstenspiegel" dem zum Antritt der Negierung
nach Stuttgart abreisenden Herzog Karl Eugen von Württemberg mit auf den
Weg gab, wird dem jungen Fürsten folgendes zur Nachachtung empfohlen:
„Die Lage Deines Landes, das zugleich an Frankreich und an die Staaten
des Hauses Osterreich grenzt, nötigt Dich, diesen beiden mächtigen Nachbarn
gegenüber eine nach beiden Seiten hin wohl abgemessene, gleichmäßige Haltung
zu beobachten. Zeige keine Vorliebe weder für das eine, noch für das andre
der beiden Reiche, daß ihre Beherrscher Dir niemals Parteilichkeit vorwerfen
können. Denn je nachdem sich das Glück auf die eine oder auf die andre
Seite neigt, würden sie nicht verfehlen, abwechselnd Dich büßen zu lassen für
das, was jeder glauben würde mit Recht Dir schuld geben zu können."

Das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland findet sich schon in dem ersten
politischen Aufsatze, der uns von dem jugendlichen Kronprinzen von Preußen
aus dem Jahre 1738 aufbewahrt ist, mit kurzen Worten so treffend charakterisirt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/67>, abgerufen am 24.08.2024.