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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

blicke bestehen. In den "Briefen über die Vaterlandsliebe" aus dem Jahre
1779 (Oeuvre IX, 216) äußert der König: "Die guten Monarchien, deren
Negierung weise und mild ist, bilden heutzutage eine Staatsform, die der
Oligarchie näher steht als dem Despotismus; die Gesetze allein sind es, die
in ihnen regieren. Denke man sich die Zahl der Personen, die im Rate des
Fürsten, in der Justiz- und Finanzverwaltung, im auswärtigen Dienste, im
Handels- und Verkehrswesen, im Heere, in der innern Verwaltung angestellt
sind; nehme man die dazu, die in den Provinzialstü'nden Sitz und Stimme
haben, sie alle haben teil an der Staatsgewalt (xsi-tieixsut g, l'autorit-6 sou-
verein"?). Der Fürst ist daher kein Despot, der bloß seiner Laune folgen dürfte.
Man muß ihn als den Mittelpunkt betrachten, in den alle vom Umkreis aus
gezogenen Strahlen einmünden." Der König gesteht also hier den Beamten
einen gewissen Anteil an der Regierungsgewalt zu, und mit Recht. Wenn der
Fürst der oberste Beamte des Staates ist, so sind die übrigen Staatsbeamten
zwar seine Untergebenen, aber nicht bloß seine persönlichen Diener. In der
Vertretung der verschiedenen Volks- und Staatsinteressen durch das Beamtentum
mochte man bis auf weiters eine Einrichtung erblicken, die im wesentlichen die
Dienste einer konstitutionellen Volksvertretung ersetzen konnte, vorausgesetzt,
daß der König und seine Beamten immer von einem gleich lebendigen Pflicht¬
gefühl beseelt waren, und daß überdies die Verwaltung eine den fortschreiten¬
den Bedürfnissen der Zeit jeweils entsprechende Organisation besaß. , .

Nicht bloß straffe Zusammenfassung, sondern auch höchste Anspannung
aller Kräfte ist besonders dem preußischen Staate Vonnöten, der unter den
Großstaaten Europas seinen Platz genommen hat und doch verhältnismäßig
klein ist. "In Frankreich ist jeder Minister gewissermaßen König in seinem
Departement, in den Finanzen, im Kriegswesen, in den auswärtigen Angelegen¬
heiten. Aber es fehlt die Hand, die das Ganze zusammenfaßt und alle ihre
Arbeiten auf ein bestimmtes Ziel hinlenkt. Wenn etwas Ähnliches im preußischen
Staate begegnete, so wäre er verloren. Die großen Monarchien erhalten sich
trotz der Mißbräuche, ihr Gewicht und die innewohnende Kraft hält sie auf¬
recht, während kleinere Staaten bald erdrückt werden, wenn nicht alles in ihnen
Kraft, Nerv und energischer Wille ist (Ä tont <zux n'est toros, mert et
viZusur)." (Oeuvres IX, 191.) Seele Wachsamkeit ist daher Lebensbedingung
für den preußischen Staat. "Solange er," heißt es ebenda, "nicht größere
Festigkeit und bessere Grenzen gewonnen haben wird, muß er Regenten haben,
welche immer auf Wache stehen (<M soisnt toujours W veclöttö)."

Die geschichtlichen und geographischen Bedingungen des Bestehens und
des Wachstumes des preußischen Staates, die Friedrich mit schärferem Blick als
irgend jemand erfaßte, macheu diesem Staate und seinem Fürsten den militäri¬
schen Charakter zur Notwendigkeit. In dem Mxoss co Aouvm-nsmout ^russien
sagt der König kurz und bündig: "Wenn der Souverän sich des Militärwesens


Grenzboten IV. 1888. 8
Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

blicke bestehen. In den „Briefen über die Vaterlandsliebe" aus dem Jahre
1779 (Oeuvre IX, 216) äußert der König: „Die guten Monarchien, deren
Negierung weise und mild ist, bilden heutzutage eine Staatsform, die der
Oligarchie näher steht als dem Despotismus; die Gesetze allein sind es, die
in ihnen regieren. Denke man sich die Zahl der Personen, die im Rate des
Fürsten, in der Justiz- und Finanzverwaltung, im auswärtigen Dienste, im
Handels- und Verkehrswesen, im Heere, in der innern Verwaltung angestellt
sind; nehme man die dazu, die in den Provinzialstü'nden Sitz und Stimme
haben, sie alle haben teil an der Staatsgewalt (xsi-tieixsut g, l'autorit-6 sou-
verein«?). Der Fürst ist daher kein Despot, der bloß seiner Laune folgen dürfte.
Man muß ihn als den Mittelpunkt betrachten, in den alle vom Umkreis aus
gezogenen Strahlen einmünden." Der König gesteht also hier den Beamten
einen gewissen Anteil an der Regierungsgewalt zu, und mit Recht. Wenn der
Fürst der oberste Beamte des Staates ist, so sind die übrigen Staatsbeamten
zwar seine Untergebenen, aber nicht bloß seine persönlichen Diener. In der
Vertretung der verschiedenen Volks- und Staatsinteressen durch das Beamtentum
mochte man bis auf weiters eine Einrichtung erblicken, die im wesentlichen die
Dienste einer konstitutionellen Volksvertretung ersetzen konnte, vorausgesetzt,
daß der König und seine Beamten immer von einem gleich lebendigen Pflicht¬
gefühl beseelt waren, und daß überdies die Verwaltung eine den fortschreiten¬
den Bedürfnissen der Zeit jeweils entsprechende Organisation besaß. , .

Nicht bloß straffe Zusammenfassung, sondern auch höchste Anspannung
aller Kräfte ist besonders dem preußischen Staate Vonnöten, der unter den
Großstaaten Europas seinen Platz genommen hat und doch verhältnismäßig
klein ist. „In Frankreich ist jeder Minister gewissermaßen König in seinem
Departement, in den Finanzen, im Kriegswesen, in den auswärtigen Angelegen¬
heiten. Aber es fehlt die Hand, die das Ganze zusammenfaßt und alle ihre
Arbeiten auf ein bestimmtes Ziel hinlenkt. Wenn etwas Ähnliches im preußischen
Staate begegnete, so wäre er verloren. Die großen Monarchien erhalten sich
trotz der Mißbräuche, ihr Gewicht und die innewohnende Kraft hält sie auf¬
recht, während kleinere Staaten bald erdrückt werden, wenn nicht alles in ihnen
Kraft, Nerv und energischer Wille ist (Ä tont <zux n'est toros, mert et
viZusur)." (Oeuvres IX, 191.) Seele Wachsamkeit ist daher Lebensbedingung
für den preußischen Staat. „Solange er," heißt es ebenda, „nicht größere
Festigkeit und bessere Grenzen gewonnen haben wird, muß er Regenten haben,
welche immer auf Wache stehen (<M soisnt toujours W veclöttö)."

Die geschichtlichen und geographischen Bedingungen des Bestehens und
des Wachstumes des preußischen Staates, die Friedrich mit schärferem Blick als
irgend jemand erfaßte, macheu diesem Staate und seinem Fürsten den militäri¬
schen Charakter zur Notwendigkeit. In dem Mxoss co Aouvm-nsmout ^russien
sagt der König kurz und bündig: „Wenn der Souverän sich des Militärwesens


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[0065] Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen. blicke bestehen. In den „Briefen über die Vaterlandsliebe" aus dem Jahre 1779 (Oeuvre IX, 216) äußert der König: „Die guten Monarchien, deren Negierung weise und mild ist, bilden heutzutage eine Staatsform, die der Oligarchie näher steht als dem Despotismus; die Gesetze allein sind es, die in ihnen regieren. Denke man sich die Zahl der Personen, die im Rate des Fürsten, in der Justiz- und Finanzverwaltung, im auswärtigen Dienste, im Handels- und Verkehrswesen, im Heere, in der innern Verwaltung angestellt sind; nehme man die dazu, die in den Provinzialstü'nden Sitz und Stimme haben, sie alle haben teil an der Staatsgewalt (xsi-tieixsut g, l'autorit-6 sou- verein«?). Der Fürst ist daher kein Despot, der bloß seiner Laune folgen dürfte. Man muß ihn als den Mittelpunkt betrachten, in den alle vom Umkreis aus gezogenen Strahlen einmünden." Der König gesteht also hier den Beamten einen gewissen Anteil an der Regierungsgewalt zu, und mit Recht. Wenn der Fürst der oberste Beamte des Staates ist, so sind die übrigen Staatsbeamten zwar seine Untergebenen, aber nicht bloß seine persönlichen Diener. In der Vertretung der verschiedenen Volks- und Staatsinteressen durch das Beamtentum mochte man bis auf weiters eine Einrichtung erblicken, die im wesentlichen die Dienste einer konstitutionellen Volksvertretung ersetzen konnte, vorausgesetzt, daß der König und seine Beamten immer von einem gleich lebendigen Pflicht¬ gefühl beseelt waren, und daß überdies die Verwaltung eine den fortschreiten¬ den Bedürfnissen der Zeit jeweils entsprechende Organisation besaß. , . Nicht bloß straffe Zusammenfassung, sondern auch höchste Anspannung aller Kräfte ist besonders dem preußischen Staate Vonnöten, der unter den Großstaaten Europas seinen Platz genommen hat und doch verhältnismäßig klein ist. „In Frankreich ist jeder Minister gewissermaßen König in seinem Departement, in den Finanzen, im Kriegswesen, in den auswärtigen Angelegen¬ heiten. Aber es fehlt die Hand, die das Ganze zusammenfaßt und alle ihre Arbeiten auf ein bestimmtes Ziel hinlenkt. Wenn etwas Ähnliches im preußischen Staate begegnete, so wäre er verloren. Die großen Monarchien erhalten sich trotz der Mißbräuche, ihr Gewicht und die innewohnende Kraft hält sie auf¬ recht, während kleinere Staaten bald erdrückt werden, wenn nicht alles in ihnen Kraft, Nerv und energischer Wille ist (Ä tont <zux n'est toros, mert et viZusur)." (Oeuvres IX, 191.) Seele Wachsamkeit ist daher Lebensbedingung für den preußischen Staat. „Solange er," heißt es ebenda, „nicht größere Festigkeit und bessere Grenzen gewonnen haben wird, muß er Regenten haben, welche immer auf Wache stehen (<M soisnt toujours W veclöttö)." Die geschichtlichen und geographischen Bedingungen des Bestehens und des Wachstumes des preußischen Staates, die Friedrich mit schärferem Blick als irgend jemand erfaßte, macheu diesem Staate und seinem Fürsten den militäri¬ schen Charakter zur Notwendigkeit. In dem Mxoss co Aouvm-nsmout ^russien sagt der König kurz und bündig: „Wenn der Souverän sich des Militärwesens Grenzboten IV. 1888. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/65>, abgerufen am 24.08.2024.