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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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vie Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

durchgemacht hatten, ihren Gegnern außerordentlich überlegen waren, weil in
einem Bürgerkriege alles Soldat ist, weil das Verdienst sich unabhängig von
der Gunst geltend machen kann, weil alle Talente zur Entwicklung kommen
und die Menschen die Gewohnheit annehmen, zu entfalten, was sie an Mut
und Klugheit besitze"." Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß ein Bürger¬
krieg immer von so annehmbaren Folgen begleitet sein müsse. Die Dinge dieser
Welt weisen überall die größte Verschiedenheit auf, und wenn man auf die
Einzelheiten eingeht, wird man finden, daß die Unterschiede staatlicher Formen
und staatlicher Zustände ins Unendliche gehen. Daher ist es kaum möglich,
allgemeingiltige Regeln für das staatliche Handeln zu geben, allgemeine poli¬
tische Lehren aufzustellen, die sich freihalten würden von dem Vorwurfe, für die
Praxis wenig brauchbare Gemeinplätze zu sein. Ein verhältnismäßig kurzer
Zeitraum ist verflossen seit der Zeit, wo Macchiavelli sein Buch vom Fürsten
schrieb, und doch hat sich inzwischen die Welt so sehr geändert, daß sie kaum
wiederzuerkennen ist. Eine Reihenfolge geschichtlicher Vorgänge hat eine so
allgemeine und tiefgreifende Umgestaltung herbeigeführt, daß auch von den
Sätzen, die zu Macchiavellis Zeiten ihre Wahrheit gehabt haben mögen, die
meisten auf unsre moderne Politik nicht mehr anwendbar sind. Wie die Menschen
geboren werden, eine Zeit laug leben und dann an Alter oder Krankheit sterben,
so haben die Staaten ihre bestimmte Lebenszeit. Die größten Monarchieen
sind davon nicht ausgenommen. Wenn gewaltige Reiche zu gründe gehen, so
ist die erste Ursache davon immer in der Schwächung der Institutionen zu
suchen. Die Geschichte lehrt, daß diejenigen Grundgesetze der Staaten am längsten
bestanden haben, die sich das allgemeine Wohl zum Ziele gesetzt haben und
am meisten dem Geiste des Volkes entsprechen, dessen staatliches Leben sie
regeln. Der oft bis zu blinder Verehrung gehende Respekt, den die Menschen
dem Althergebrachten widmen, die Achtung vor dem, was die Probe bestanden
hat, machen, daß erbliche Monarchien am leichtesten zu regieren sind. Die im
eigentlichen Sinne monarchische Negierung, die unumschränkte Alleinherrschaft,
ist (Osuvros IX, 198) die schlechteste oder die beste aller Staatsformen, je nach
der Beschaffenheit ihrer Anwendung. Die Ursachen, die eine monarchische Ne¬
gierung zu einer schlechten machen, mögen verschiedenartig sein, sie entspringen
aber schließlich immer dem Charakter des Fürsten. In dieser Abhängigkeit von
der Persönlichkeit des Regierenden liegt eine unbestreitbare Schwäche der Re-
gierungsform.

Hier stellt sich die Frage ein, ob es denn dem Scharfblick des großen
Königs ganz entgangen sei, daß eben diese Schwäche des von ihm gehandhabten
Systems die Aufgabe stelle, irgendwie eine Abhilfe zu schaffen, oder wenigstens
die mit dem Absolutismus verbundenen Unzuträglichkeiten zu mildern, ohne
die Vorzüge desselben zu beeinträchtigen, die namentlich in der sichern und schlag¬
fertigen Zusammenfassung aller staatlichen Machtmittel im gegebenen Angen-


vie Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

durchgemacht hatten, ihren Gegnern außerordentlich überlegen waren, weil in
einem Bürgerkriege alles Soldat ist, weil das Verdienst sich unabhängig von
der Gunst geltend machen kann, weil alle Talente zur Entwicklung kommen
und die Menschen die Gewohnheit annehmen, zu entfalten, was sie an Mut
und Klugheit besitze»." Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß ein Bürger¬
krieg immer von so annehmbaren Folgen begleitet sein müsse. Die Dinge dieser
Welt weisen überall die größte Verschiedenheit auf, und wenn man auf die
Einzelheiten eingeht, wird man finden, daß die Unterschiede staatlicher Formen
und staatlicher Zustände ins Unendliche gehen. Daher ist es kaum möglich,
allgemeingiltige Regeln für das staatliche Handeln zu geben, allgemeine poli¬
tische Lehren aufzustellen, die sich freihalten würden von dem Vorwurfe, für die
Praxis wenig brauchbare Gemeinplätze zu sein. Ein verhältnismäßig kurzer
Zeitraum ist verflossen seit der Zeit, wo Macchiavelli sein Buch vom Fürsten
schrieb, und doch hat sich inzwischen die Welt so sehr geändert, daß sie kaum
wiederzuerkennen ist. Eine Reihenfolge geschichtlicher Vorgänge hat eine so
allgemeine und tiefgreifende Umgestaltung herbeigeführt, daß auch von den
Sätzen, die zu Macchiavellis Zeiten ihre Wahrheit gehabt haben mögen, die
meisten auf unsre moderne Politik nicht mehr anwendbar sind. Wie die Menschen
geboren werden, eine Zeit laug leben und dann an Alter oder Krankheit sterben,
so haben die Staaten ihre bestimmte Lebenszeit. Die größten Monarchieen
sind davon nicht ausgenommen. Wenn gewaltige Reiche zu gründe gehen, so
ist die erste Ursache davon immer in der Schwächung der Institutionen zu
suchen. Die Geschichte lehrt, daß diejenigen Grundgesetze der Staaten am längsten
bestanden haben, die sich das allgemeine Wohl zum Ziele gesetzt haben und
am meisten dem Geiste des Volkes entsprechen, dessen staatliches Leben sie
regeln. Der oft bis zu blinder Verehrung gehende Respekt, den die Menschen
dem Althergebrachten widmen, die Achtung vor dem, was die Probe bestanden
hat, machen, daß erbliche Monarchien am leichtesten zu regieren sind. Die im
eigentlichen Sinne monarchische Negierung, die unumschränkte Alleinherrschaft,
ist (Osuvros IX, 198) die schlechteste oder die beste aller Staatsformen, je nach
der Beschaffenheit ihrer Anwendung. Die Ursachen, die eine monarchische Ne¬
gierung zu einer schlechten machen, mögen verschiedenartig sein, sie entspringen
aber schließlich immer dem Charakter des Fürsten. In dieser Abhängigkeit von
der Persönlichkeit des Regierenden liegt eine unbestreitbare Schwäche der Re-
gierungsform.

Hier stellt sich die Frage ein, ob es denn dem Scharfblick des großen
Königs ganz entgangen sei, daß eben diese Schwäche des von ihm gehandhabten
Systems die Aufgabe stelle, irgendwie eine Abhilfe zu schaffen, oder wenigstens
die mit dem Absolutismus verbundenen Unzuträglichkeiten zu mildern, ohne
die Vorzüge desselben zu beeinträchtigen, die namentlich in der sichern und schlag¬
fertigen Zusammenfassung aller staatlichen Machtmittel im gegebenen Angen-


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[0064] vie Staatsphilosophie Friedrichs des Großen. durchgemacht hatten, ihren Gegnern außerordentlich überlegen waren, weil in einem Bürgerkriege alles Soldat ist, weil das Verdienst sich unabhängig von der Gunst geltend machen kann, weil alle Talente zur Entwicklung kommen und die Menschen die Gewohnheit annehmen, zu entfalten, was sie an Mut und Klugheit besitze»." Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß ein Bürger¬ krieg immer von so annehmbaren Folgen begleitet sein müsse. Die Dinge dieser Welt weisen überall die größte Verschiedenheit auf, und wenn man auf die Einzelheiten eingeht, wird man finden, daß die Unterschiede staatlicher Formen und staatlicher Zustände ins Unendliche gehen. Daher ist es kaum möglich, allgemeingiltige Regeln für das staatliche Handeln zu geben, allgemeine poli¬ tische Lehren aufzustellen, die sich freihalten würden von dem Vorwurfe, für die Praxis wenig brauchbare Gemeinplätze zu sein. Ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum ist verflossen seit der Zeit, wo Macchiavelli sein Buch vom Fürsten schrieb, und doch hat sich inzwischen die Welt so sehr geändert, daß sie kaum wiederzuerkennen ist. Eine Reihenfolge geschichtlicher Vorgänge hat eine so allgemeine und tiefgreifende Umgestaltung herbeigeführt, daß auch von den Sätzen, die zu Macchiavellis Zeiten ihre Wahrheit gehabt haben mögen, die meisten auf unsre moderne Politik nicht mehr anwendbar sind. Wie die Menschen geboren werden, eine Zeit laug leben und dann an Alter oder Krankheit sterben, so haben die Staaten ihre bestimmte Lebenszeit. Die größten Monarchieen sind davon nicht ausgenommen. Wenn gewaltige Reiche zu gründe gehen, so ist die erste Ursache davon immer in der Schwächung der Institutionen zu suchen. Die Geschichte lehrt, daß diejenigen Grundgesetze der Staaten am längsten bestanden haben, die sich das allgemeine Wohl zum Ziele gesetzt haben und am meisten dem Geiste des Volkes entsprechen, dessen staatliches Leben sie regeln. Der oft bis zu blinder Verehrung gehende Respekt, den die Menschen dem Althergebrachten widmen, die Achtung vor dem, was die Probe bestanden hat, machen, daß erbliche Monarchien am leichtesten zu regieren sind. Die im eigentlichen Sinne monarchische Negierung, die unumschränkte Alleinherrschaft, ist (Osuvros IX, 198) die schlechteste oder die beste aller Staatsformen, je nach der Beschaffenheit ihrer Anwendung. Die Ursachen, die eine monarchische Ne¬ gierung zu einer schlechten machen, mögen verschiedenartig sein, sie entspringen aber schließlich immer dem Charakter des Fürsten. In dieser Abhängigkeit von der Persönlichkeit des Regierenden liegt eine unbestreitbare Schwäche der Re- gierungsform. Hier stellt sich die Frage ein, ob es denn dem Scharfblick des großen Königs ganz entgangen sei, daß eben diese Schwäche des von ihm gehandhabten Systems die Aufgabe stelle, irgendwie eine Abhilfe zu schaffen, oder wenigstens die mit dem Absolutismus verbundenen Unzuträglichkeiten zu mildern, ohne die Vorzüge desselben zu beeinträchtigen, die namentlich in der sichern und schlag¬ fertigen Zusammenfassung aller staatlichen Machtmittel im gegebenen Angen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/64>, abgerufen am 24.08.2024.