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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

bestimmt, die Werkzeuge und Diener ihrer ungeordneten Leidenschaften zu sein.
Sobald der Grundsatz, von dem man ausgeht, falsch ist, müssen auch die
Folgerungen bis ins Unendliche fehlerhaft sein. Daher dieser Hang nach falschem
Ruhm, daher dieses unersättliche Verlangen, alles an sich zu bringen, daher die
Hurte der Abgaben, mit denen das Volk beladen ist, daher die Trägheit der
Fürsten, ihr Hochmut, ihre Ungerechtigkeit, ihre Unmenschlichkeit, ihre Tyrannei
und alle die Laster, die die menschliche Natur entwürdigen."

Aus dem Satze, daß der Fürst das zum Herrschen berufene Organ, der
erste Diener des Staates sei, ergiebt sich, daß alle seine Handlungen geleitet
werden müssen von der Pflicht, die seine Stellung ihm auferlegt. Mit andrer
und, setzen wir hinzu, wissenschaftlich haltbarerer Begründung kommt Friedrich
so im wesentlichen zu Kants kategorischem Imperativ. Dem widerspricht nicht,
daß er in einer besondern Abhandlung die Selbstliebe als Prinzip der Moral
nachzuweisen sucht. Die Tugend ist dort erkannt als une neureuse äisvosition
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xroxre avant^e. Setzen wir an Stelle des unglücklich gewählten Ausdruckes
ÄVMtaM das zutreffendere Wort Befriedigung, so kann jede ideelle Befriedigung,
also auch die aus dem Walten des Triebes der Pflichterfüllung hervorgehende,
als eine die Selbstliebe affizirende Empfindung aufgefaßt werden. Pflicht¬
trieb ist eine teils charakterologisch gegebene, teils durch Erziehung entwickelte
Anlage. Der innere und äußere Beruf aber ist es, der jedem die Art der
Befriedigung desselben zuweist. "Der gute Bürger," heißt es Oeuvres IX, 215,
"ist ein Mann, der es sich zur unwandelbaren Regel gemacht hat, so viel an
ihm liegt, der Gesellschaft, deren Mitglied er ist, nützlich zu sein." Der Citoyen-
Roi, das zum Herrschen berufene Mitglied der Staatsgemeinschaft, wird vor
allen Dingen sich Rechenschaft davon zu geben haben, welche Pflichten seine
besondre Stellung an der Spitze des besondern Staatswesens, dessen Wohl ihm
anvertraut ist, ihm auferlegt. Glückliches Preußen, dessen König so dnrch und
durch ein Preuße war! Glücklicher König, dem die Vorsehung im höchsten
Maße gerade die Anlagen zugeteilt hatte, die der Augenblick des Staatslebens,
wo er die Zügel ergriff, vor allen andern erforderte! Das Zusammenfallen
des innern und äußern Berufes ist das höchste Gnadengeschenk, das der Sterb¬
liche vom Schicksal sich erbitten darf. Dann kann die Pflicht zur Seligkeit,
zur höchsten Befriedigung des eignen Selbst werden.

Erstaunlich ist es zu nennen, mit welchem freien Blick der König, dessen
Denken so ganz auf Erkenntnis seiner Stellung und Pflicht gerichtet war, doch
geschichtliche Erscheinungen zu beurteilen vermochte, die seinem eignen Streben
ganz entgegengesetzt waren. Er selbst arbeitete sein Leben lang daran, seinen
Staat wie eine Maschine einzurichten, die dem Druck seines Fingers gehorchte.
Dabei kann er aber im "Antimachiavel" (Oeuvres VIII, 101) schreiben: "Man
hat mehr als einmal bemerkt, daß die Staaten, die eben einen Bürgerkrieg


Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

bestimmt, die Werkzeuge und Diener ihrer ungeordneten Leidenschaften zu sein.
Sobald der Grundsatz, von dem man ausgeht, falsch ist, müssen auch die
Folgerungen bis ins Unendliche fehlerhaft sein. Daher dieser Hang nach falschem
Ruhm, daher dieses unersättliche Verlangen, alles an sich zu bringen, daher die
Hurte der Abgaben, mit denen das Volk beladen ist, daher die Trägheit der
Fürsten, ihr Hochmut, ihre Ungerechtigkeit, ihre Unmenschlichkeit, ihre Tyrannei
und alle die Laster, die die menschliche Natur entwürdigen."

Aus dem Satze, daß der Fürst das zum Herrschen berufene Organ, der
erste Diener des Staates sei, ergiebt sich, daß alle seine Handlungen geleitet
werden müssen von der Pflicht, die seine Stellung ihm auferlegt. Mit andrer
und, setzen wir hinzu, wissenschaftlich haltbarerer Begründung kommt Friedrich
so im wesentlichen zu Kants kategorischem Imperativ. Dem widerspricht nicht,
daß er in einer besondern Abhandlung die Selbstliebe als Prinzip der Moral
nachzuweisen sucht. Die Tugend ist dort erkannt als une neureuse äisvosition
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xroxre avant^e. Setzen wir an Stelle des unglücklich gewählten Ausdruckes
ÄVMtaM das zutreffendere Wort Befriedigung, so kann jede ideelle Befriedigung,
also auch die aus dem Walten des Triebes der Pflichterfüllung hervorgehende,
als eine die Selbstliebe affizirende Empfindung aufgefaßt werden. Pflicht¬
trieb ist eine teils charakterologisch gegebene, teils durch Erziehung entwickelte
Anlage. Der innere und äußere Beruf aber ist es, der jedem die Art der
Befriedigung desselben zuweist. „Der gute Bürger," heißt es Oeuvres IX, 215,
„ist ein Mann, der es sich zur unwandelbaren Regel gemacht hat, so viel an
ihm liegt, der Gesellschaft, deren Mitglied er ist, nützlich zu sein." Der Citoyen-
Roi, das zum Herrschen berufene Mitglied der Staatsgemeinschaft, wird vor
allen Dingen sich Rechenschaft davon zu geben haben, welche Pflichten seine
besondre Stellung an der Spitze des besondern Staatswesens, dessen Wohl ihm
anvertraut ist, ihm auferlegt. Glückliches Preußen, dessen König so dnrch und
durch ein Preuße war! Glücklicher König, dem die Vorsehung im höchsten
Maße gerade die Anlagen zugeteilt hatte, die der Augenblick des Staatslebens,
wo er die Zügel ergriff, vor allen andern erforderte! Das Zusammenfallen
des innern und äußern Berufes ist das höchste Gnadengeschenk, das der Sterb¬
liche vom Schicksal sich erbitten darf. Dann kann die Pflicht zur Seligkeit,
zur höchsten Befriedigung des eignen Selbst werden.

Erstaunlich ist es zu nennen, mit welchem freien Blick der König, dessen
Denken so ganz auf Erkenntnis seiner Stellung und Pflicht gerichtet war, doch
geschichtliche Erscheinungen zu beurteilen vermochte, die seinem eignen Streben
ganz entgegengesetzt waren. Er selbst arbeitete sein Leben lang daran, seinen
Staat wie eine Maschine einzurichten, die dem Druck seines Fingers gehorchte.
Dabei kann er aber im „Antimachiavel" (Oeuvres VIII, 101) schreiben: „Man
hat mehr als einmal bemerkt, daß die Staaten, die eben einen Bürgerkrieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/63>, abgerufen am 24.08.2024.