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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Am 15, Juni brachte der Senat die Vereinbarung vor die Bürgerschaft.
Er hatte damit absichtlich gezaudert, weil er sich Wohl bewußt war, daß gegen
so revolutionäre Neuerungen der konservative Sinn der Bevölkerung sich ini
ersten Augenblick mit unwiderstehlicher Macht erheben würde. Unterdessen hatte
die Gewerbckammer erklärt, daß ihr die Genehmigung des Vertrages unbedingt
geboten erscheine, und daß die Ablehnung desselben den Gewerbestand aufs
empfindlichste schädigen müsse. Von der Handelskammer wurde ein Gutachten
veröffentlicht, daß nach ihrer Einsicht in jener Vereinbarung alle Bürgschaften
für die Erhaltung der Welthandclsstellung Hamburgs gegeben seien. Mit
gutem Grunde konnten daher die Sprecher des Senats in jener siebenstündigen
Sitzung, die man in Hamburg nie vergessen wird, die Bürgerschaft auffordern,
dem Vertrage ihre Zustimmung zu erteilen. Sie konnten darauf hinweisen,
daß man es jetzt in der Hand habe, einen ehrenvollen und vorteilhaften Frieden
zu erlangen, während man nach der Ablehnung desselben einem noch hart¬
näckigeren Kampfe nicht nur mit dem Reichskanzler, sondern mit dem ganzen
deutschen Vaterlande gegenüber stehen würde, um schließlich doch die ganze
Trostlosigkeit und Schmach eines erzwungenen und ungünstigen Friedensschlusses
auf sich zu nehmen. Sie konnten mit Recht an jenen 4. Juli 1866 erinnern,
wo sie allein durch ihre bessere Einsicht und durch ihre Vorstellungen die
Bürgerschaft dazu bewogen hatten, in letzter Stunde ihr Herzensbündnis mit
Osterreich fahren zu lassen und durch eine weise Verständigung mit dem sieg¬
reichen Preußen die Selbständigkeit ihres Freistaates zu retten. Sie wußten
die Pflicht der deutschen Stadt Hamburg gegen das Vaterland so eindringlich
darzustellen, daß schließlich selbst ein nicht geringer Teil derjenigen, die gegen
ein Hamburg von Bismarcks Gnaden bis zum letzten Augenblick protestirt und
sich geweigert hatten, die gegen die Vaterstadt erhobene Rute zu küssen, für
die getroffene Vereinbarung ihre Stimme abgaben, um durch die Annahme des
kleinern Übels das größere abzuwenden.

Wenn der Bundesrat für deu Anschluß Altonas und der Unterelbe an
das Zollgebiet nicht ein Gesetz, sondern eine von ihm allein ausgehende Ver¬
ordnung als erforderlich erachtet hatte, so konnte ohne Zweifel auch in diesem
Falle, da der Eintritt der Hansestädte in den Zollverein bereits in der Ver¬
fassung vorgesehen war, der Anschluß von Hamburg in verfassungsmäßiger
Weise ohne Mitwirkung des Reichstages erfolgen. Der Gesetzentwurf, den der
Bundesrat dennoch im Herbst 1881 dem Reichstage vorlegte, hatte daher
weniger die Absicht, die Thatsache des Eintritts selber, als vielmehr gewisse
Modalitäten desselben der parlamentarischen Genehmigung zu unterbreiten.
Aber damit war auch dem Reichstage die Gelegenheit gegeben, die gesamte
Abmachung seiner Beurteilung zu unterziehen. Und obwohl die Nachricht von
dein endlichen Eintritt Hamburgs in den Zollverein jedes unbefangene Gemüt
wie ein frischer Luftzug in schwülen Tagen berührte, und der Hamburgische


Grenzboten IV. 1838. 7?

Am 15, Juni brachte der Senat die Vereinbarung vor die Bürgerschaft.
Er hatte damit absichtlich gezaudert, weil er sich Wohl bewußt war, daß gegen
so revolutionäre Neuerungen der konservative Sinn der Bevölkerung sich ini
ersten Augenblick mit unwiderstehlicher Macht erheben würde. Unterdessen hatte
die Gewerbckammer erklärt, daß ihr die Genehmigung des Vertrages unbedingt
geboten erscheine, und daß die Ablehnung desselben den Gewerbestand aufs
empfindlichste schädigen müsse. Von der Handelskammer wurde ein Gutachten
veröffentlicht, daß nach ihrer Einsicht in jener Vereinbarung alle Bürgschaften
für die Erhaltung der Welthandclsstellung Hamburgs gegeben seien. Mit
gutem Grunde konnten daher die Sprecher des Senats in jener siebenstündigen
Sitzung, die man in Hamburg nie vergessen wird, die Bürgerschaft auffordern,
dem Vertrage ihre Zustimmung zu erteilen. Sie konnten darauf hinweisen,
daß man es jetzt in der Hand habe, einen ehrenvollen und vorteilhaften Frieden
zu erlangen, während man nach der Ablehnung desselben einem noch hart¬
näckigeren Kampfe nicht nur mit dem Reichskanzler, sondern mit dem ganzen
deutschen Vaterlande gegenüber stehen würde, um schließlich doch die ganze
Trostlosigkeit und Schmach eines erzwungenen und ungünstigen Friedensschlusses
auf sich zu nehmen. Sie konnten mit Recht an jenen 4. Juli 1866 erinnern,
wo sie allein durch ihre bessere Einsicht und durch ihre Vorstellungen die
Bürgerschaft dazu bewogen hatten, in letzter Stunde ihr Herzensbündnis mit
Osterreich fahren zu lassen und durch eine weise Verständigung mit dem sieg¬
reichen Preußen die Selbständigkeit ihres Freistaates zu retten. Sie wußten
die Pflicht der deutschen Stadt Hamburg gegen das Vaterland so eindringlich
darzustellen, daß schließlich selbst ein nicht geringer Teil derjenigen, die gegen
ein Hamburg von Bismarcks Gnaden bis zum letzten Augenblick protestirt und
sich geweigert hatten, die gegen die Vaterstadt erhobene Rute zu küssen, für
die getroffene Vereinbarung ihre Stimme abgaben, um durch die Annahme des
kleinern Übels das größere abzuwenden.

Wenn der Bundesrat für deu Anschluß Altonas und der Unterelbe an
das Zollgebiet nicht ein Gesetz, sondern eine von ihm allein ausgehende Ver¬
ordnung als erforderlich erachtet hatte, so konnte ohne Zweifel auch in diesem
Falle, da der Eintritt der Hansestädte in den Zollverein bereits in der Ver¬
fassung vorgesehen war, der Anschluß von Hamburg in verfassungsmäßiger
Weise ohne Mitwirkung des Reichstages erfolgen. Der Gesetzentwurf, den der
Bundesrat dennoch im Herbst 1881 dem Reichstage vorlegte, hatte daher
weniger die Absicht, die Thatsache des Eintritts selber, als vielmehr gewisse
Modalitäten desselben der parlamentarischen Genehmigung zu unterbreiten.
Aber damit war auch dem Reichstage die Gelegenheit gegeben, die gesamte
Abmachung seiner Beurteilung zu unterziehen. Und obwohl die Nachricht von
dein endlichen Eintritt Hamburgs in den Zollverein jedes unbefangene Gemüt
wie ein frischer Luftzug in schwülen Tagen berührte, und der Hamburgische


Grenzboten IV. 1838. 7?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/617>, abgerufen am 22.07.2024.