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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Jollanschluß Hamburgs und Bremens.

den Reichstag, zu beschließen, daß es weder dem bundesstaatlichen Verhältnis,
noch der Achtung vor dem geltenden Verfassungsrecht entspreche, wenn der
Bundesrat Änderungen der Zolleinrichtungen vornehmen sollte, lediglich zu dem
Zwecke, um einzelne Bundesstaaten in dem freien Gebrauche ihres verfassungs¬
mäßigen Rechts zu beschränken.

Aber in dem Augenblicke, wo die Leidenschaften über das Bestreben des
Reichskanzlers, eine ganz zweifellos nationale Einrichtung ihrer Vollendung
entgegenzuführen, ihren Gipfelpunkt erreichten, sollte auch der Umschwung der
Dinge erfolgen. An demselben 25. Mai 1881, an dem über den Antrag Richter
zum erstenmale im Reichstag verhandelt wurde, war bereits die vorläufige Ver¬
einbarung zwischen der Reichsregierung und den Hamburgischen Bevollmächtigten
über die anderweitige Abgrenzung des Freihafengebiets unterzeichnet worden.
Indem die Führer der Fortschrittspartei den Versuch machten, die Mehrheit
des Reichstages zum Schutze eines Bundesstaates aufzubieten, der durch deu
Bundesrat bedroht sein sollte, hatten sie wie Sachwalter ohne Klienten plaidirt.
Nur mit zu gutem Rechte konnte Fürst Bismarck damals dem Reichstage vor¬
halten, daß der nationale Gedanke seine beste Stütze nicht mehr im Parlament,
sondern bei den Regierungen habe. Wie so oft in der Geschichte der alten
Hanse der Rat der Hansestädte sich der Bürgerschaft an weiser Voraussicht über¬
legen bewiesen hat, so hatte auch in diesem Falle der Hamburger Senat den
klugen patriotischen Entschluß gefaßt, den unerfreulichen Zuständen, die über die
Unterelbe hereinzubrechen drohten, zuvorzukommen und, zunächst im vollsten Wider¬
spruche mit der öffentlichen Meinung in Hamburg, den Frieden mit dem Reiche
zu schließen. Nicht als ob der Hamburger Senat weniger lebhaft als die
Bürgerschaft die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes gewünscht
hätte. Aber der Hamburger Senat war mit der Handelskammer der Ansicht,
daß der Sieg in der Se. Pauli-Frage mir ein Pyrrhussieg sei, und daß die
Frage des Anschlusses immer von neuem und kräftiger auftreten werde. Er
hatte daher nicht nur seit längerer Zeit in Gemeinschaft mit der Handelskammer
die Untersuchungen angestellt, welche erforderlich waren, um im Falle von Ver¬
handlungen in jeder Beziehung unterrichtet zu sein, sondern auch an den preußi¬
schen Finanzminister Bitter die Frage gerichtet, ob er geneigt sei, in vor¬
läufige Besprechungen über die Möglichkeit eines Eintritts Hamburgs in den
Zollverein einzuwilligen. In monatelanger eingehendster gemeinsamer Arbeit
mit einem vom Finanzminister dazu bestimmten Zollbeamten waren dann die
Hamburger Bevollmächtigten von Tag zu Tage mehr zu der Einsicht gelangt,
daß eine Verständigung mit der Reichsregierung möglich sein würde. Nachdem
darauf am 9. Mai 1881 die formellen Verhandlungen über den Eintritt er¬
öffnet worden waren, wurde es, dank der loyalen und entgegenkommenden
Haltung aller Beteiligten, möglich, in der kurzen Zeit bis zum 25. Mai über
alle Hauptfragen ein Einverständnis herzustellen.


Der Jollanschluß Hamburgs und Bremens.

den Reichstag, zu beschließen, daß es weder dem bundesstaatlichen Verhältnis,
noch der Achtung vor dem geltenden Verfassungsrecht entspreche, wenn der
Bundesrat Änderungen der Zolleinrichtungen vornehmen sollte, lediglich zu dem
Zwecke, um einzelne Bundesstaaten in dem freien Gebrauche ihres verfassungs¬
mäßigen Rechts zu beschränken.

Aber in dem Augenblicke, wo die Leidenschaften über das Bestreben des
Reichskanzlers, eine ganz zweifellos nationale Einrichtung ihrer Vollendung
entgegenzuführen, ihren Gipfelpunkt erreichten, sollte auch der Umschwung der
Dinge erfolgen. An demselben 25. Mai 1881, an dem über den Antrag Richter
zum erstenmale im Reichstag verhandelt wurde, war bereits die vorläufige Ver¬
einbarung zwischen der Reichsregierung und den Hamburgischen Bevollmächtigten
über die anderweitige Abgrenzung des Freihafengebiets unterzeichnet worden.
Indem die Führer der Fortschrittspartei den Versuch machten, die Mehrheit
des Reichstages zum Schutze eines Bundesstaates aufzubieten, der durch deu
Bundesrat bedroht sein sollte, hatten sie wie Sachwalter ohne Klienten plaidirt.
Nur mit zu gutem Rechte konnte Fürst Bismarck damals dem Reichstage vor¬
halten, daß der nationale Gedanke seine beste Stütze nicht mehr im Parlament,
sondern bei den Regierungen habe. Wie so oft in der Geschichte der alten
Hanse der Rat der Hansestädte sich der Bürgerschaft an weiser Voraussicht über¬
legen bewiesen hat, so hatte auch in diesem Falle der Hamburger Senat den
klugen patriotischen Entschluß gefaßt, den unerfreulichen Zuständen, die über die
Unterelbe hereinzubrechen drohten, zuvorzukommen und, zunächst im vollsten Wider¬
spruche mit der öffentlichen Meinung in Hamburg, den Frieden mit dem Reiche
zu schließen. Nicht als ob der Hamburger Senat weniger lebhaft als die
Bürgerschaft die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes gewünscht
hätte. Aber der Hamburger Senat war mit der Handelskammer der Ansicht,
daß der Sieg in der Se. Pauli-Frage mir ein Pyrrhussieg sei, und daß die
Frage des Anschlusses immer von neuem und kräftiger auftreten werde. Er
hatte daher nicht nur seit längerer Zeit in Gemeinschaft mit der Handelskammer
die Untersuchungen angestellt, welche erforderlich waren, um im Falle von Ver¬
handlungen in jeder Beziehung unterrichtet zu sein, sondern auch an den preußi¬
schen Finanzminister Bitter die Frage gerichtet, ob er geneigt sei, in vor¬
läufige Besprechungen über die Möglichkeit eines Eintritts Hamburgs in den
Zollverein einzuwilligen. In monatelanger eingehendster gemeinsamer Arbeit
mit einem vom Finanzminister dazu bestimmten Zollbeamten waren dann die
Hamburger Bevollmächtigten von Tag zu Tage mehr zu der Einsicht gelangt,
daß eine Verständigung mit der Reichsregierung möglich sein würde. Nachdem
darauf am 9. Mai 1881 die formellen Verhandlungen über den Eintritt er¬
öffnet worden waren, wurde es, dank der loyalen und entgegenkommenden
Haltung aller Beteiligten, möglich, in der kurzen Zeit bis zum 25. Mai über
alle Hauptfragen ein Einverständnis herzustellen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/616>, abgerufen am 03.07.2024.