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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Senats-Sekretär Rölofss Seite an Seite mit den preußischen Bundesrats-
Bevollmächtigten für die Annahme des Vertrages stritt, so wagte es dennoch
dieselbe Fortschrittspartei, die sich bei allen Schritten zur Herstellung deutscher
Einheit in der Negation befunden hatte, noch einmal dem rollenden Wagen ihre
Gedankenspäne zwischen die Speichen zu werfen. Der Hamburger Senat hatte,
nachdem die beiden gesetzgebenden Gewalten der freien und Hansestadt Hamburg
die Vereinbarung vom 25. Mai mit großer Mehrzahl gebilligt, nach Artikel 34
der Reichsverfassung den Antrag auf Eintritt in den Zollverband an den
Bundesrat gerichtet. Die Fortschrittspartei erklärte, daß sie auf die Ab¬
machungen zwischen Hamburg und der Reichsregierung nichts geben könne,
da sich die'Hamburger in einer Zwangslage befunden und nicht mit freiem
Urteil gehandelt hätten. Solange die Hamburger dem Reichskanzler wider¬
standen hatten, war ihre Erbweisheit von den fortschrittlichen Blättern bis in
den Himmel erhoben worden. Jetzt wurden sie zu charakterlosen Menschen ge¬
stempelt, die sich voller Furcht dem ersten Angriff des Reichskanzlers fügten.
Bisher waren die Freihändler die Begünstiger jeder Erweiterung des Zoll¬
vereins gewesen, und die Führer der Fortschrittspartei hatten stets beteuert,
daß sie die Reservatrechte, die man den süddeutschem Staaten zum Schaden der
Reichseinheit eingeräumt hätte, mit so und so vielen Millionen abzukaufen
bereit wären. Jetzt zürnten sie über die maßlose Verschwendung an National¬
vermögen und über die Prämiirung eines Systemes der wirtschaftlichen Be¬
unruhigung. Die deutschen Industriellen, die den Eintritt Hamburgs in die
Zollgrenzen verlangten, wurden in ihren Augen zu Leuten, die ihr eignes
Interesse nicht verstünden. Die Kommission, an welche der Reichstag die
Regierungsvorlage verwiesen hatte, hatte sich unter den Vorsitz des Abgeordneten
Bamberger in überwiegender Mehrheit dafür ausgesprochen. Trotzdem wurde
sie in den fortschrittlichen Blättern für ihrer Aufgabe nicht gewachsen erklärt
und ebenso der Vernichtung anheim gegeben, wie der heimtückische Reichskanzler,
der wieder einmal sein altes "Macht geht vor Recht" erwiesen habe, der bis
zum Jahre 1878 ein Freihändler gewesen, jetzt ein Schutzzöllner geworden sei
und im Handumdrehen vielleicht noch einmal ein Freihändler werden würde.
Zum Glück vermochten diese rednerischen Ergüsse xv8t töswin, wenig Eindruck
mehr zu machen und noch weniger das Erreichte zu ändern. Die Führer der
Fortschrittspartei glichen nur zu sehr einem General, der nach der Verlornen
Schlacht beweist, daß er nach allen Grundsätzen der Taktik und der Strategie
und nach dem gesunden Menschenverstande die Schlacht hätte gewinne" müssen,
wenn nicht ganz unberechenbare elementare Ereignisse dazwischengetreten wären.

Das Verhalten des Hamburger Senats duldet keinen Vergleich mit dem
des Kommandanten einer belagerten Festung, der den Feind vor den Thoren
sieht und lieber die Schlüssel ausliefert, als den drohenden Sturm erwartet. Die
Vereinbarung vom 25. Mai war zu Stande gekommen auf dem Wege praktischer


Senats-Sekretär Rölofss Seite an Seite mit den preußischen Bundesrats-
Bevollmächtigten für die Annahme des Vertrages stritt, so wagte es dennoch
dieselbe Fortschrittspartei, die sich bei allen Schritten zur Herstellung deutscher
Einheit in der Negation befunden hatte, noch einmal dem rollenden Wagen ihre
Gedankenspäne zwischen die Speichen zu werfen. Der Hamburger Senat hatte,
nachdem die beiden gesetzgebenden Gewalten der freien und Hansestadt Hamburg
die Vereinbarung vom 25. Mai mit großer Mehrzahl gebilligt, nach Artikel 34
der Reichsverfassung den Antrag auf Eintritt in den Zollverband an den
Bundesrat gerichtet. Die Fortschrittspartei erklärte, daß sie auf die Ab¬
machungen zwischen Hamburg und der Reichsregierung nichts geben könne,
da sich die'Hamburger in einer Zwangslage befunden und nicht mit freiem
Urteil gehandelt hätten. Solange die Hamburger dem Reichskanzler wider¬
standen hatten, war ihre Erbweisheit von den fortschrittlichen Blättern bis in
den Himmel erhoben worden. Jetzt wurden sie zu charakterlosen Menschen ge¬
stempelt, die sich voller Furcht dem ersten Angriff des Reichskanzlers fügten.
Bisher waren die Freihändler die Begünstiger jeder Erweiterung des Zoll¬
vereins gewesen, und die Führer der Fortschrittspartei hatten stets beteuert,
daß sie die Reservatrechte, die man den süddeutschem Staaten zum Schaden der
Reichseinheit eingeräumt hätte, mit so und so vielen Millionen abzukaufen
bereit wären. Jetzt zürnten sie über die maßlose Verschwendung an National¬
vermögen und über die Prämiirung eines Systemes der wirtschaftlichen Be¬
unruhigung. Die deutschen Industriellen, die den Eintritt Hamburgs in die
Zollgrenzen verlangten, wurden in ihren Augen zu Leuten, die ihr eignes
Interesse nicht verstünden. Die Kommission, an welche der Reichstag die
Regierungsvorlage verwiesen hatte, hatte sich unter den Vorsitz des Abgeordneten
Bamberger in überwiegender Mehrheit dafür ausgesprochen. Trotzdem wurde
sie in den fortschrittlichen Blättern für ihrer Aufgabe nicht gewachsen erklärt
und ebenso der Vernichtung anheim gegeben, wie der heimtückische Reichskanzler,
der wieder einmal sein altes „Macht geht vor Recht" erwiesen habe, der bis
zum Jahre 1878 ein Freihändler gewesen, jetzt ein Schutzzöllner geworden sei
und im Handumdrehen vielleicht noch einmal ein Freihändler werden würde.
Zum Glück vermochten diese rednerischen Ergüsse xv8t töswin, wenig Eindruck
mehr zu machen und noch weniger das Erreichte zu ändern. Die Führer der
Fortschrittspartei glichen nur zu sehr einem General, der nach der Verlornen
Schlacht beweist, daß er nach allen Grundsätzen der Taktik und der Strategie
und nach dem gesunden Menschenverstande die Schlacht hätte gewinne» müssen,
wenn nicht ganz unberechenbare elementare Ereignisse dazwischengetreten wären.

Das Verhalten des Hamburger Senats duldet keinen Vergleich mit dem
des Kommandanten einer belagerten Festung, der den Feind vor den Thoren
sieht und lieber die Schlüssel ausliefert, als den drohenden Sturm erwartet. Die
Vereinbarung vom 25. Mai war zu Stande gekommen auf dem Wege praktischer


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[0618] Senats-Sekretär Rölofss Seite an Seite mit den preußischen Bundesrats- Bevollmächtigten für die Annahme des Vertrages stritt, so wagte es dennoch dieselbe Fortschrittspartei, die sich bei allen Schritten zur Herstellung deutscher Einheit in der Negation befunden hatte, noch einmal dem rollenden Wagen ihre Gedankenspäne zwischen die Speichen zu werfen. Der Hamburger Senat hatte, nachdem die beiden gesetzgebenden Gewalten der freien und Hansestadt Hamburg die Vereinbarung vom 25. Mai mit großer Mehrzahl gebilligt, nach Artikel 34 der Reichsverfassung den Antrag auf Eintritt in den Zollverband an den Bundesrat gerichtet. Die Fortschrittspartei erklärte, daß sie auf die Ab¬ machungen zwischen Hamburg und der Reichsregierung nichts geben könne, da sich die'Hamburger in einer Zwangslage befunden und nicht mit freiem Urteil gehandelt hätten. Solange die Hamburger dem Reichskanzler wider¬ standen hatten, war ihre Erbweisheit von den fortschrittlichen Blättern bis in den Himmel erhoben worden. Jetzt wurden sie zu charakterlosen Menschen ge¬ stempelt, die sich voller Furcht dem ersten Angriff des Reichskanzlers fügten. Bisher waren die Freihändler die Begünstiger jeder Erweiterung des Zoll¬ vereins gewesen, und die Führer der Fortschrittspartei hatten stets beteuert, daß sie die Reservatrechte, die man den süddeutschem Staaten zum Schaden der Reichseinheit eingeräumt hätte, mit so und so vielen Millionen abzukaufen bereit wären. Jetzt zürnten sie über die maßlose Verschwendung an National¬ vermögen und über die Prämiirung eines Systemes der wirtschaftlichen Be¬ unruhigung. Die deutschen Industriellen, die den Eintritt Hamburgs in die Zollgrenzen verlangten, wurden in ihren Augen zu Leuten, die ihr eignes Interesse nicht verstünden. Die Kommission, an welche der Reichstag die Regierungsvorlage verwiesen hatte, hatte sich unter den Vorsitz des Abgeordneten Bamberger in überwiegender Mehrheit dafür ausgesprochen. Trotzdem wurde sie in den fortschrittlichen Blättern für ihrer Aufgabe nicht gewachsen erklärt und ebenso der Vernichtung anheim gegeben, wie der heimtückische Reichskanzler, der wieder einmal sein altes „Macht geht vor Recht" erwiesen habe, der bis zum Jahre 1878 ein Freihändler gewesen, jetzt ein Schutzzöllner geworden sei und im Handumdrehen vielleicht noch einmal ein Freihändler werden würde. Zum Glück vermochten diese rednerischen Ergüsse xv8t töswin, wenig Eindruck mehr zu machen und noch weniger das Erreichte zu ändern. Die Führer der Fortschrittspartei glichen nur zu sehr einem General, der nach der Verlornen Schlacht beweist, daß er nach allen Grundsätzen der Taktik und der Strategie und nach dem gesunden Menschenverstande die Schlacht hätte gewinne» müssen, wenn nicht ganz unberechenbare elementare Ereignisse dazwischengetreten wären. Das Verhalten des Hamburger Senats duldet keinen Vergleich mit dem des Kommandanten einer belagerten Festung, der den Feind vor den Thoren sieht und lieber die Schlüssel ausliefert, als den drohenden Sturm erwartet. Die Vereinbarung vom 25. Mai war zu Stande gekommen auf dem Wege praktischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/618>, abgerufen am 22.07.2024.