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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs"und Bremens.

den Irrtum des Reichskanzlers bereitet werden könne. Die Klagen und So¬
phistereien der Hamburger fanden ihren Wiederhall in der freihändlerischen
Presse und selbst in wohlgesinnten Blättern der gemäßigt-liberalen Partei.
Am I. Mai^ 1880 versuchte der Reichstag in einer wenig glücklichen Weise
den Reichskanzler auf dem Umwege einer Jnterpellation einem strengen Verhör
zu unterziehen und über die im Bundesrate noch schwebende Frage schon im
Voraus sein verdammendes Votum abzugeben.

Aber wenn auch die preußische Regierung sich in Bezug auf Se. Pauli
willfährig erwies und sich damit begnügte, den Anschluß Altonas prinzipiell
durchzusetzen, so ließ sie sich doch ihr gutes Recht und die alleinige, ausschlie߬
liche Kompetenz des Bundesrates bei Ausführung der Reichsgesetze nicht be¬
streiten. Sie richtete vielmehr, während die Hamburger wegen ihres Sieges
in einem Meere des Entzückens schwammen, an den Bundesrat den weitern
Antrag, die Zollgrenze auf der Unterelbe zum 1. Januar 1882 nach Cuxhcwen
zu verlegen. Auch diesmal hielt sich Preußen streng auf dem Rechtsboden, es
suchte nur der zum Teil sehr starken Bevölkerung auf beiden Seiten der doch
unzweifelhaft preußischen Niedcrelbe die Wohlthaten des freien Binnenverkehrs
zu verschaffen, deren sie bisher zu Gunsten Hamburgs willkürlich beraubt waren.
Ebenso ließ sich die verfassungsmäßige Befugnis des Bundesrates, diese Frage
selbständig, ohne Mitwirkung des Reichstages zu erledigen, nicht anfechten.
Die Zolllinie war im Jahre 1868, ohne daß eine Stimme im Reichstage da¬
gegen laut geworden wäre, auf eine Verordnung des Bundesrates von Wittcn-
berge nach Bergedorf oberhalb Hamburgs hinabverlegt worden; folglich konnte
sie auch durch eine neue Verordnung des Bundesrates bis an die See vor¬
geschoben werden, wie es das Zollgesetz von 1869 ausdrücklich verlangte. Noch
dazu wären die materiellen Interessen der Hamburger dadurch kaum geschädigt
worden. Das Reich erhebt keine Durchfuhrzölle. Die nach Hamburg aufwärts
gehenden Schiffe wären auch nach Errichtung der Zollstelle in Cuxhaven zoll¬
frei eingegangen und lediglich im Interesse der Zollsicherheit genötigt worden,
für die Fahrt durch die Zollinland gewordene Untcrclbe einen Zollbeamten an
Bord zu nehmen und für diesen die Gebührentaxe zu zahlen.

Sofort erhoben die Hamburger mit der alten vaterstädtischen Begeisterung
und mit der alten Überzeugungstreue in den herzbrechendsten Tönen von
neuem ihre Weherufe über die räuberische Handelspolitik Preußens. Zu ihren
Klagen gesellten sich die Entrüstungsrufe der gesamten Opposition über den
Kanzlerdespotismus, über das Hausmeiertum, über den unausrottbaren Haß der
Junker gegen den Handel und gegen die Städte. Wiederum wurde im Reichs¬
tage behauptet, daß, wie in dem Falle von Se. Pauli, so auch diesmal die
Bundesregierungen verfassungsmäßig nicht berechtigt gewesen seien, die Ein¬
verleibung der Unterelbe in das Zollgebiet ohne die gesetzliche Genehmigung des
Reichstages vorzunehmen. Am 20. Mai 1831 ersuchte der Abgeordnete Richter


Der Zollanschluß Hamburgs"und Bremens.

den Irrtum des Reichskanzlers bereitet werden könne. Die Klagen und So¬
phistereien der Hamburger fanden ihren Wiederhall in der freihändlerischen
Presse und selbst in wohlgesinnten Blättern der gemäßigt-liberalen Partei.
Am I. Mai^ 1880 versuchte der Reichstag in einer wenig glücklichen Weise
den Reichskanzler auf dem Umwege einer Jnterpellation einem strengen Verhör
zu unterziehen und über die im Bundesrate noch schwebende Frage schon im
Voraus sein verdammendes Votum abzugeben.

Aber wenn auch die preußische Regierung sich in Bezug auf Se. Pauli
willfährig erwies und sich damit begnügte, den Anschluß Altonas prinzipiell
durchzusetzen, so ließ sie sich doch ihr gutes Recht und die alleinige, ausschlie߬
liche Kompetenz des Bundesrates bei Ausführung der Reichsgesetze nicht be¬
streiten. Sie richtete vielmehr, während die Hamburger wegen ihres Sieges
in einem Meere des Entzückens schwammen, an den Bundesrat den weitern
Antrag, die Zollgrenze auf der Unterelbe zum 1. Januar 1882 nach Cuxhcwen
zu verlegen. Auch diesmal hielt sich Preußen streng auf dem Rechtsboden, es
suchte nur der zum Teil sehr starken Bevölkerung auf beiden Seiten der doch
unzweifelhaft preußischen Niedcrelbe die Wohlthaten des freien Binnenverkehrs
zu verschaffen, deren sie bisher zu Gunsten Hamburgs willkürlich beraubt waren.
Ebenso ließ sich die verfassungsmäßige Befugnis des Bundesrates, diese Frage
selbständig, ohne Mitwirkung des Reichstages zu erledigen, nicht anfechten.
Die Zolllinie war im Jahre 1868, ohne daß eine Stimme im Reichstage da¬
gegen laut geworden wäre, auf eine Verordnung des Bundesrates von Wittcn-
berge nach Bergedorf oberhalb Hamburgs hinabverlegt worden; folglich konnte
sie auch durch eine neue Verordnung des Bundesrates bis an die See vor¬
geschoben werden, wie es das Zollgesetz von 1869 ausdrücklich verlangte. Noch
dazu wären die materiellen Interessen der Hamburger dadurch kaum geschädigt
worden. Das Reich erhebt keine Durchfuhrzölle. Die nach Hamburg aufwärts
gehenden Schiffe wären auch nach Errichtung der Zollstelle in Cuxhaven zoll¬
frei eingegangen und lediglich im Interesse der Zollsicherheit genötigt worden,
für die Fahrt durch die Zollinland gewordene Untcrclbe einen Zollbeamten an
Bord zu nehmen und für diesen die Gebührentaxe zu zahlen.

Sofort erhoben die Hamburger mit der alten vaterstädtischen Begeisterung
und mit der alten Überzeugungstreue in den herzbrechendsten Tönen von
neuem ihre Weherufe über die räuberische Handelspolitik Preußens. Zu ihren
Klagen gesellten sich die Entrüstungsrufe der gesamten Opposition über den
Kanzlerdespotismus, über das Hausmeiertum, über den unausrottbaren Haß der
Junker gegen den Handel und gegen die Städte. Wiederum wurde im Reichs¬
tage behauptet, daß, wie in dem Falle von Se. Pauli, so auch diesmal die
Bundesregierungen verfassungsmäßig nicht berechtigt gewesen seien, die Ein¬
verleibung der Unterelbe in das Zollgebiet ohne die gesetzliche Genehmigung des
Reichstages vorzunehmen. Am 20. Mai 1831 ersuchte der Abgeordnete Richter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/615>, abgerufen am 01.07.2024.