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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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haltenen Seelenmesse begeistert hat. Auch in deutschen Landen hat Willroider
in der "Sintflut" ein mächtiges Naturgedicht, voll von unheimlicher Großartig¬
keit, geschaffen, und Ferdinand Keller in seiner "Apotheose" die große Zeit,
die mit diesem Drei-Kaiser-Jahre hinter uns liegt, wie in einem Hymnus, in
verklärter Pracht in ihren erhabenen Vertretern vor uns heraufgeführt. Mag
man dies und das im einzelnen auszusetzen haben, das Bild ist eine künstlerische
That, die unsrer Kunst aus der Enge der Wirklichkeit die Wege wieder öffnet
in die lichte Welt, wo vor der Phantasie alles Gestalt gewinnt, was nur
in einer Menschenbrust sich regen mag.

Doch nicht nur das Schaffen der Kunst, auch ihre Stellung im Leben
der Gegenwart, wie wir sie zu Eingang gekennzeichnet haben, mag noch
zu einigen Schlußbetrachtuugen Anlaß geben. Die Kunst ist mitten hinein
in das Leben des Volkes gestellt, sie ist von dem öffentlichen Interesse
gewaltig beeinflußt. Sie bietet darin ein sprechendes Beispiel, wie in
unsrer Zeit immer weniger die einzelnen Thätigkeiten des Volkgenius sich
in ihrer Vereinzelung und Selbständigkeit zu erhalten vermögen, wie unsre
Zeit vom Gemeinleben abgeschlossene Kreise gewaltsam sprengt und in
ihren großen Strom hineinzieht. Man mag dies in vieler Beziehung be¬
klagen, nicht wegen der Zerstörung so mancher Idyllen, für deren heimliche
Pflege kein lauschiger Raum mehr bleibt, sondern weil die Ausprägung von
Individualitäten dadurch erschwert ist, weil ein Talent sich nur in der Stille
bildet und die schöpferische Quelle überall nur in der Tiefe einer in sich ab¬
geschlossenen Persönlichkeit fließt. Aber die scharfe Luft der Öffentlichkeit giebt
auf der andern Seite doch die Bürgschaft einer gewissen Gesundheit; das große
Leben gewährt unerschöpfliche Anregung, die Gemeinschaft bewahrt vor Verkümme¬
rung und Verbohrung. Dies alles, Vorteil wie Nachteil, bewährt sich auch
an unsrer Kunst. Und wie in andre Gebiete, so hat die Zeit auch auf ihre
Palette einen Tropfen demokratischen Öls gegossen, während sie früher durch
und durch aristokratischen Charakter hatte.

Diese Öffentlichkeit zieht aber, wie uns unsre internationale Ausstellung
überraschend zeigte, noch größere Kreise. Das Internationale, das so viele
Gebiete unter sein nivellirendes Szepter gebracht hat, macht sich auch im Gebiete
der Kunst geltend.

Die Länder, die hierbei in Betracht kommen, sind außer Deutschland, wozu
wir im Kunstschaffen auch Österreich rechnen dürfen, da sich Wien von den deutschen
Kunststätten München, Berlin, Düsseldorf nicht mehr unterscheidet, als diese unter¬
einander: Holland und Skandinavien, dessen drei Länder wenigstens aus der Ferne
als ein Ganzes erscheinen, Frankreich und Belgien, Italien und Spanien, ferner
Ungarn, Polen, Nußland, England, Amerika. Die Schweiz hat zur Zeit keinen
eignen Typus. Die aus der deutschen Schweiz hervorgegangenen Künstler haben
ihre künstlerische Heimat bei uns, die französischen vermutlich in Paris gefunden.


haltenen Seelenmesse begeistert hat. Auch in deutschen Landen hat Willroider
in der „Sintflut" ein mächtiges Naturgedicht, voll von unheimlicher Großartig¬
keit, geschaffen, und Ferdinand Keller in seiner „Apotheose" die große Zeit,
die mit diesem Drei-Kaiser-Jahre hinter uns liegt, wie in einem Hymnus, in
verklärter Pracht in ihren erhabenen Vertretern vor uns heraufgeführt. Mag
man dies und das im einzelnen auszusetzen haben, das Bild ist eine künstlerische
That, die unsrer Kunst aus der Enge der Wirklichkeit die Wege wieder öffnet
in die lichte Welt, wo vor der Phantasie alles Gestalt gewinnt, was nur
in einer Menschenbrust sich regen mag.

Doch nicht nur das Schaffen der Kunst, auch ihre Stellung im Leben
der Gegenwart, wie wir sie zu Eingang gekennzeichnet haben, mag noch
zu einigen Schlußbetrachtuugen Anlaß geben. Die Kunst ist mitten hinein
in das Leben des Volkes gestellt, sie ist von dem öffentlichen Interesse
gewaltig beeinflußt. Sie bietet darin ein sprechendes Beispiel, wie in
unsrer Zeit immer weniger die einzelnen Thätigkeiten des Volkgenius sich
in ihrer Vereinzelung und Selbständigkeit zu erhalten vermögen, wie unsre
Zeit vom Gemeinleben abgeschlossene Kreise gewaltsam sprengt und in
ihren großen Strom hineinzieht. Man mag dies in vieler Beziehung be¬
klagen, nicht wegen der Zerstörung so mancher Idyllen, für deren heimliche
Pflege kein lauschiger Raum mehr bleibt, sondern weil die Ausprägung von
Individualitäten dadurch erschwert ist, weil ein Talent sich nur in der Stille
bildet und die schöpferische Quelle überall nur in der Tiefe einer in sich ab¬
geschlossenen Persönlichkeit fließt. Aber die scharfe Luft der Öffentlichkeit giebt
auf der andern Seite doch die Bürgschaft einer gewissen Gesundheit; das große
Leben gewährt unerschöpfliche Anregung, die Gemeinschaft bewahrt vor Verkümme¬
rung und Verbohrung. Dies alles, Vorteil wie Nachteil, bewährt sich auch
an unsrer Kunst. Und wie in andre Gebiete, so hat die Zeit auch auf ihre
Palette einen Tropfen demokratischen Öls gegossen, während sie früher durch
und durch aristokratischen Charakter hatte.

Diese Öffentlichkeit zieht aber, wie uns unsre internationale Ausstellung
überraschend zeigte, noch größere Kreise. Das Internationale, das so viele
Gebiete unter sein nivellirendes Szepter gebracht hat, macht sich auch im Gebiete
der Kunst geltend.

Die Länder, die hierbei in Betracht kommen, sind außer Deutschland, wozu
wir im Kunstschaffen auch Österreich rechnen dürfen, da sich Wien von den deutschen
Kunststätten München, Berlin, Düsseldorf nicht mehr unterscheidet, als diese unter¬
einander: Holland und Skandinavien, dessen drei Länder wenigstens aus der Ferne
als ein Ganzes erscheinen, Frankreich und Belgien, Italien und Spanien, ferner
Ungarn, Polen, Nußland, England, Amerika. Die Schweiz hat zur Zeit keinen
eignen Typus. Die aus der deutschen Schweiz hervorgegangenen Künstler haben
ihre künstlerische Heimat bei uns, die französischen vermutlich in Paris gefunden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/611>, abgerufen am 22.07.2024.