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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Und alles zusammenfassend, was Gilm als Aufgabe der Poesie betrachtete,
^ zugleich die beste Selbstcharakteristik, die er geliefert hat -- heißt es in
dem Gedichte an Albert Jäger, zum 8. März 1844, worin die Muse Tirols
den mutigen Benediktiner, der gegen die Jesuiten aufgetreten war, anspricht:


Ich bin die Muse von Tirol, die freie,
Der Berge Liebchen und der Wälder Braut,
Mit jedem ersten Frühlingstag erneue
Ich meinen Schwur, der mich an sie getraut!
Ich bin nicht jene schamlos Seite Dirne,
Die ohne Liebe für das Vaterland
Schon heute wirft mit Straszenkot die Stirne,
Um die sie gestern falsche" Lorbeer wand.
Ich lausche jedem Seufzer der Geliebten,
Träum' jeder Föhre winterlnngen Traum,
Ich weiß die Leiden, die den Wildbach trübte",
Trink' seine Lust von seinem Perlenschaum'.
Ich kenne jeden feurigen Gedanken,
Der auf beeisten Firnen stolz verglüht,
Und jeden Wunsch, der an den Blumenranken
So unbeachtet welket und verblüht.

Weil nun Gilm ein so hohes Ideal von dem Berufe seiner Kunst hatte,
weil er, wie wenig andre Dichter, sich in der That als einen Märtyrer seiner
Begabung zu betrachten das Recht hatte, darum durfte er mit jenem Selbst¬
gefühl von sich sprechen, obgleich neben ihm ein dichterisches Talent wie das
Adolf Piasters heranwuchs. Gilm hat viel gelitten um seine Poesie. Wenn
er sich gemäß der von Freiligrath ausgegebenen Losung für alle seine dichte¬
rischen Zeitgenossen in verzweifelten Augenblicken auch mit jenem Kainsstempel
gezeichnet fühlte, der das Mal der Dichtkunst sein sollte -- eine pessimistische
Theorie von der angebornen Tragik des Dichters, die wir heutzutage in dieser
Allgemeinheit als durchaus nicht zutreffend anerkennen -- so war es bei ihm
nichts weniger als eine leere Phrase.

Gnus größtes Verhängnis war, daß er als Tiroler zur Welt kam. Das
klingt paradox, wenn man daran denkt, mit welcher rührenden Treue, mit
welcher Leidenschaft er an seinem Vaterlande, an den Tiroler Bergen und an
den Tiroler Menschen hing, wie im Grunde die Verherrlichung Tirols den
Kern seines ganzen Denkens und Dichtens ausmacht.*) Dennoch ist dem so.



*) Vergl. Anton von Schullerns Vertrag über Gilm, gehalten im Ferdinmideum zu
Innsbruck, abgedruckt in der "Jnnzeitnng" (Innsbruck) 18. April 1365 ff. Dieser Vortrag
ist die beste ästhetische Würdigung Gnus, die vorhanden ist; wir verdanken ihm viele Auf¬
klärung. Es ist sehr zu bedauern, daß er so verborgen geblieben ist, und daß Arnold v. d.
Passer ihn ebenfalls totgeschwiegen hat. Er hätte ihn in die Lebensbeschreibung aufnehmen
sollen.

Und alles zusammenfassend, was Gilm als Aufgabe der Poesie betrachtete,
^ zugleich die beste Selbstcharakteristik, die er geliefert hat — heißt es in
dem Gedichte an Albert Jäger, zum 8. März 1844, worin die Muse Tirols
den mutigen Benediktiner, der gegen die Jesuiten aufgetreten war, anspricht:


Ich bin die Muse von Tirol, die freie,
Der Berge Liebchen und der Wälder Braut,
Mit jedem ersten Frühlingstag erneue
Ich meinen Schwur, der mich an sie getraut!
Ich bin nicht jene schamlos Seite Dirne,
Die ohne Liebe für das Vaterland
Schon heute wirft mit Straszenkot die Stirne,
Um die sie gestern falsche» Lorbeer wand.
Ich lausche jedem Seufzer der Geliebten,
Träum' jeder Föhre winterlnngen Traum,
Ich weiß die Leiden, die den Wildbach trübte»,
Trink' seine Lust von seinem Perlenschaum'.
Ich kenne jeden feurigen Gedanken,
Der auf beeisten Firnen stolz verglüht,
Und jeden Wunsch, der an den Blumenranken
So unbeachtet welket und verblüht.

Weil nun Gilm ein so hohes Ideal von dem Berufe seiner Kunst hatte,
weil er, wie wenig andre Dichter, sich in der That als einen Märtyrer seiner
Begabung zu betrachten das Recht hatte, darum durfte er mit jenem Selbst¬
gefühl von sich sprechen, obgleich neben ihm ein dichterisches Talent wie das
Adolf Piasters heranwuchs. Gilm hat viel gelitten um seine Poesie. Wenn
er sich gemäß der von Freiligrath ausgegebenen Losung für alle seine dichte¬
rischen Zeitgenossen in verzweifelten Augenblicken auch mit jenem Kainsstempel
gezeichnet fühlte, der das Mal der Dichtkunst sein sollte — eine pessimistische
Theorie von der angebornen Tragik des Dichters, die wir heutzutage in dieser
Allgemeinheit als durchaus nicht zutreffend anerkennen — so war es bei ihm
nichts weniger als eine leere Phrase.

Gnus größtes Verhängnis war, daß er als Tiroler zur Welt kam. Das
klingt paradox, wenn man daran denkt, mit welcher rührenden Treue, mit
welcher Leidenschaft er an seinem Vaterlande, an den Tiroler Bergen und an
den Tiroler Menschen hing, wie im Grunde die Verherrlichung Tirols den
Kern seines ganzen Denkens und Dichtens ausmacht.*) Dennoch ist dem so.



*) Vergl. Anton von Schullerns Vertrag über Gilm, gehalten im Ferdinmideum zu
Innsbruck, abgedruckt in der „Jnnzeitnng" (Innsbruck) 18. April 1365 ff. Dieser Vortrag
ist die beste ästhetische Würdigung Gnus, die vorhanden ist; wir verdanken ihm viele Auf¬
klärung. Es ist sehr zu bedauern, daß er so verborgen geblieben ist, und daß Arnold v. d.
Passer ihn ebenfalls totgeschwiegen hat. Er hätte ihn in die Lebensbeschreibung aufnehmen
sollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/597>, abgerufen am 02.07.2024.