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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Hermann von Gilm.

[Beginn Spaltensatz] Ich aber möcht' hier Tag für Tag
Tirolcrlieder dichten,
Und wenn's auch niemand hören mag,
So hören mich die Fichtein [Spaltenumbruch] Sie Kennen sich mit horchen wohl
Mit Lust den neuen Tönen,
Daß nicht die Fremden mehr Tirol
Als liederarm verhöhnen. [Ende Spaltensatz]

Die Tirolerpoesie tauft er in einem andern Gedichte geradezu auf den Namen
der Geliebten, der er einen Cyklus von Liedern widmet, auf Sophie.

So stark das Selbstgefühl zu sein scheint, das aus solchen Versen spricht,
so berechtigt darf man es doch bis zu einem gewissen Grade nennen, wenn
man eines Menschen Recht auf Stolz nach der Größe der Aufgabe mißt, die
er sich selbst gestellt hat, und nach der Kraft, mit der er sie erfüllt hat. Welch
hohe Auffassung Gilm von dem hohen Beruf der Poesie hatte, das geht nach
zwei Richtungen hin aus seinen eignen Versen hervor. Einesteils war ihm
der Dichter der Hüter, der Scher der Schönheit. In dem Trinkspruch auf
Oswald von Wolkenstein läßt er das traumhaft lebendig werdende Steinbild
dasselbe auf feiner Schloßruine sagen:


[Beginn Spaltensatz] Schau rings dich um,
Mein Eigentum,
Das alles hob ich besungen. Der Wiese Pracht,
Des Waldes Nacht,
Des Bergsees grüne Gestade,
Den Alpenklee, [Spaltenumbruch] Die Rosen im Schnee,
Die Gemse aus steinigem Pfade;
Das Edelweiß,
Das Gletschereis
Und drüber die goldene Wolke:
Im Liede bewahrt,
Im Lichte verklärt,
Gab ich das Laud meinem Volke. [Ende Spaltensatz]

Also das eigne Volk zum Bewußtsein der Schönheit und des Wertes
seines Besitzes zu führen, war nach seiner Meinung Dichterberuf. Anderseits
erklärte er in einem der "Zeitsonctte aus dem Pusterthale" (offenbar gegen
Betr Webers mystische Lyrik):


Ihr Musenjnnger, die mit Thrttnenfluteu
Ihr von der Welt Verderbnis christlich wimmert,
Verwesung singend uns die Särge zimmert
Aus heißer Liebe nach dem Absoluten,
Der Lieder Art will nimmer uns gemuten:
Hat sich die Welt, die ihr verschmacht, verschlimmert,
Ist's eure Schuld, wie ihr sie unbekümmert
An ihren tiefen Wunden laßt verbluten.
Der Dichter muß voran! Wie einst die Wolke
Vor Israel, muß er vor seinem Volke
Der wüsten Zeiten knndger Lootse wandeln.
Das Lied ist nur die Blüte von (!) dein Handeln!
Im Buche der Geschichte könnt ihr lesen,
Daß jede That zuerst Gesang gewesen.

Hermann von Gilm.

[Beginn Spaltensatz] Ich aber möcht' hier Tag für Tag
Tirolcrlieder dichten,
Und wenn's auch niemand hören mag,
So hören mich die Fichtein [Spaltenumbruch] Sie Kennen sich mit horchen wohl
Mit Lust den neuen Tönen,
Daß nicht die Fremden mehr Tirol
Als liederarm verhöhnen. [Ende Spaltensatz]

Die Tirolerpoesie tauft er in einem andern Gedichte geradezu auf den Namen
der Geliebten, der er einen Cyklus von Liedern widmet, auf Sophie.

So stark das Selbstgefühl zu sein scheint, das aus solchen Versen spricht,
so berechtigt darf man es doch bis zu einem gewissen Grade nennen, wenn
man eines Menschen Recht auf Stolz nach der Größe der Aufgabe mißt, die
er sich selbst gestellt hat, und nach der Kraft, mit der er sie erfüllt hat. Welch
hohe Auffassung Gilm von dem hohen Beruf der Poesie hatte, das geht nach
zwei Richtungen hin aus seinen eignen Versen hervor. Einesteils war ihm
der Dichter der Hüter, der Scher der Schönheit. In dem Trinkspruch auf
Oswald von Wolkenstein läßt er das traumhaft lebendig werdende Steinbild
dasselbe auf feiner Schloßruine sagen:


[Beginn Spaltensatz] Schau rings dich um,
Mein Eigentum,
Das alles hob ich besungen. Der Wiese Pracht,
Des Waldes Nacht,
Des Bergsees grüne Gestade,
Den Alpenklee, [Spaltenumbruch] Die Rosen im Schnee,
Die Gemse aus steinigem Pfade;
Das Edelweiß,
Das Gletschereis
Und drüber die goldene Wolke:
Im Liede bewahrt,
Im Lichte verklärt,
Gab ich das Laud meinem Volke. [Ende Spaltensatz]

Also das eigne Volk zum Bewußtsein der Schönheit und des Wertes
seines Besitzes zu führen, war nach seiner Meinung Dichterberuf. Anderseits
erklärte er in einem der „Zeitsonctte aus dem Pusterthale" (offenbar gegen
Betr Webers mystische Lyrik):


Ihr Musenjnnger, die mit Thrttnenfluteu
Ihr von der Welt Verderbnis christlich wimmert,
Verwesung singend uns die Särge zimmert
Aus heißer Liebe nach dem Absoluten,
Der Lieder Art will nimmer uns gemuten:
Hat sich die Welt, die ihr verschmacht, verschlimmert,
Ist's eure Schuld, wie ihr sie unbekümmert
An ihren tiefen Wunden laßt verbluten.
Der Dichter muß voran! Wie einst die Wolke
Vor Israel, muß er vor seinem Volke
Der wüsten Zeiten knndger Lootse wandeln.
Das Lied ist nur die Blüte von (!) dein Handeln!
Im Buche der Geschichte könnt ihr lesen,
Daß jede That zuerst Gesang gewesen.

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[0596] Hermann von Gilm. Ich aber möcht' hier Tag für Tag Tirolcrlieder dichten, Und wenn's auch niemand hören mag, So hören mich die Fichtein Sie Kennen sich mit horchen wohl Mit Lust den neuen Tönen, Daß nicht die Fremden mehr Tirol Als liederarm verhöhnen. Die Tirolerpoesie tauft er in einem andern Gedichte geradezu auf den Namen der Geliebten, der er einen Cyklus von Liedern widmet, auf Sophie. So stark das Selbstgefühl zu sein scheint, das aus solchen Versen spricht, so berechtigt darf man es doch bis zu einem gewissen Grade nennen, wenn man eines Menschen Recht auf Stolz nach der Größe der Aufgabe mißt, die er sich selbst gestellt hat, und nach der Kraft, mit der er sie erfüllt hat. Welch hohe Auffassung Gilm von dem hohen Beruf der Poesie hatte, das geht nach zwei Richtungen hin aus seinen eignen Versen hervor. Einesteils war ihm der Dichter der Hüter, der Scher der Schönheit. In dem Trinkspruch auf Oswald von Wolkenstein läßt er das traumhaft lebendig werdende Steinbild dasselbe auf feiner Schloßruine sagen: Schau rings dich um, Mein Eigentum, Das alles hob ich besungen. Der Wiese Pracht, Des Waldes Nacht, Des Bergsees grüne Gestade, Den Alpenklee, Die Rosen im Schnee, Die Gemse aus steinigem Pfade; Das Edelweiß, Das Gletschereis Und drüber die goldene Wolke: Im Liede bewahrt, Im Lichte verklärt, Gab ich das Laud meinem Volke. Also das eigne Volk zum Bewußtsein der Schönheit und des Wertes seines Besitzes zu führen, war nach seiner Meinung Dichterberuf. Anderseits erklärte er in einem der „Zeitsonctte aus dem Pusterthale" (offenbar gegen Betr Webers mystische Lyrik): Ihr Musenjnnger, die mit Thrttnenfluteu Ihr von der Welt Verderbnis christlich wimmert, Verwesung singend uns die Särge zimmert Aus heißer Liebe nach dem Absoluten, Der Lieder Art will nimmer uns gemuten: Hat sich die Welt, die ihr verschmacht, verschlimmert, Ist's eure Schuld, wie ihr sie unbekümmert An ihren tiefen Wunden laßt verbluten. Der Dichter muß voran! Wie einst die Wolke Vor Israel, muß er vor seinem Volke Der wüsten Zeiten knndger Lootse wandeln. Das Lied ist nur die Blüte von (!) dein Handeln! Im Buche der Geschichte könnt ihr lesen, Daß jede That zuerst Gesang gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/596>, abgerufen am 30.06.2024.