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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

München zeigt uns den alten Fritz als den "König Überall", wie er Arbeiter
auf dem Felde beim Kartoffelausmachen überrascht (Robert Warthmüller), dann
den großen König im herbstlichen Park von Sanssouci einsam lustwandelnd
(PH. Frank), die Königin Luise im Familienglück, wie ihre zwei Erstgebornen
als Knaben mit Kanonen spielen (Fritz Martin) oder wie ihr Liebling sich an
die stillbeglückte Mittler schmiegt (Steingruppe von Eberlein), und im National¬
unglück, wie sie, schwer erkrankt, blaß und matt vor Kummer, aber still und
wie verklärt durch ihre Ergebenheit, hart am Meeresufer durch trostlose Winter-
öde im offnen Reisewagen flüchtend von Königsberg nach Memel fährt (I. Hey-
deck). Von den großen Tagen, die wir selbst erlebt haben, erzählt kein Bild;
nur ihre Helden sehen wir mit stolzer, nun so tief wehmütiger Freude in
Lenbachs Bildnissammlung. Man möchte versucht sein, hierin ein Spiegelbild
verflossener Reichstagsmehrheiten zu erkennen, wenn dieses Vaoat nicht mit dem
Mangel an jeder Historienmalerei zusammenträfe, so daß es wohl auf dieselbe
Ursache zurückzuführen ist.

Dieselbe Erscheinung finden wir endlich aber auch auf dem Gebiete religiöser
Geschichte. Das Alte Testament scheint ganz verschlossen für unsre Maler,
denn die fast ununterscheidbare Masse von ungezählten, unruhigen Köpfen
und gestikulirenden Armen, zu der von einer Stufenhöhe herab eine ebenso
unruhige, durch nichts charakterisirte Gestalt gestikulirt (Max Liebert), kann hier
nichts beweisen, wenn auch der Katalog erklärt: Jeremias predigt gegen Hohe¬
priester und Volk. Aber auch die neutestamentliche Geschichte ist nur vertreten,
wobei ich ausdrücklich von den Andachtsbildern der "Madonnen" und "heiligen
Familien" absehe, durch einen Christus als Jüngling, von Seligmann, der in
der Zimmermannswerkstatt, von der Thüre aus unbemerkt durch Josef und
Maria beobachtet, eine Schriftrolle in der Hand, vertieft in Gedanken, fast
träumerisch, ja geistesabwesend festgebannt zu Boden starrt, eine Tempelreinigung
von Kirchbach, auf der neben der großartigen Architektur und einigen gut
charakterisirten erregten Juden die Hauptgestalt völlig machtlos in den Hinter¬
grund tritt, eine Heilung von Thiersch, in der der Lahme und sein Glaube
das Beste ist, das bekannte Abendmahl von Abbe, eine etwas farbenbunte
Kreuztragung von Flügel, die mit viel ergreifender Lebendigkeit die Szene aus¬
führt und nur im Gesichtsausdruck von Jesus selbst die geistige Beherrschung
von Müdigkeit und Schmerz vermissen läßt, eine Kreuzabnahme von Krämer,
die schön gruppirt und edel in der Wiedergabe des alle Gedanken der Beteiligten
für sich in Anspruch nehmenden Eindrucks des Augenblickes ist, eine Grablegung
von Friedrich Keller, von der ganz dasselbe gilt, und eine zweite von Piglhein,
die hauptsächlich durch die Szenerie, die von Abendschatten düster umflossnen Felsen
wirkt, durch welche der Leichenzug zur Grabeskammer geht. Noch ärmer waren die
letzten drei Berliner Ausstellungen an religiöser Historie. Daß dieser Mangel nicht
aus mangelndem Sinn für das Religiöse zu erklären ist, werden wir noch sehen.


Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

München zeigt uns den alten Fritz als den „König Überall", wie er Arbeiter
auf dem Felde beim Kartoffelausmachen überrascht (Robert Warthmüller), dann
den großen König im herbstlichen Park von Sanssouci einsam lustwandelnd
(PH. Frank), die Königin Luise im Familienglück, wie ihre zwei Erstgebornen
als Knaben mit Kanonen spielen (Fritz Martin) oder wie ihr Liebling sich an
die stillbeglückte Mittler schmiegt (Steingruppe von Eberlein), und im National¬
unglück, wie sie, schwer erkrankt, blaß und matt vor Kummer, aber still und
wie verklärt durch ihre Ergebenheit, hart am Meeresufer durch trostlose Winter-
öde im offnen Reisewagen flüchtend von Königsberg nach Memel fährt (I. Hey-
deck). Von den großen Tagen, die wir selbst erlebt haben, erzählt kein Bild;
nur ihre Helden sehen wir mit stolzer, nun so tief wehmütiger Freude in
Lenbachs Bildnissammlung. Man möchte versucht sein, hierin ein Spiegelbild
verflossener Reichstagsmehrheiten zu erkennen, wenn dieses Vaoat nicht mit dem
Mangel an jeder Historienmalerei zusammenträfe, so daß es wohl auf dieselbe
Ursache zurückzuführen ist.

Dieselbe Erscheinung finden wir endlich aber auch auf dem Gebiete religiöser
Geschichte. Das Alte Testament scheint ganz verschlossen für unsre Maler,
denn die fast ununterscheidbare Masse von ungezählten, unruhigen Köpfen
und gestikulirenden Armen, zu der von einer Stufenhöhe herab eine ebenso
unruhige, durch nichts charakterisirte Gestalt gestikulirt (Max Liebert), kann hier
nichts beweisen, wenn auch der Katalog erklärt: Jeremias predigt gegen Hohe¬
priester und Volk. Aber auch die neutestamentliche Geschichte ist nur vertreten,
wobei ich ausdrücklich von den Andachtsbildern der „Madonnen" und „heiligen
Familien" absehe, durch einen Christus als Jüngling, von Seligmann, der in
der Zimmermannswerkstatt, von der Thüre aus unbemerkt durch Josef und
Maria beobachtet, eine Schriftrolle in der Hand, vertieft in Gedanken, fast
träumerisch, ja geistesabwesend festgebannt zu Boden starrt, eine Tempelreinigung
von Kirchbach, auf der neben der großartigen Architektur und einigen gut
charakterisirten erregten Juden die Hauptgestalt völlig machtlos in den Hinter¬
grund tritt, eine Heilung von Thiersch, in der der Lahme und sein Glaube
das Beste ist, das bekannte Abendmahl von Abbe, eine etwas farbenbunte
Kreuztragung von Flügel, die mit viel ergreifender Lebendigkeit die Szene aus¬
führt und nur im Gesichtsausdruck von Jesus selbst die geistige Beherrschung
von Müdigkeit und Schmerz vermissen läßt, eine Kreuzabnahme von Krämer,
die schön gruppirt und edel in der Wiedergabe des alle Gedanken der Beteiligten
für sich in Anspruch nehmenden Eindrucks des Augenblickes ist, eine Grablegung
von Friedrich Keller, von der ganz dasselbe gilt, und eine zweite von Piglhein,
die hauptsächlich durch die Szenerie, die von Abendschatten düster umflossnen Felsen
wirkt, durch welche der Leichenzug zur Grabeskammer geht. Noch ärmer waren die
letzten drei Berliner Ausstellungen an religiöser Historie. Daß dieser Mangel nicht
aus mangelndem Sinn für das Religiöse zu erklären ist, werden wir noch sehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/570>, abgerufen am 28.09.2024.