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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Fontanes Roman Irrungen--Wirrmigen.

lieber, seltsamer Name!" -- "Was hast du nur?" entgegnet ihr Gemahl.
"Gideon ist besser als Botho!"

Die kurze Skizze des Hauptinhalts von "Irrungen--Wirrungen" genügt
schon, um zu erraten, daß es ein mehr interessantes als erquickliches Stück
Leben ist, welches Fontane ergriffen hat, daß es wohl geeignet erscheint, beim
ernsten Leser Nachdenken über gewisse alltägliche Vorkommnisse zu erwecken,
tiefere Spuren zu hinterlassen, als die herrschende flach frivole Auffassung des
Alltags zugiebt. Fontane selbst reflektirt nicht über das Dargestellte, aber
ein Held, der junge Offizier, hat reichliche Gelegenheit dazu, und in der Aus¬
einandersetzung mit einem jüngern Kameraden, der gleich ihm eine Art wilder
Ehe eingehen will, findet Botho Anlaß, sich über die Schwere und die lang-
dauernde Nachwirkung solcher Irrungen, wie sein Verhältnis mit Magdalene
eine war, aufs nachdrücklichste auszusprechen. Daß Zustände und Verhältnisse
wie die hier geschilderten mit dem gewaltigen und für alle geltenden Gebote:
"Du sollst nicht ehebrechen!" nicht aus der Welt geschafft werden und der
Dichter ein Recht, ja unter Umständen eine Pflicht hat, sie darzustellen, soll
keineswegs geleugnet werden. Auch wird wohl schwerlich jemand, der sich den
Roman mit all seinen Episoden gegenwärtig hält, Fontane beschuldigen, er
habe bedenkliche Verhältniße idealisiren, eine häßliche Wirklichkeit verschönern
wollen. Das Verhältnis zwischen Botho und Lene ist freilich durch wirkliche
Empfindung, durch einen Überschuß von redlichem, einfachem Sinn in Botho,
von selbstvergessener Hingebung in Lene poetisch geadelt, allein der Erzähler
vergißt nicht, welche Gestalt derlei Verhältnisse in der Regel haben. Die Gärtners¬
frau Dörr, welche der armen Magdalene fortgesetzt von "ihrem Grafen" erzählt,
die "Damen" der Offiziere, welche Botho und Magdalene auf ihrer letzten
Landpartie überraschen und von denen die beste nichts andres will, als mit
ihrem Liebeslohn eine Destillation errichten und einen Witwer heiraten, die
beste der armen Lene sagt: "Sie thun es aus Liebe, Kind -- dann ists schlimm!"
bilden insgesamt eine böse Folie für das Paar, dessen selbstheraufbeschworenes
Geschick uns Anteil einflößen soll und wirklich einflößt. In dem Bewußtsein,
alle Berliner Kreise und Zustände besser zu kennen als die Dutzenderzähler,
mit einer virtuosen Sicherheit ausgerüstet, die ein Frühstück von Gutsbesitzern
und Gardeoffizieren im elegantesten Weinhause Berlins eben so leicht und
lebendig vorführt, als die Unterhaltungen von Berliner Droschkenkutschern und
Marktweibern, von dem geheimen Reiz des Enthüllens und Vorführens unbekannter
Momente gestachelt, thut Fontane in der Schilderung der Wirklichkeit entschieden
zu viel, indem er nicht bloß charakteristische, für das Verständnis der Handlung
und der Menschen wichtige Züge wiedergiebt, sondern in episodischen Szenen
Beobachtungen aller Art verwertet. Die ehelichen Auseinandersetzungen zwischen
dem geizigen Gemüsegärtner Dörr und seiner Ehehälfte, die endlose Droschken¬
fahrt Bothos zum Kirchhof am Kreuzberge, eine ganze Reihe andrer feinkolorirter


Fontanes Roman Irrungen—Wirrmigen.

lieber, seltsamer Name!" — „Was hast du nur?" entgegnet ihr Gemahl.
„Gideon ist besser als Botho!"

Die kurze Skizze des Hauptinhalts von „Irrungen—Wirrungen" genügt
schon, um zu erraten, daß es ein mehr interessantes als erquickliches Stück
Leben ist, welches Fontane ergriffen hat, daß es wohl geeignet erscheint, beim
ernsten Leser Nachdenken über gewisse alltägliche Vorkommnisse zu erwecken,
tiefere Spuren zu hinterlassen, als die herrschende flach frivole Auffassung des
Alltags zugiebt. Fontane selbst reflektirt nicht über das Dargestellte, aber
ein Held, der junge Offizier, hat reichliche Gelegenheit dazu, und in der Aus¬
einandersetzung mit einem jüngern Kameraden, der gleich ihm eine Art wilder
Ehe eingehen will, findet Botho Anlaß, sich über die Schwere und die lang-
dauernde Nachwirkung solcher Irrungen, wie sein Verhältnis mit Magdalene
eine war, aufs nachdrücklichste auszusprechen. Daß Zustände und Verhältnisse
wie die hier geschilderten mit dem gewaltigen und für alle geltenden Gebote:
„Du sollst nicht ehebrechen!" nicht aus der Welt geschafft werden und der
Dichter ein Recht, ja unter Umständen eine Pflicht hat, sie darzustellen, soll
keineswegs geleugnet werden. Auch wird wohl schwerlich jemand, der sich den
Roman mit all seinen Episoden gegenwärtig hält, Fontane beschuldigen, er
habe bedenkliche Verhältniße idealisiren, eine häßliche Wirklichkeit verschönern
wollen. Das Verhältnis zwischen Botho und Lene ist freilich durch wirkliche
Empfindung, durch einen Überschuß von redlichem, einfachem Sinn in Botho,
von selbstvergessener Hingebung in Lene poetisch geadelt, allein der Erzähler
vergißt nicht, welche Gestalt derlei Verhältnisse in der Regel haben. Die Gärtners¬
frau Dörr, welche der armen Magdalene fortgesetzt von „ihrem Grafen" erzählt,
die „Damen" der Offiziere, welche Botho und Magdalene auf ihrer letzten
Landpartie überraschen und von denen die beste nichts andres will, als mit
ihrem Liebeslohn eine Destillation errichten und einen Witwer heiraten, die
beste der armen Lene sagt: „Sie thun es aus Liebe, Kind — dann ists schlimm!"
bilden insgesamt eine böse Folie für das Paar, dessen selbstheraufbeschworenes
Geschick uns Anteil einflößen soll und wirklich einflößt. In dem Bewußtsein,
alle Berliner Kreise und Zustände besser zu kennen als die Dutzenderzähler,
mit einer virtuosen Sicherheit ausgerüstet, die ein Frühstück von Gutsbesitzern
und Gardeoffizieren im elegantesten Weinhause Berlins eben so leicht und
lebendig vorführt, als die Unterhaltungen von Berliner Droschkenkutschern und
Marktweibern, von dem geheimen Reiz des Enthüllens und Vorführens unbekannter
Momente gestachelt, thut Fontane in der Schilderung der Wirklichkeit entschieden
zu viel, indem er nicht bloß charakteristische, für das Verständnis der Handlung
und der Menschen wichtige Züge wiedergiebt, sondern in episodischen Szenen
Beobachtungen aller Art verwertet. Die ehelichen Auseinandersetzungen zwischen
dem geizigen Gemüsegärtner Dörr und seiner Ehehälfte, die endlose Droschken¬
fahrt Bothos zum Kirchhof am Kreuzberge, eine ganze Reihe andrer feinkolorirter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/54>, abgerufen am 04.07.2024.