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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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lvoermanns Geschichte der Malerei,

der breite Strom einer kaum übersehbaren Fülle von Einzelforschungen mit
sicherer Hand bemeistert und abgeklärt worden ist.

Über der Masse der Einzelheiten, die zu sichten und zu einem Gesamt¬
bilde zu vereinigen waren, ist dem Verfasser auch in den letzten Teilen seiner
Arbeit, wo sich die der Beachtung würdigen Erscheinungen in schier endloser
Folge an einander reihten, die Kraft nicht verloren gegangen, gelegentlich durch
einen freien Ausblick frische Luft zu schöpfen und den Geist ganzer Perioden
in einer feinen und sinnvollen Zergliederung darzulegen oder durch ein kräf¬
tiges Wort seinen Standpunkt zu Vergangenem, Gegenwärtigen und Zukünf¬
tigen zu bekennen. Es ist schon früher einmal in diesen Blättern darauf hin¬
gewiesen worden, wie geistvoll der Verfasser in seinen Vorbemerkungen zur Ge¬
schichte der italienischen Malerei in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
den Unterschied zwischen Stil und Manier gekennzeichnet hat, und an ähnlichen,
Wohl überlegten und wohl begründeten Bestimmungen von allgemeiner Giltig-
keit fehlt es auch nicht im weitern Verlaufe des dritten und vierten Bandes,
wo der Gang der Darstellung den Verfasser zu einem kurzen Verweilen nötigt.
Seine Darstellung schließt äußerlich mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ab.
Aber ein Hineingreifer in das 19. Jahrhundert oder doch in diejenige Kunst¬
periode, die man nach der bis jetzt üblich gewesenen Einteilung mit der Kunst
des 19. Jahrhunderts eng verknüpft, ließ sich bisweilen nicht umgehen, und
dieser Notwendigkeit verdanken wir einige kunstgeschichtliche Urteile, die bei der
Stellung und dem wohlerworbenen Ansehen Woermanns von hohem Werte sind.

Zum erstenmale wagt es hier ein Gelehrter, dem niemand Beruf oder Be¬
rechtigung bestreiten wird, klar und unumwunden auszusprechen, daß Winckel-
mann die "wissenschaftliche That seiner Geschichte der Kunst des Altertums"
durch den verhängnisvollen Irrtum schädigte, "daß er aus der Betrachtung
der griechischen Kunst nicht die einzig richtige Forderung zog, daß sie unnach¬
ahmlich, weil durch das Anschauen griechischer Natur mit griechischen Augen
bedingt sei, sondern daß er sie ins Deutsche übersetzt oder gar unübersetzt nach¬
geahmt sehen wollte," und dieser verhängnisvolle Irrtum hat einen Abschnitt
der deutschen Kunst verschuldet, den der Geschichtsschreiber, welcher den Fort¬
schritt der Dinge unbefangen beobachtet, trotz des Zetergeschreis einer kleinen
Zahl von fanatischen Kunstgelehrten im günstigsten Falle nicht anders als
einen Stillstand wird nennen können. "Die besten Geister der Zeit, sagt
Woermann weiter über die durch Winckelmann hervorgerufene Bewegung,
schlossen sich auch in Deutschland, ja nirgends mit größerer Beharrlichkeit als
hier, der Forderung des Klassizismus an, die jede nationale, jede selbständige
Kunstregung erstickte und das Schicksal der deutschen Kunst auf ein halbes Jahr¬
hundert und länger besiegelte. An die Stelle des Könnens trat das Wollen.
In keinem Künstler spricht sich dies deutlicher aus, als in dem Schleswiger
Asmus Jacob Carstens (1754--1798), den begeisterte Gelehrte an die Spitze


lvoermanns Geschichte der Malerei,

der breite Strom einer kaum übersehbaren Fülle von Einzelforschungen mit
sicherer Hand bemeistert und abgeklärt worden ist.

Über der Masse der Einzelheiten, die zu sichten und zu einem Gesamt¬
bilde zu vereinigen waren, ist dem Verfasser auch in den letzten Teilen seiner
Arbeit, wo sich die der Beachtung würdigen Erscheinungen in schier endloser
Folge an einander reihten, die Kraft nicht verloren gegangen, gelegentlich durch
einen freien Ausblick frische Luft zu schöpfen und den Geist ganzer Perioden
in einer feinen und sinnvollen Zergliederung darzulegen oder durch ein kräf¬
tiges Wort seinen Standpunkt zu Vergangenem, Gegenwärtigen und Zukünf¬
tigen zu bekennen. Es ist schon früher einmal in diesen Blättern darauf hin¬
gewiesen worden, wie geistvoll der Verfasser in seinen Vorbemerkungen zur Ge¬
schichte der italienischen Malerei in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
den Unterschied zwischen Stil und Manier gekennzeichnet hat, und an ähnlichen,
Wohl überlegten und wohl begründeten Bestimmungen von allgemeiner Giltig-
keit fehlt es auch nicht im weitern Verlaufe des dritten und vierten Bandes,
wo der Gang der Darstellung den Verfasser zu einem kurzen Verweilen nötigt.
Seine Darstellung schließt äußerlich mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ab.
Aber ein Hineingreifer in das 19. Jahrhundert oder doch in diejenige Kunst¬
periode, die man nach der bis jetzt üblich gewesenen Einteilung mit der Kunst
des 19. Jahrhunderts eng verknüpft, ließ sich bisweilen nicht umgehen, und
dieser Notwendigkeit verdanken wir einige kunstgeschichtliche Urteile, die bei der
Stellung und dem wohlerworbenen Ansehen Woermanns von hohem Werte sind.

Zum erstenmale wagt es hier ein Gelehrter, dem niemand Beruf oder Be¬
rechtigung bestreiten wird, klar und unumwunden auszusprechen, daß Winckel-
mann die „wissenschaftliche That seiner Geschichte der Kunst des Altertums"
durch den verhängnisvollen Irrtum schädigte, „daß er aus der Betrachtung
der griechischen Kunst nicht die einzig richtige Forderung zog, daß sie unnach¬
ahmlich, weil durch das Anschauen griechischer Natur mit griechischen Augen
bedingt sei, sondern daß er sie ins Deutsche übersetzt oder gar unübersetzt nach¬
geahmt sehen wollte," und dieser verhängnisvolle Irrtum hat einen Abschnitt
der deutschen Kunst verschuldet, den der Geschichtsschreiber, welcher den Fort¬
schritt der Dinge unbefangen beobachtet, trotz des Zetergeschreis einer kleinen
Zahl von fanatischen Kunstgelehrten im günstigsten Falle nicht anders als
einen Stillstand wird nennen können. „Die besten Geister der Zeit, sagt
Woermann weiter über die durch Winckelmann hervorgerufene Bewegung,
schlossen sich auch in Deutschland, ja nirgends mit größerer Beharrlichkeit als
hier, der Forderung des Klassizismus an, die jede nationale, jede selbständige
Kunstregung erstickte und das Schicksal der deutschen Kunst auf ein halbes Jahr¬
hundert und länger besiegelte. An die Stelle des Könnens trat das Wollen.
In keinem Künstler spricht sich dies deutlicher aus, als in dem Schleswiger
Asmus Jacob Carstens (1754—1798), den begeisterte Gelehrte an die Spitze


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[0523] lvoermanns Geschichte der Malerei, der breite Strom einer kaum übersehbaren Fülle von Einzelforschungen mit sicherer Hand bemeistert und abgeklärt worden ist. Über der Masse der Einzelheiten, die zu sichten und zu einem Gesamt¬ bilde zu vereinigen waren, ist dem Verfasser auch in den letzten Teilen seiner Arbeit, wo sich die der Beachtung würdigen Erscheinungen in schier endloser Folge an einander reihten, die Kraft nicht verloren gegangen, gelegentlich durch einen freien Ausblick frische Luft zu schöpfen und den Geist ganzer Perioden in einer feinen und sinnvollen Zergliederung darzulegen oder durch ein kräf¬ tiges Wort seinen Standpunkt zu Vergangenem, Gegenwärtigen und Zukünf¬ tigen zu bekennen. Es ist schon früher einmal in diesen Blättern darauf hin¬ gewiesen worden, wie geistvoll der Verfasser in seinen Vorbemerkungen zur Ge¬ schichte der italienischen Malerei in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts den Unterschied zwischen Stil und Manier gekennzeichnet hat, und an ähnlichen, Wohl überlegten und wohl begründeten Bestimmungen von allgemeiner Giltig- keit fehlt es auch nicht im weitern Verlaufe des dritten und vierten Bandes, wo der Gang der Darstellung den Verfasser zu einem kurzen Verweilen nötigt. Seine Darstellung schließt äußerlich mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ab. Aber ein Hineingreifer in das 19. Jahrhundert oder doch in diejenige Kunst¬ periode, die man nach der bis jetzt üblich gewesenen Einteilung mit der Kunst des 19. Jahrhunderts eng verknüpft, ließ sich bisweilen nicht umgehen, und dieser Notwendigkeit verdanken wir einige kunstgeschichtliche Urteile, die bei der Stellung und dem wohlerworbenen Ansehen Woermanns von hohem Werte sind. Zum erstenmale wagt es hier ein Gelehrter, dem niemand Beruf oder Be¬ rechtigung bestreiten wird, klar und unumwunden auszusprechen, daß Winckel- mann die „wissenschaftliche That seiner Geschichte der Kunst des Altertums" durch den verhängnisvollen Irrtum schädigte, „daß er aus der Betrachtung der griechischen Kunst nicht die einzig richtige Forderung zog, daß sie unnach¬ ahmlich, weil durch das Anschauen griechischer Natur mit griechischen Augen bedingt sei, sondern daß er sie ins Deutsche übersetzt oder gar unübersetzt nach¬ geahmt sehen wollte," und dieser verhängnisvolle Irrtum hat einen Abschnitt der deutschen Kunst verschuldet, den der Geschichtsschreiber, welcher den Fort¬ schritt der Dinge unbefangen beobachtet, trotz des Zetergeschreis einer kleinen Zahl von fanatischen Kunstgelehrten im günstigsten Falle nicht anders als einen Stillstand wird nennen können. „Die besten Geister der Zeit, sagt Woermann weiter über die durch Winckelmann hervorgerufene Bewegung, schlossen sich auch in Deutschland, ja nirgends mit größerer Beharrlichkeit als hier, der Forderung des Klassizismus an, die jede nationale, jede selbständige Kunstregung erstickte und das Schicksal der deutschen Kunst auf ein halbes Jahr¬ hundert und länger besiegelte. An die Stelle des Könnens trat das Wollen. In keinem Künstler spricht sich dies deutlicher aus, als in dem Schleswiger Asmus Jacob Carstens (1754—1798), den begeisterte Gelehrte an die Spitze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/523>, abgerufen am 24.08.2024.