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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Woermanns Geschichte der Malerei.

Spezialforschungcn mit ven allgemeineren Gesichtspunkten zu vereinigen," und
diese Aufgabe zu lösen, ist der Verfasser im Laufe seiner Arbeit stets bemüht
gewesen. Daneben ist aber schon während der Arbeit am zweiten Bande eine
andre Hauptaufgabe mehr und mehr in den Vordergrund getreten, nämlich die
umfassende Berücksichtigung der durch das "vergleichende Vilderstudium" ge¬
wonnenen Resultate. Dieses neue Rüstzeug der kunstwissenschaftlicher Forschung
ist vornehmlich durch den Italiener Morelli, durch W. Vode und durch den
Holländer A. Bredius zu einer so überraschenden Leistungsfähigkeit ausgebildet
worden, daß es für jeden Kunsthistoriker in hohem Grade verlockend ist, jenes
Rüstzeug selbst zu erproben. Woermann gesteht, daß auch er "teils aus
Neigung, teils durch die Gelegenheit, welche seine wiederholten Reisen durch alle
Länder Europas ihm geboten, in das Fahrwasser des vergleichenden Bilder¬
studiums getrieben" worden sei, und daß er aus diesem Studium die Über¬
zeugung gewonnen habe, "daß eine Geschichte der Malerei neben der getreuesten
Benutzung aller Urkundenpublikationen gerade jetzt noch in erster Linie die
Aufgabe habe, die vorhandenen Bilder dem richtigen Meister zuzuleiten."

Es ist nicht zu verkennen, daß Woermann in dem Grade, als seine Arbeit
vorwärts schritt, noch mehr Geschmack an den Früchten des vergleichenden
Bilderstudiums gewann. Etwa von der Mitte des dritten Bandes an, wo die
Charakteristik der niederländischen Schulen des 17. Jahrhunderts anhebt, nimmt
die Verwertung der Urkunden im Verein mit der Bilderkritik, d. h. der Prüfung
des in öffentlichen und privaten Sammlungen vorhandenen Bilderbestandes das
Hauptinteresse des Verfassers, damit aber auch das des Lesers in Anspruch.
Denn der Verfasser besitzt die Kunst, durch eine leichte, man möchte fast sagen
anmutige Art der Behandlung den Leser zur Teilnahme an seinen sorgsamen
Abwägungen des Für und Wider, an seinen stets besonnenen und maßvollen
Auseinandersetzungen mit andersdenkenden Gegnern heranzuziehen. In diesen
Auseinandersetzungen ist der Verfasser das Muster eines Diplomaten der alten
Schule, der niemand brüskirt, aber auch seine eigne Meinung nicht aufgiebt,
sondern sich mit einem feinen, höflichen Lächeln zurückzieht, wenn es ihm nicht
gelingt, seine Widersacher eines bessern oder auch nur eines andern zu über¬
zeugen. Durch dieses diplomatische Geschick Woermanns, der mit unendlichem
Fleiße alle Stimmen gesammelt, gehört und geprüft hat, wird seine "Geschichte
der Malerei," das umfassendste litterarische Denkmal der ersten Periode des
vergleichenden Bilderstudiums in der Kunstwissenschaft, auch ihren Wert behalten,
wenn die ihr zu Grunde gelegte Methode der Untersuchung eine sichere Grundlage
gewonnen haben oder -- wer kann es wissen? -- als unzuverlässig und trügerisch
widerlegt worden sein wird. Für einzelne Abschnitte in der Geschichte der
Malerei, insbesondere für die spanische des 16. und 17. und für die
holländische des 17. Jahrhunderts, wird Woermanns Werk, was auch kommen
mag, für immer als grundlegend in Geltung bleiben, weil hier zum erstenmale


Woermanns Geschichte der Malerei.

Spezialforschungcn mit ven allgemeineren Gesichtspunkten zu vereinigen," und
diese Aufgabe zu lösen, ist der Verfasser im Laufe seiner Arbeit stets bemüht
gewesen. Daneben ist aber schon während der Arbeit am zweiten Bande eine
andre Hauptaufgabe mehr und mehr in den Vordergrund getreten, nämlich die
umfassende Berücksichtigung der durch das „vergleichende Vilderstudium" ge¬
wonnenen Resultate. Dieses neue Rüstzeug der kunstwissenschaftlicher Forschung
ist vornehmlich durch den Italiener Morelli, durch W. Vode und durch den
Holländer A. Bredius zu einer so überraschenden Leistungsfähigkeit ausgebildet
worden, daß es für jeden Kunsthistoriker in hohem Grade verlockend ist, jenes
Rüstzeug selbst zu erproben. Woermann gesteht, daß auch er „teils aus
Neigung, teils durch die Gelegenheit, welche seine wiederholten Reisen durch alle
Länder Europas ihm geboten, in das Fahrwasser des vergleichenden Bilder¬
studiums getrieben" worden sei, und daß er aus diesem Studium die Über¬
zeugung gewonnen habe, „daß eine Geschichte der Malerei neben der getreuesten
Benutzung aller Urkundenpublikationen gerade jetzt noch in erster Linie die
Aufgabe habe, die vorhandenen Bilder dem richtigen Meister zuzuleiten."

Es ist nicht zu verkennen, daß Woermann in dem Grade, als seine Arbeit
vorwärts schritt, noch mehr Geschmack an den Früchten des vergleichenden
Bilderstudiums gewann. Etwa von der Mitte des dritten Bandes an, wo die
Charakteristik der niederländischen Schulen des 17. Jahrhunderts anhebt, nimmt
die Verwertung der Urkunden im Verein mit der Bilderkritik, d. h. der Prüfung
des in öffentlichen und privaten Sammlungen vorhandenen Bilderbestandes das
Hauptinteresse des Verfassers, damit aber auch das des Lesers in Anspruch.
Denn der Verfasser besitzt die Kunst, durch eine leichte, man möchte fast sagen
anmutige Art der Behandlung den Leser zur Teilnahme an seinen sorgsamen
Abwägungen des Für und Wider, an seinen stets besonnenen und maßvollen
Auseinandersetzungen mit andersdenkenden Gegnern heranzuziehen. In diesen
Auseinandersetzungen ist der Verfasser das Muster eines Diplomaten der alten
Schule, der niemand brüskirt, aber auch seine eigne Meinung nicht aufgiebt,
sondern sich mit einem feinen, höflichen Lächeln zurückzieht, wenn es ihm nicht
gelingt, seine Widersacher eines bessern oder auch nur eines andern zu über¬
zeugen. Durch dieses diplomatische Geschick Woermanns, der mit unendlichem
Fleiße alle Stimmen gesammelt, gehört und geprüft hat, wird seine „Geschichte
der Malerei," das umfassendste litterarische Denkmal der ersten Periode des
vergleichenden Bilderstudiums in der Kunstwissenschaft, auch ihren Wert behalten,
wenn die ihr zu Grunde gelegte Methode der Untersuchung eine sichere Grundlage
gewonnen haben oder — wer kann es wissen? — als unzuverlässig und trügerisch
widerlegt worden sein wird. Für einzelne Abschnitte in der Geschichte der
Malerei, insbesondere für die spanische des 16. und 17. und für die
holländische des 17. Jahrhunderts, wird Woermanns Werk, was auch kommen
mag, für immer als grundlegend in Geltung bleiben, weil hier zum erstenmale


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[0522] Woermanns Geschichte der Malerei. Spezialforschungcn mit ven allgemeineren Gesichtspunkten zu vereinigen," und diese Aufgabe zu lösen, ist der Verfasser im Laufe seiner Arbeit stets bemüht gewesen. Daneben ist aber schon während der Arbeit am zweiten Bande eine andre Hauptaufgabe mehr und mehr in den Vordergrund getreten, nämlich die umfassende Berücksichtigung der durch das „vergleichende Vilderstudium" ge¬ wonnenen Resultate. Dieses neue Rüstzeug der kunstwissenschaftlicher Forschung ist vornehmlich durch den Italiener Morelli, durch W. Vode und durch den Holländer A. Bredius zu einer so überraschenden Leistungsfähigkeit ausgebildet worden, daß es für jeden Kunsthistoriker in hohem Grade verlockend ist, jenes Rüstzeug selbst zu erproben. Woermann gesteht, daß auch er „teils aus Neigung, teils durch die Gelegenheit, welche seine wiederholten Reisen durch alle Länder Europas ihm geboten, in das Fahrwasser des vergleichenden Bilder¬ studiums getrieben" worden sei, und daß er aus diesem Studium die Über¬ zeugung gewonnen habe, „daß eine Geschichte der Malerei neben der getreuesten Benutzung aller Urkundenpublikationen gerade jetzt noch in erster Linie die Aufgabe habe, die vorhandenen Bilder dem richtigen Meister zuzuleiten." Es ist nicht zu verkennen, daß Woermann in dem Grade, als seine Arbeit vorwärts schritt, noch mehr Geschmack an den Früchten des vergleichenden Bilderstudiums gewann. Etwa von der Mitte des dritten Bandes an, wo die Charakteristik der niederländischen Schulen des 17. Jahrhunderts anhebt, nimmt die Verwertung der Urkunden im Verein mit der Bilderkritik, d. h. der Prüfung des in öffentlichen und privaten Sammlungen vorhandenen Bilderbestandes das Hauptinteresse des Verfassers, damit aber auch das des Lesers in Anspruch. Denn der Verfasser besitzt die Kunst, durch eine leichte, man möchte fast sagen anmutige Art der Behandlung den Leser zur Teilnahme an seinen sorgsamen Abwägungen des Für und Wider, an seinen stets besonnenen und maßvollen Auseinandersetzungen mit andersdenkenden Gegnern heranzuziehen. In diesen Auseinandersetzungen ist der Verfasser das Muster eines Diplomaten der alten Schule, der niemand brüskirt, aber auch seine eigne Meinung nicht aufgiebt, sondern sich mit einem feinen, höflichen Lächeln zurückzieht, wenn es ihm nicht gelingt, seine Widersacher eines bessern oder auch nur eines andern zu über¬ zeugen. Durch dieses diplomatische Geschick Woermanns, der mit unendlichem Fleiße alle Stimmen gesammelt, gehört und geprüft hat, wird seine „Geschichte der Malerei," das umfassendste litterarische Denkmal der ersten Periode des vergleichenden Bilderstudiums in der Kunstwissenschaft, auch ihren Wert behalten, wenn die ihr zu Grunde gelegte Methode der Untersuchung eine sichere Grundlage gewonnen haben oder — wer kann es wissen? — als unzuverlässig und trügerisch widerlegt worden sein wird. Für einzelne Abschnitte in der Geschichte der Malerei, insbesondere für die spanische des 16. und 17. und für die holländische des 17. Jahrhunderts, wird Woermanns Werk, was auch kommen mag, für immer als grundlegend in Geltung bleiben, weil hier zum erstenmale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/522>, abgerufen am 22.07.2024.