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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Fontanes Roman Irrungen--lVirrungen.

ihrer Gehässigkeit Schritt, lind jedenfalls verrät die beständige Wiederholung
derselben eine recht dürftige Lebenskenntnis. Fontane schildert umgekehrt eines
jener Verhältnisse, welche sich aus den Versuchungen der Großstadt, des Reichtums
und der bevorzugten Lebensstellung von selbst ergeben. Ein junger Gardereiter¬
offizier, aus guter altmärkischer Familie, eine im innersten Kern vortreffliche
Natur, ritterlich, offen, ehrenhaft und gemütvoll, ist ein Liebesbündnis mit einem
Mädchen der untern Stände, einer jungen Arbeiterin eingegangen, die stolz
auf die Neigung des Edelmanns ist und ihrerseits wahre Liebe für ihn empfindet.
Lene, wie sie schlichtweg gut berlinisch genannt wird, ist von ihrem Geliebten
weder getäuscht worden, noch giebt sie sich thörichten Hoffnungen auf Bestand
oder glücklichen Ausgang dieses Verhältnisses hin. Sie weiß, daß Botho in
Anschauungen aufgewachsen ist. Verpflichtungen gegen seine Familie, seine
Lebensstellung hat, die ihm jeden ernsten Gedanken an eine Ehe mit ihr
verbieten. Er hat ihr obenein gesagt, daß er eines Tages Abschied auf Nimmer¬
wiedersehen nehmen müsse, und alle ihre Umgebungen sorgen dafür, ihr den
schmerzlich-klaren Blick für die Kluft noch zu schärfen, welche sie von ihrem
Geliebten trennt. Das arme Mädchen will auf das kurze, bittre Glück, das
sie mit ihrer Hingebung erkauft, eben nicht verzichten, will sich eines kurzen
Lenzes freuen, komme darnach, was immer mag. Und der feinühlige, im
innersten Kern gute Botho beginnt zu empfinden, daß er in diesem ganzen
Verhältnis unendlich mehr empfängt, als giebt, daß Lene Eigenschaften
besitzt, die auch ein dauerndes, die Seele erfüllendes Glück verbürgen würden.
Er verspürt den gefährlichen Reiz eines echten Idylls gegenüber der großen,
anspruchsvollen, dabei mannichfach zerklüfteten Welt, in der er lebt. Er kann im
Ernst nicht daran denken, sich aus eben dieser Welt loszureißen und zu verbannen,
aber er spielt doch in Gedanken mit der ihn beschleichenden Versuchung.
Rascher, als er selbst geglaubt hat, tritt die Notwendigkeit eines Abschiedes
von Lene an ihn heran. Botho ist mit einer entfernten Verwandten, einem
liebenswürdigen, sehr reichen Mädchen, zwar nicht verlobt, aber die beiderseitigen
Familien haben die Heirat mit Käthe als wünschenswert und erfreulich längst
geplant, und sowie der junge Offizier sich eingesteht, daß eine Heirat mit seiner
bürgerlichen Geliebten unmöglich sei, hat er gegen die Verbindung mit Käthe
nichts einzuwenden. Der schmerzliche Tag und Abend der Trennung von Lene
wird, so gut es gehen will, überwunden, die Gewohnheit des Offiziers, sich
gemeinsamen Anschauungen streng unterzuordnen, kommt Botho zu Hilfe, ein
paar Wochen nach der Trennung ist er Bräutigam und nach einem Vierteljahr
der Gemahl seines reizenden, hocharistokratischen Väschens. Daß er im Grunde
eine doppelte Schuld auf sich lädt und der Braut sein ganzes Herz nicht
geben kann, kommt ihm zunächst nur halb zum Bewußtsein. Aber noch in den
Flitterwochen und stärker noch in der folgenden Zeit erkennt er, was er sich
bereitet hat, erfaßt ihn die Erinnerung an das schlichte, ernste Kind aus


Fontanes Roman Irrungen—lVirrungen.

ihrer Gehässigkeit Schritt, lind jedenfalls verrät die beständige Wiederholung
derselben eine recht dürftige Lebenskenntnis. Fontane schildert umgekehrt eines
jener Verhältnisse, welche sich aus den Versuchungen der Großstadt, des Reichtums
und der bevorzugten Lebensstellung von selbst ergeben. Ein junger Gardereiter¬
offizier, aus guter altmärkischer Familie, eine im innersten Kern vortreffliche
Natur, ritterlich, offen, ehrenhaft und gemütvoll, ist ein Liebesbündnis mit einem
Mädchen der untern Stände, einer jungen Arbeiterin eingegangen, die stolz
auf die Neigung des Edelmanns ist und ihrerseits wahre Liebe für ihn empfindet.
Lene, wie sie schlichtweg gut berlinisch genannt wird, ist von ihrem Geliebten
weder getäuscht worden, noch giebt sie sich thörichten Hoffnungen auf Bestand
oder glücklichen Ausgang dieses Verhältnisses hin. Sie weiß, daß Botho in
Anschauungen aufgewachsen ist. Verpflichtungen gegen seine Familie, seine
Lebensstellung hat, die ihm jeden ernsten Gedanken an eine Ehe mit ihr
verbieten. Er hat ihr obenein gesagt, daß er eines Tages Abschied auf Nimmer¬
wiedersehen nehmen müsse, und alle ihre Umgebungen sorgen dafür, ihr den
schmerzlich-klaren Blick für die Kluft noch zu schärfen, welche sie von ihrem
Geliebten trennt. Das arme Mädchen will auf das kurze, bittre Glück, das
sie mit ihrer Hingebung erkauft, eben nicht verzichten, will sich eines kurzen
Lenzes freuen, komme darnach, was immer mag. Und der feinühlige, im
innersten Kern gute Botho beginnt zu empfinden, daß er in diesem ganzen
Verhältnis unendlich mehr empfängt, als giebt, daß Lene Eigenschaften
besitzt, die auch ein dauerndes, die Seele erfüllendes Glück verbürgen würden.
Er verspürt den gefährlichen Reiz eines echten Idylls gegenüber der großen,
anspruchsvollen, dabei mannichfach zerklüfteten Welt, in der er lebt. Er kann im
Ernst nicht daran denken, sich aus eben dieser Welt loszureißen und zu verbannen,
aber er spielt doch in Gedanken mit der ihn beschleichenden Versuchung.
Rascher, als er selbst geglaubt hat, tritt die Notwendigkeit eines Abschiedes
von Lene an ihn heran. Botho ist mit einer entfernten Verwandten, einem
liebenswürdigen, sehr reichen Mädchen, zwar nicht verlobt, aber die beiderseitigen
Familien haben die Heirat mit Käthe als wünschenswert und erfreulich längst
geplant, und sowie der junge Offizier sich eingesteht, daß eine Heirat mit seiner
bürgerlichen Geliebten unmöglich sei, hat er gegen die Verbindung mit Käthe
nichts einzuwenden. Der schmerzliche Tag und Abend der Trennung von Lene
wird, so gut es gehen will, überwunden, die Gewohnheit des Offiziers, sich
gemeinsamen Anschauungen streng unterzuordnen, kommt Botho zu Hilfe, ein
paar Wochen nach der Trennung ist er Bräutigam und nach einem Vierteljahr
der Gemahl seines reizenden, hocharistokratischen Väschens. Daß er im Grunde
eine doppelte Schuld auf sich lädt und der Braut sein ganzes Herz nicht
geben kann, kommt ihm zunächst nur halb zum Bewußtsein. Aber noch in den
Flitterwochen und stärker noch in der folgenden Zeit erkennt er, was er sich
bereitet hat, erfaßt ihn die Erinnerung an das schlichte, ernste Kind aus


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[0052] Fontanes Roman Irrungen—lVirrungen. ihrer Gehässigkeit Schritt, lind jedenfalls verrät die beständige Wiederholung derselben eine recht dürftige Lebenskenntnis. Fontane schildert umgekehrt eines jener Verhältnisse, welche sich aus den Versuchungen der Großstadt, des Reichtums und der bevorzugten Lebensstellung von selbst ergeben. Ein junger Gardereiter¬ offizier, aus guter altmärkischer Familie, eine im innersten Kern vortreffliche Natur, ritterlich, offen, ehrenhaft und gemütvoll, ist ein Liebesbündnis mit einem Mädchen der untern Stände, einer jungen Arbeiterin eingegangen, die stolz auf die Neigung des Edelmanns ist und ihrerseits wahre Liebe für ihn empfindet. Lene, wie sie schlichtweg gut berlinisch genannt wird, ist von ihrem Geliebten weder getäuscht worden, noch giebt sie sich thörichten Hoffnungen auf Bestand oder glücklichen Ausgang dieses Verhältnisses hin. Sie weiß, daß Botho in Anschauungen aufgewachsen ist. Verpflichtungen gegen seine Familie, seine Lebensstellung hat, die ihm jeden ernsten Gedanken an eine Ehe mit ihr verbieten. Er hat ihr obenein gesagt, daß er eines Tages Abschied auf Nimmer¬ wiedersehen nehmen müsse, und alle ihre Umgebungen sorgen dafür, ihr den schmerzlich-klaren Blick für die Kluft noch zu schärfen, welche sie von ihrem Geliebten trennt. Das arme Mädchen will auf das kurze, bittre Glück, das sie mit ihrer Hingebung erkauft, eben nicht verzichten, will sich eines kurzen Lenzes freuen, komme darnach, was immer mag. Und der feinühlige, im innersten Kern gute Botho beginnt zu empfinden, daß er in diesem ganzen Verhältnis unendlich mehr empfängt, als giebt, daß Lene Eigenschaften besitzt, die auch ein dauerndes, die Seele erfüllendes Glück verbürgen würden. Er verspürt den gefährlichen Reiz eines echten Idylls gegenüber der großen, anspruchsvollen, dabei mannichfach zerklüfteten Welt, in der er lebt. Er kann im Ernst nicht daran denken, sich aus eben dieser Welt loszureißen und zu verbannen, aber er spielt doch in Gedanken mit der ihn beschleichenden Versuchung. Rascher, als er selbst geglaubt hat, tritt die Notwendigkeit eines Abschiedes von Lene an ihn heran. Botho ist mit einer entfernten Verwandten, einem liebenswürdigen, sehr reichen Mädchen, zwar nicht verlobt, aber die beiderseitigen Familien haben die Heirat mit Käthe als wünschenswert und erfreulich längst geplant, und sowie der junge Offizier sich eingesteht, daß eine Heirat mit seiner bürgerlichen Geliebten unmöglich sei, hat er gegen die Verbindung mit Käthe nichts einzuwenden. Der schmerzliche Tag und Abend der Trennung von Lene wird, so gut es gehen will, überwunden, die Gewohnheit des Offiziers, sich gemeinsamen Anschauungen streng unterzuordnen, kommt Botho zu Hilfe, ein paar Wochen nach der Trennung ist er Bräutigam und nach einem Vierteljahr der Gemahl seines reizenden, hocharistokratischen Väschens. Daß er im Grunde eine doppelte Schuld auf sich lädt und der Braut sein ganzes Herz nicht geben kann, kommt ihm zunächst nur halb zum Bewußtsein. Aber noch in den Flitterwochen und stärker noch in der folgenden Zeit erkennt er, was er sich bereitet hat, erfaßt ihn die Erinnerung an das schlichte, ernste Kind aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/52>, abgerufen am 25.07.2024.