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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Fontanes Roman Irrungen--Wirrungen.

deshalb gerettet, daß sie ihren Vater mit ihrer Rückkehr erfreue. Erst in den
beiden letzten Aufzügen, wo von ihrer nahen Rückkehr die Rede ist, wird
auch der Entführung des Hauses von den Greuelthaten gedacht, von denen
Iphigenie erst im zweiten und dritten Kunde erhält. Somit ist Fischers "reli¬
giöse Sendung" ein Wahngebilde des philosophischen Erklärers.

Uns war es nur darum zu thun, mit Übergehung von vielem andern,
womit wir nicht einverstanden sind, entschieden Verwahrung dagegen einzulegen,
daß man ein Drama nicht als dramatisches Kunstwerk begreifen will, sondern
aus ihm durchaus fremde, seinem innersten Leben widersprechende Absichten sich
philosophisch abstrcchirt, was umsomehr zu bedauern ist, wenn es an einer
der ersten Kunstschöpfungen unsers größten Dichters verbrochen wird. Gewiß
würde der alte Goethe, wenn er in der vollen Kraft seines Geistes dem Fest-
vortrage beigewohnt Hütte, an manchen Stellen wie Tantalus sein Haupt ge¬
schüttelt haben, besonders bei der Betonung der religiösen Absicht. Als Goethe
nach der Rückkehr aus Italien sich realistisch gestimmt fühlte, widerstand ihm
der "zarte Sinn" seiner "Iphigenie," über die er sich auf so derbe Weise gegen
Jacobi aussprach, daß dieser sich dadurch verletzt fühlte. Im Jahre 1802, wo
es sich um eine Bearbeitung des Stückes für die Bühne handelte, fand er es
"ganz verteufelt human," nicht religiös, und dem letzteren Urteil müssen wir zu¬
stimmen, wenn wir uns erlauben, sein "teuflisch" in "himmlisch" zu verbessern, im
Einklang mit seiner eignen, dem Schauspieler Krüger eingeschriebenen Widmung.




Fontanes Roman Irrungen--Mrrungen.

er Name Theodor Fontanes gehört zu den wenigen, die an und
für sich Bürgschaft für ein ernstes Wollen und eine unter allen Um¬
ständen mehr oder minder wertvolle Leistung gewähren. Was auch
der Balladendichter und vortreffliche Erzähler geben möge, es
wird nie gehaltlos oder formlos sein, es wird immer fesseln
und einen starken, eigentümlichen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Nur will uns bedünken, daß der Dichter der "Schönen Rosamunde," des
Romans "Vor dem Sturm" und der Prachtnovelle "Grete Minde", in
neuester Zeit zu genügsam mit der Gewißheit sei, daß seine poetischen Ge¬
bilde lebendige Anziehungskraft besitzen und den oben angedeuteten Eindruck
poetischer Kraft und Eigenart, tieferer Lebenskenntnis und gereifter Darstellungs¬
kunst bei jedem ernsten Leser hinterlassen. Fontane weiß, wie jeder echte


Fontanes Roman Irrungen—Wirrungen.

deshalb gerettet, daß sie ihren Vater mit ihrer Rückkehr erfreue. Erst in den
beiden letzten Aufzügen, wo von ihrer nahen Rückkehr die Rede ist, wird
auch der Entführung des Hauses von den Greuelthaten gedacht, von denen
Iphigenie erst im zweiten und dritten Kunde erhält. Somit ist Fischers „reli¬
giöse Sendung" ein Wahngebilde des philosophischen Erklärers.

Uns war es nur darum zu thun, mit Übergehung von vielem andern,
womit wir nicht einverstanden sind, entschieden Verwahrung dagegen einzulegen,
daß man ein Drama nicht als dramatisches Kunstwerk begreifen will, sondern
aus ihm durchaus fremde, seinem innersten Leben widersprechende Absichten sich
philosophisch abstrcchirt, was umsomehr zu bedauern ist, wenn es an einer
der ersten Kunstschöpfungen unsers größten Dichters verbrochen wird. Gewiß
würde der alte Goethe, wenn er in der vollen Kraft seines Geistes dem Fest-
vortrage beigewohnt Hütte, an manchen Stellen wie Tantalus sein Haupt ge¬
schüttelt haben, besonders bei der Betonung der religiösen Absicht. Als Goethe
nach der Rückkehr aus Italien sich realistisch gestimmt fühlte, widerstand ihm
der „zarte Sinn" seiner „Iphigenie," über die er sich auf so derbe Weise gegen
Jacobi aussprach, daß dieser sich dadurch verletzt fühlte. Im Jahre 1802, wo
es sich um eine Bearbeitung des Stückes für die Bühne handelte, fand er es
„ganz verteufelt human," nicht religiös, und dem letzteren Urteil müssen wir zu¬
stimmen, wenn wir uns erlauben, sein „teuflisch" in „himmlisch" zu verbessern, im
Einklang mit seiner eignen, dem Schauspieler Krüger eingeschriebenen Widmung.




Fontanes Roman Irrungen—Mrrungen.

er Name Theodor Fontanes gehört zu den wenigen, die an und
für sich Bürgschaft für ein ernstes Wollen und eine unter allen Um¬
ständen mehr oder minder wertvolle Leistung gewähren. Was auch
der Balladendichter und vortreffliche Erzähler geben möge, es
wird nie gehaltlos oder formlos sein, es wird immer fesseln
und einen starken, eigentümlichen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Nur will uns bedünken, daß der Dichter der „Schönen Rosamunde," des
Romans „Vor dem Sturm" und der Prachtnovelle „Grete Minde", in
neuester Zeit zu genügsam mit der Gewißheit sei, daß seine poetischen Ge¬
bilde lebendige Anziehungskraft besitzen und den oben angedeuteten Eindruck
poetischer Kraft und Eigenart, tieferer Lebenskenntnis und gereifter Darstellungs¬
kunst bei jedem ernsten Leser hinterlassen. Fontane weiß, wie jeder echte


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[0050] Fontanes Roman Irrungen—Wirrungen. deshalb gerettet, daß sie ihren Vater mit ihrer Rückkehr erfreue. Erst in den beiden letzten Aufzügen, wo von ihrer nahen Rückkehr die Rede ist, wird auch der Entführung des Hauses von den Greuelthaten gedacht, von denen Iphigenie erst im zweiten und dritten Kunde erhält. Somit ist Fischers „reli¬ giöse Sendung" ein Wahngebilde des philosophischen Erklärers. Uns war es nur darum zu thun, mit Übergehung von vielem andern, womit wir nicht einverstanden sind, entschieden Verwahrung dagegen einzulegen, daß man ein Drama nicht als dramatisches Kunstwerk begreifen will, sondern aus ihm durchaus fremde, seinem innersten Leben widersprechende Absichten sich philosophisch abstrcchirt, was umsomehr zu bedauern ist, wenn es an einer der ersten Kunstschöpfungen unsers größten Dichters verbrochen wird. Gewiß würde der alte Goethe, wenn er in der vollen Kraft seines Geistes dem Fest- vortrage beigewohnt Hütte, an manchen Stellen wie Tantalus sein Haupt ge¬ schüttelt haben, besonders bei der Betonung der religiösen Absicht. Als Goethe nach der Rückkehr aus Italien sich realistisch gestimmt fühlte, widerstand ihm der „zarte Sinn" seiner „Iphigenie," über die er sich auf so derbe Weise gegen Jacobi aussprach, daß dieser sich dadurch verletzt fühlte. Im Jahre 1802, wo es sich um eine Bearbeitung des Stückes für die Bühne handelte, fand er es „ganz verteufelt human," nicht religiös, und dem letzteren Urteil müssen wir zu¬ stimmen, wenn wir uns erlauben, sein „teuflisch" in „himmlisch" zu verbessern, im Einklang mit seiner eignen, dem Schauspieler Krüger eingeschriebenen Widmung. Fontanes Roman Irrungen—Mrrungen. er Name Theodor Fontanes gehört zu den wenigen, die an und für sich Bürgschaft für ein ernstes Wollen und eine unter allen Um¬ ständen mehr oder minder wertvolle Leistung gewähren. Was auch der Balladendichter und vortreffliche Erzähler geben möge, es wird nie gehaltlos oder formlos sein, es wird immer fesseln und einen starken, eigentümlichen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Nur will uns bedünken, daß der Dichter der „Schönen Rosamunde," des Romans „Vor dem Sturm" und der Prachtnovelle „Grete Minde", in neuester Zeit zu genügsam mit der Gewißheit sei, daß seine poetischen Ge¬ bilde lebendige Anziehungskraft besitzen und den oben angedeuteten Eindruck poetischer Kraft und Eigenart, tieferer Lebenskenntnis und gereifter Darstellungs¬ kunst bei jedem ernsten Leser hinterlassen. Fontane weiß, wie jeder echte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/50>, abgerufen am 04.07.2024.