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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Berechtigungen.

sobald die Anfrage ergeht. Säumen wir nicht, uns über die einzelnen Punkte
zu verständigen, denn ihre Anzahl ist groß. Leicht wird das nicht sein; die
Geister werden heftig auf einander Platzen. Aber in vielen, und wahrscheinlich
den wichtigsten Dingen, wird schließlich eine Übereinstimmung oder doch ein
bestimmtes Ergebnis erzielt werden. Dann wird nichts im Wege stehen, in
diesen Punkten die Wünsche des Volkes zu erfüllen, die Erledigung der streitig
gebliebenen aber der Zukunft vorzubehalten.

Zur Beförderung der Verständigung soll auch das nachfolgende dienen.
Das Tadeln und Verurteilen der bestehenden Verhältnisse ist leicht, aber es
reicht nicht aus. Es kommt vielmehr darauf an, verständige und ausführbare
Verbesserungsvorschläge zu machen. Wir wollen heute einen sehr wichtigen Punkt
erörtern: die Berechtigungen.

Er handelt sich bei dieser Frage um zwei Gegenstände, die durchaus nichts
mit einander zu thun haben: die Zulassung zum Fachstudium auf der Univer¬
sität, und die Zulcissnng zum Dienste als Einjährig-Freiwilliger.

Der Streit über den ersten Punkt ist bereits seit längerer Zeit in vollem
Gange. Er dreht sich namentlich um die Frage: Sollen zum Studium der
Medizin (und auch der Rechtswissenschaft) junge Leute ohne Kenntnis des
Griechischen zugelassen werden? Für die Ärzte hat dies neuerdings wiederum
sehr entschieden Prof. Preyer in Jena gefordert. Die Ärzte selbst sind in zwei
verschiedene, sich zum Teil heftig befehdende Lager gespalten.

Es wird nnn wohl im Ernste niemand behaupten, der jetzige Arzt bedürfe
zu seinem Fachstudium der griechischen Sprache. Die Weisheit der alten Ärzte,
soweit sie jetzt noch oder wiederum als Weisheit erscheint, liest er bequem in
deutschen Büchern; die vielen nachgerade zu einer wahren Kalamität gewordenen,
für ein philologisches Ohr zum Teil entsetzlich gebildeten griechischen oder gräko-
lateinischen Kunstausdrücke kann er auswendig lernen, auch ohne sich mit Dual,
Optativ, Medium geplagt zu haben. Noch weniger läßt sich ein Nutzen des
Griechischen für das Fachstudium des Juristen nachweisen. Der Schwerpunkt
liegt in Wahrheit gar nicht in dem Nutzen für das Fachstudium, sondern darin,
daß zur Zeit die Kenntnis der griechischen Sprache als ein Kennzeichen der
Zugehörigkeit zu deu Hvchstgebildetcn Ständen gilt, und daß es unerläßlich er¬
scheint, daß der Arzt und der Beamte diesen angehören. Ich stehe nicht an, es
für die Ärzte geradezu als gefährlich zu erklären, wenn sie für sich allein die Be¬
freiung vom Griechischen erstritten, ohne daß zu gleicher Zeit den Juristen die¬
selbe Erleichterung zu Teil würde. Sie würden in den Augen des Publikums
sofort zu Gelehrten zweiter Klasse herabsinken. Es handelt sich bei dieser ganzen
Angelegenheit überhaupt nicht darum, was notwendig oder nützlich ist, sondern
was der Sitte und Auffassung des Volkes entspricht. Diese läßt sich aber nicht
im Handumdrehen durch ministerielle Verfügungen ändern; zu einer solchen Um¬
wandlung bedarf es langer Zeit.


Die Berechtigungen.

sobald die Anfrage ergeht. Säumen wir nicht, uns über die einzelnen Punkte
zu verständigen, denn ihre Anzahl ist groß. Leicht wird das nicht sein; die
Geister werden heftig auf einander Platzen. Aber in vielen, und wahrscheinlich
den wichtigsten Dingen, wird schließlich eine Übereinstimmung oder doch ein
bestimmtes Ergebnis erzielt werden. Dann wird nichts im Wege stehen, in
diesen Punkten die Wünsche des Volkes zu erfüllen, die Erledigung der streitig
gebliebenen aber der Zukunft vorzubehalten.

Zur Beförderung der Verständigung soll auch das nachfolgende dienen.
Das Tadeln und Verurteilen der bestehenden Verhältnisse ist leicht, aber es
reicht nicht aus. Es kommt vielmehr darauf an, verständige und ausführbare
Verbesserungsvorschläge zu machen. Wir wollen heute einen sehr wichtigen Punkt
erörtern: die Berechtigungen.

Er handelt sich bei dieser Frage um zwei Gegenstände, die durchaus nichts
mit einander zu thun haben: die Zulassung zum Fachstudium auf der Univer¬
sität, und die Zulcissnng zum Dienste als Einjährig-Freiwilliger.

Der Streit über den ersten Punkt ist bereits seit längerer Zeit in vollem
Gange. Er dreht sich namentlich um die Frage: Sollen zum Studium der
Medizin (und auch der Rechtswissenschaft) junge Leute ohne Kenntnis des
Griechischen zugelassen werden? Für die Ärzte hat dies neuerdings wiederum
sehr entschieden Prof. Preyer in Jena gefordert. Die Ärzte selbst sind in zwei
verschiedene, sich zum Teil heftig befehdende Lager gespalten.

Es wird nnn wohl im Ernste niemand behaupten, der jetzige Arzt bedürfe
zu seinem Fachstudium der griechischen Sprache. Die Weisheit der alten Ärzte,
soweit sie jetzt noch oder wiederum als Weisheit erscheint, liest er bequem in
deutschen Büchern; die vielen nachgerade zu einer wahren Kalamität gewordenen,
für ein philologisches Ohr zum Teil entsetzlich gebildeten griechischen oder gräko-
lateinischen Kunstausdrücke kann er auswendig lernen, auch ohne sich mit Dual,
Optativ, Medium geplagt zu haben. Noch weniger läßt sich ein Nutzen des
Griechischen für das Fachstudium des Juristen nachweisen. Der Schwerpunkt
liegt in Wahrheit gar nicht in dem Nutzen für das Fachstudium, sondern darin,
daß zur Zeit die Kenntnis der griechischen Sprache als ein Kennzeichen der
Zugehörigkeit zu deu Hvchstgebildetcn Ständen gilt, und daß es unerläßlich er¬
scheint, daß der Arzt und der Beamte diesen angehören. Ich stehe nicht an, es
für die Ärzte geradezu als gefährlich zu erklären, wenn sie für sich allein die Be¬
freiung vom Griechischen erstritten, ohne daß zu gleicher Zeit den Juristen die¬
selbe Erleichterung zu Teil würde. Sie würden in den Augen des Publikums
sofort zu Gelehrten zweiter Klasse herabsinken. Es handelt sich bei dieser ganzen
Angelegenheit überhaupt nicht darum, was notwendig oder nützlich ist, sondern
was der Sitte und Auffassung des Volkes entspricht. Diese läßt sich aber nicht
im Handumdrehen durch ministerielle Verfügungen ändern; zu einer solchen Um¬
wandlung bedarf es langer Zeit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/458>, abgerufen am 29.06.2024.