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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Berechtigungen.

Daher erscheint es als das richtige, diese Frage aus der Angelegenheit der
allgemeinen Schulreform für jetzt völlig auszuscheiden und ihre Betreibung
den zunächst dabei interessirten Stünden zu überlassen. Griechisch wird auf
unsern Gymnasien unter allen Umstanden gelehrt werden müssen. Für uns
reicht es aus, zu erstreiten, daß dies im richtigen Umfange und nach der rich¬
tigen Methode geschehe,*) Brechen wir vor allem zunächst mit den weitver¬
breiteten und von den Philologen sorgfältig genährten Irrtume, die Kenntnis
der griechischen Sprache sei zugleich Kenntnis des Griechentums. Verlegen
wir aber die Beantwortung der ferneren, im Grunde untergeordneten Frage,
wer unter den Schülern des Gymnasiums gezwungen werden soll, am Unter¬
richt im Griechischen teilzunehmen, getrost auf eine spätere Zeit; es reicht aus,
wenn das nächste Jahrhundert die Entscheidung trifft.

Um so dringender bedarf einer baldigen Lösung die Frage der Berechtigung
zum Dienst als Einjährig-Freiwilliger.

Die (in Frankreich neuerdings wieder aufgehobene) Einrichtung der Ein¬
jährig-Freiwilligen ist eine durchaus notwendige Ergänzung zur allgemeinen
Wehrpflicht. Vor dem Gesetze sollen alle Deutschen gleich sein. Eben darum
aber dürfen nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Es sind offenbar
zwei ganz verschiedene Dinge, ob der Bauerjunge dem Pfluge entzogen wird,
der Maurer der Kelle, um in der gut eingerichteten Kaserne besser unter¬
gebracht, besser genährt und gekleidet zu werden als daheim, und sich körper¬
liche Gewandtheit, Reinlichkeit, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Pflichttreue und
vieles andre anzueignen, was für sein ganzes Leben von höchster Wichtigkeit
für ihn ist --, oder ob der Sohn einer höher gebildeten Familie aus allen
gewohnten Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens herausgerissen
werden und mit 2d Mann auf einem Zimmer zusammen liegen soll, die im
Vergleich zu ihm roh sind, ob er Kartoffeln schälen, den Pferdestall reinigen,
jeder Freiheit der Bewegung entsagen und 3 Jahre seines Lebens opfern
soll, die für die Begründung seiner Zukunft gerade die wichtigsten sind. Darum
bestimmt die deutsche Wehrordnung, daß junge Leute von höherer Bildung,
die sich während der Dienstzeit selbst erhalten und bekleiden, nicht drei Jahre,
sondern nur eins bei der Fahne zu sein brauchen. Den Begriff der "höhern
Bildung" bestimmt das Gesetz genauer als die Reife für Obersekunda eines
Gymnasiums.

Diese den Forderungen der Gerechtigkeit durchaus entsprechende Einrich¬
tung hat großen Segen, daneben aber höchst bedenkliche Folgerungen nach sich
Laugen. Zu den letztem gehört in erster Linie eine sehr beklagenswerte Ver¬
schiebung der Schulverhältnisse.

Die jetzige Gliederung der Schulen -- für die untern Volksklassen die Volls-



Man vergleiche den Artikel desselben Verfassers in Ur. 24 der Grenzboten von 1838.
Die Berechtigungen.

Daher erscheint es als das richtige, diese Frage aus der Angelegenheit der
allgemeinen Schulreform für jetzt völlig auszuscheiden und ihre Betreibung
den zunächst dabei interessirten Stünden zu überlassen. Griechisch wird auf
unsern Gymnasien unter allen Umstanden gelehrt werden müssen. Für uns
reicht es aus, zu erstreiten, daß dies im richtigen Umfange und nach der rich¬
tigen Methode geschehe,*) Brechen wir vor allem zunächst mit den weitver¬
breiteten und von den Philologen sorgfältig genährten Irrtume, die Kenntnis
der griechischen Sprache sei zugleich Kenntnis des Griechentums. Verlegen
wir aber die Beantwortung der ferneren, im Grunde untergeordneten Frage,
wer unter den Schülern des Gymnasiums gezwungen werden soll, am Unter¬
richt im Griechischen teilzunehmen, getrost auf eine spätere Zeit; es reicht aus,
wenn das nächste Jahrhundert die Entscheidung trifft.

Um so dringender bedarf einer baldigen Lösung die Frage der Berechtigung
zum Dienst als Einjährig-Freiwilliger.

Die (in Frankreich neuerdings wieder aufgehobene) Einrichtung der Ein¬
jährig-Freiwilligen ist eine durchaus notwendige Ergänzung zur allgemeinen
Wehrpflicht. Vor dem Gesetze sollen alle Deutschen gleich sein. Eben darum
aber dürfen nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Es sind offenbar
zwei ganz verschiedene Dinge, ob der Bauerjunge dem Pfluge entzogen wird,
der Maurer der Kelle, um in der gut eingerichteten Kaserne besser unter¬
gebracht, besser genährt und gekleidet zu werden als daheim, und sich körper¬
liche Gewandtheit, Reinlichkeit, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Pflichttreue und
vieles andre anzueignen, was für sein ganzes Leben von höchster Wichtigkeit
für ihn ist —, oder ob der Sohn einer höher gebildeten Familie aus allen
gewohnten Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens herausgerissen
werden und mit 2d Mann auf einem Zimmer zusammen liegen soll, die im
Vergleich zu ihm roh sind, ob er Kartoffeln schälen, den Pferdestall reinigen,
jeder Freiheit der Bewegung entsagen und 3 Jahre seines Lebens opfern
soll, die für die Begründung seiner Zukunft gerade die wichtigsten sind. Darum
bestimmt die deutsche Wehrordnung, daß junge Leute von höherer Bildung,
die sich während der Dienstzeit selbst erhalten und bekleiden, nicht drei Jahre,
sondern nur eins bei der Fahne zu sein brauchen. Den Begriff der „höhern
Bildung" bestimmt das Gesetz genauer als die Reife für Obersekunda eines
Gymnasiums.

Diese den Forderungen der Gerechtigkeit durchaus entsprechende Einrich¬
tung hat großen Segen, daneben aber höchst bedenkliche Folgerungen nach sich
Laugen. Zu den letztem gehört in erster Linie eine sehr beklagenswerte Ver¬
schiebung der Schulverhältnisse.

Die jetzige Gliederung der Schulen — für die untern Volksklassen die Volls-



Man vergleiche den Artikel desselben Verfassers in Ur. 24 der Grenzboten von 1838.
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[0459] Die Berechtigungen. Daher erscheint es als das richtige, diese Frage aus der Angelegenheit der allgemeinen Schulreform für jetzt völlig auszuscheiden und ihre Betreibung den zunächst dabei interessirten Stünden zu überlassen. Griechisch wird auf unsern Gymnasien unter allen Umstanden gelehrt werden müssen. Für uns reicht es aus, zu erstreiten, daß dies im richtigen Umfange und nach der rich¬ tigen Methode geschehe,*) Brechen wir vor allem zunächst mit den weitver¬ breiteten und von den Philologen sorgfältig genährten Irrtume, die Kenntnis der griechischen Sprache sei zugleich Kenntnis des Griechentums. Verlegen wir aber die Beantwortung der ferneren, im Grunde untergeordneten Frage, wer unter den Schülern des Gymnasiums gezwungen werden soll, am Unter¬ richt im Griechischen teilzunehmen, getrost auf eine spätere Zeit; es reicht aus, wenn das nächste Jahrhundert die Entscheidung trifft. Um so dringender bedarf einer baldigen Lösung die Frage der Berechtigung zum Dienst als Einjährig-Freiwilliger. Die (in Frankreich neuerdings wieder aufgehobene) Einrichtung der Ein¬ jährig-Freiwilligen ist eine durchaus notwendige Ergänzung zur allgemeinen Wehrpflicht. Vor dem Gesetze sollen alle Deutschen gleich sein. Eben darum aber dürfen nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Es sind offenbar zwei ganz verschiedene Dinge, ob der Bauerjunge dem Pfluge entzogen wird, der Maurer der Kelle, um in der gut eingerichteten Kaserne besser unter¬ gebracht, besser genährt und gekleidet zu werden als daheim, und sich körper¬ liche Gewandtheit, Reinlichkeit, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Pflichttreue und vieles andre anzueignen, was für sein ganzes Leben von höchster Wichtigkeit für ihn ist —, oder ob der Sohn einer höher gebildeten Familie aus allen gewohnten Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens herausgerissen werden und mit 2d Mann auf einem Zimmer zusammen liegen soll, die im Vergleich zu ihm roh sind, ob er Kartoffeln schälen, den Pferdestall reinigen, jeder Freiheit der Bewegung entsagen und 3 Jahre seines Lebens opfern soll, die für die Begründung seiner Zukunft gerade die wichtigsten sind. Darum bestimmt die deutsche Wehrordnung, daß junge Leute von höherer Bildung, die sich während der Dienstzeit selbst erhalten und bekleiden, nicht drei Jahre, sondern nur eins bei der Fahne zu sein brauchen. Den Begriff der „höhern Bildung" bestimmt das Gesetz genauer als die Reife für Obersekunda eines Gymnasiums. Diese den Forderungen der Gerechtigkeit durchaus entsprechende Einrich¬ tung hat großen Segen, daneben aber höchst bedenkliche Folgerungen nach sich Laugen. Zu den letztem gehört in erster Linie eine sehr beklagenswerte Ver¬ schiebung der Schulverhältnisse. Die jetzige Gliederung der Schulen — für die untern Volksklassen die Volls- Man vergleiche den Artikel desselben Verfassers in Ur. 24 der Grenzboten von 1838.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/459>, abgerufen am 01.07.2024.