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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kriegen der afrikanischen Häuptlinge eine andre Gefahr erstehe, nämlich, daß,
wenn der siegende Häuptling seine Gefangenen nicht mehr an den Händler
absetzen kann, er ihnen nun, um sie nicht ernähren zu müssen, die Köpfe ab¬
schlägt. Indeß gerade die Aussicht, Gefangene zum Verkauf zu bekommen, hat
jetzt vielfach den Grund zu Kriegen gegeben, die nur eine andre Art von Jagd
auf Sklaven waren. Machen die Häuptlinge die Erfahrung, daß auch die
Kriege nicht lohnen, so werden diese zwar noch lange nicht aufhören, aber
gemindert werden. Auf jeden Fall hat hier Deutschland ein großes Werk der
Kultur vor sich, und wenn unsre Regierung hier eine Aktion in der einen oder
andern Weise nach reiflicher Überlegung eintreten zu lassen für gut hält, so
wird der Reichstag wohl nicht die Mittel verweigern, auch wenn der Freisinn
sich die größte Mühe giebt, unsre Aufgabe in Afrika, die, wie gesagt, eine große
Kulturaufgabe ist, zu vereiteln. Wir wollen nicht gesäet haben, um den Eng¬
ländern auch diesmal allein die Ernte zu lassen. In andern Ländern, die
kolonisatorische Erfahrungen haben, würden Vorkommnisse, wie die in unsern
ostafrikanischen Niederlassungen, gar nicht viel Gerede machen; man weiß da,
daß dergleichen mit solchen Unternehmungen verknüpft sind; nur unsre freisinnigen
Philister erheben ihr Gewinsel und hoffen damit für ihre Partei Geschäfte zu
machen. Da ist das Mißgeschick, welches die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft
betroffen hat, ein "Krach," und wenn die Nationalzeitung einen kraftvollen
Schutz des Reichs für seine Angehörigen verlangt, so ist das "derselbe Humbug,
um den es sich bei dem Rühren der Kriegstrvmmel zu der Zeit der vorjährigen
Faschingswahlen handelte." Wer den Ruhm und die Sicherheit des Vater¬
landes will, der ist ein "nationaler Bumbumschläger." Sollte Bismarck für
die in Afrika durch die aufgesetzte Bevölkerung mißhandelten Deutschen eintreten
wollen, so hat "seine Macht ihre Grenze" erreicht; denn "in gewissen aller¬
äußersten Fällen ist auch die öffentliche Meinung ein Stück Verfassung." Jetzt
sind leider nur "Kanonen und Panzerschiffe das allergrößte Stück der deutschen
Verfassung." Anstatt sür "abenteuerliche Unternehmungen der Profitwut" soll
die Neichshilfe für den "unbeschreiblichen Notstand der Frauen und Kinder
unsrer arbeitenden Klassen" in Anspruch genommen werden, deren "eine immer
wachsende Zahl in das zermalmende Getriebe der Großindustrie gerissen wird."
Da niemand mehr den "unbeschreiblichen Notstand der Frauen und Kinder"
in dem "zermalmenden Getriebe der Großindustrie" verschuldet, als die Patrone
und Protzen der Volkszeitung, aus der die citirten giften Auswürfe genommen
sind, so zeigen auch solche, die Leidenschaften aufreizenden Artikel, wie weit die
Verblendung dieser Partei geht.

Es tritt immer wieder aufs neue zu Tage, wie dem Freisinn ebenso wie
den Ultramontanen die nationale Gesinnung vollständig abgeht. Wie der
erstere Deutschland am liebsten im Schlepptau Englands sähe, so würden die
letztern am liebsten ein Regiment sehen, wie es das geplagte Vaterland unter


Kriegen der afrikanischen Häuptlinge eine andre Gefahr erstehe, nämlich, daß,
wenn der siegende Häuptling seine Gefangenen nicht mehr an den Händler
absetzen kann, er ihnen nun, um sie nicht ernähren zu müssen, die Köpfe ab¬
schlägt. Indeß gerade die Aussicht, Gefangene zum Verkauf zu bekommen, hat
jetzt vielfach den Grund zu Kriegen gegeben, die nur eine andre Art von Jagd
auf Sklaven waren. Machen die Häuptlinge die Erfahrung, daß auch die
Kriege nicht lohnen, so werden diese zwar noch lange nicht aufhören, aber
gemindert werden. Auf jeden Fall hat hier Deutschland ein großes Werk der
Kultur vor sich, und wenn unsre Regierung hier eine Aktion in der einen oder
andern Weise nach reiflicher Überlegung eintreten zu lassen für gut hält, so
wird der Reichstag wohl nicht die Mittel verweigern, auch wenn der Freisinn
sich die größte Mühe giebt, unsre Aufgabe in Afrika, die, wie gesagt, eine große
Kulturaufgabe ist, zu vereiteln. Wir wollen nicht gesäet haben, um den Eng¬
ländern auch diesmal allein die Ernte zu lassen. In andern Ländern, die
kolonisatorische Erfahrungen haben, würden Vorkommnisse, wie die in unsern
ostafrikanischen Niederlassungen, gar nicht viel Gerede machen; man weiß da,
daß dergleichen mit solchen Unternehmungen verknüpft sind; nur unsre freisinnigen
Philister erheben ihr Gewinsel und hoffen damit für ihre Partei Geschäfte zu
machen. Da ist das Mißgeschick, welches die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft
betroffen hat, ein „Krach," und wenn die Nationalzeitung einen kraftvollen
Schutz des Reichs für seine Angehörigen verlangt, so ist das „derselbe Humbug,
um den es sich bei dem Rühren der Kriegstrvmmel zu der Zeit der vorjährigen
Faschingswahlen handelte." Wer den Ruhm und die Sicherheit des Vater¬
landes will, der ist ein „nationaler Bumbumschläger." Sollte Bismarck für
die in Afrika durch die aufgesetzte Bevölkerung mißhandelten Deutschen eintreten
wollen, so hat „seine Macht ihre Grenze" erreicht; denn „in gewissen aller¬
äußersten Fällen ist auch die öffentliche Meinung ein Stück Verfassung." Jetzt
sind leider nur „Kanonen und Panzerschiffe das allergrößte Stück der deutschen
Verfassung." Anstatt sür „abenteuerliche Unternehmungen der Profitwut" soll
die Neichshilfe für den „unbeschreiblichen Notstand der Frauen und Kinder
unsrer arbeitenden Klassen" in Anspruch genommen werden, deren „eine immer
wachsende Zahl in das zermalmende Getriebe der Großindustrie gerissen wird."
Da niemand mehr den „unbeschreiblichen Notstand der Frauen und Kinder"
in dem „zermalmenden Getriebe der Großindustrie" verschuldet, als die Patrone
und Protzen der Volkszeitung, aus der die citirten giften Auswürfe genommen
sind, so zeigen auch solche, die Leidenschaften aufreizenden Artikel, wie weit die
Verblendung dieser Partei geht.

Es tritt immer wieder aufs neue zu Tage, wie dem Freisinn ebenso wie
den Ultramontanen die nationale Gesinnung vollständig abgeht. Wie der
erstere Deutschland am liebsten im Schlepptau Englands sähe, so würden die
letztern am liebsten ein Regiment sehen, wie es das geplagte Vaterland unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/443>, abgerufen am 02.07.2024.