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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

und Papst) und dem kirchlichen (in der Dogmenentwicklung) verquickt war, er
zeigt die ewige Gleichheit der gesellschaftlichen Grundkräfte im Geistesleben auch
dieser Zeit, und weist auf ihre Beziehung zu den modernen sozialen und rechtlichen
Fragen hin. Sehr schön hebt er ihr Grundprinzip heraus, jene naive Freude
geistig frischer Nationen, ihre Kraft an der Bewältigung des für sie unermeßlichen
Einzelnen zu bewähren; wie sie da in dem vom philosohpischen Altertum über¬
kommenen logischen Begriff ein Zaubermittel gefunden zu haben wähnten, gleichsam
ein Amulet gegen die anstürmende Fülle der Anschauung. Denn das Mittelalter
geht sonst auf in rein sinnlicher Auffassung der Dinge, ganz in der gleichen Weise,
wenn auch nicht in demselben Grade wie jene Jägerstämme in der "neuen Welt",
die den Vogel nicht kennen, aber den Adler und den Geier, nicht einmal die Eiche,
sondern diese und jene Eiche auf ihrem Pfade. Man versteht von diesem Gesichts¬
punkte die heißen Kämpfe dieser Zeit um die uinvsrsMg., daß Jahrhunderte
nötig waren, um hinter den eigentlichen Sinn der Begriffe zu kommen, daß
nicht etwa das "Tier an sich" als "Realität" irgendwo in der Welt her¬
umlaufe.

Der Erörterung bedürfen ferner in diesem Kapitel die örtlichen Be¬
dingungen der geistigen Mittelpunktsbildung. Paris, die mator 8wäivrum,
steht hier für alle, die frühe Großstadt, bei der wie heute die Reize des
Lebens nicht der kleinste Grund für die Anziehung auch der Wissenschaft
gewesen sein mögen. Und jene feine französische Kunst der Jnszenirung, ist
sie nicht auch hier in Anschlag zu bringen? Das auszeichnende Hui ?s,ri,8Ü8
Lvnolas rexit (Vorsteher einer Schule in Paris) des mittelalterlichen Scholaster,
der Ng-Fistsr LollsZü LordoQivi sind sie nicht die Vorläufer des spätern
Nvilidrs as 1'In8elwe, des Ah l'acÄäviniö kiM^iss u. s. w.? Haben nicht alle
Völker die Formen und Urformen ihres gloirs auf allen Gebieten aus Paris
bezogen? Aber sehr zu berücksichtigen ist doch neben diesen Aeußerlichkeiten des
französischen Einflusses der wissenschaftliche Eifer im ganzen Frankreich zur Zeit
der Gerbert und Abcilard, der damals unter den Nationalitäten den Franzosen das
Studium zuerteilte und den Italienern das Papsttum, den Deutschen das
Kaisertum überließ;*) ebenso der doch nicht bloß im schlimmen Sinne, in der
Gallischen Neuerungssucht, offene Blick für das Neue, der, wie noch in den neuern
Zeiten, alles nach Paris wies, was sich Bahn zu brechen hatte in Wissenschaft und
Kunst. Das übermütige Wort "Paris ist die Welt" darf zum mindesten auf
eine lange Geschichte hinweisen, in der es geglaubt wurde.

Aber was machte auf der andern Seite gerade Bologna zum Mittelpunkt



*) Dies war auch nicht ohne Einfluß darauf, daß die Gelehrten in dem Streite zwischen
Kaiser und Papst überwiegend für den Papst Partei nahmen. Denn Frankreich war eine
Hauptstütze der Päpste, und die Eindrücke der Studienzeit Pflegen zu haften. Es fehlte
allerdings nicht an Ausnahmen.
Die Universitäten im Mittelalter.

und Papst) und dem kirchlichen (in der Dogmenentwicklung) verquickt war, er
zeigt die ewige Gleichheit der gesellschaftlichen Grundkräfte im Geistesleben auch
dieser Zeit, und weist auf ihre Beziehung zu den modernen sozialen und rechtlichen
Fragen hin. Sehr schön hebt er ihr Grundprinzip heraus, jene naive Freude
geistig frischer Nationen, ihre Kraft an der Bewältigung des für sie unermeßlichen
Einzelnen zu bewähren; wie sie da in dem vom philosohpischen Altertum über¬
kommenen logischen Begriff ein Zaubermittel gefunden zu haben wähnten, gleichsam
ein Amulet gegen die anstürmende Fülle der Anschauung. Denn das Mittelalter
geht sonst auf in rein sinnlicher Auffassung der Dinge, ganz in der gleichen Weise,
wenn auch nicht in demselben Grade wie jene Jägerstämme in der „neuen Welt",
die den Vogel nicht kennen, aber den Adler und den Geier, nicht einmal die Eiche,
sondern diese und jene Eiche auf ihrem Pfade. Man versteht von diesem Gesichts¬
punkte die heißen Kämpfe dieser Zeit um die uinvsrsMg., daß Jahrhunderte
nötig waren, um hinter den eigentlichen Sinn der Begriffe zu kommen, daß
nicht etwa das „Tier an sich" als „Realität" irgendwo in der Welt her¬
umlaufe.

Der Erörterung bedürfen ferner in diesem Kapitel die örtlichen Be¬
dingungen der geistigen Mittelpunktsbildung. Paris, die mator 8wäivrum,
steht hier für alle, die frühe Großstadt, bei der wie heute die Reize des
Lebens nicht der kleinste Grund für die Anziehung auch der Wissenschaft
gewesen sein mögen. Und jene feine französische Kunst der Jnszenirung, ist
sie nicht auch hier in Anschlag zu bringen? Das auszeichnende Hui ?s,ri,8Ü8
Lvnolas rexit (Vorsteher einer Schule in Paris) des mittelalterlichen Scholaster,
der Ng-Fistsr LollsZü LordoQivi sind sie nicht die Vorläufer des spätern
Nvilidrs as 1'In8elwe, des Ah l'acÄäviniö kiM^iss u. s. w.? Haben nicht alle
Völker die Formen und Urformen ihres gloirs auf allen Gebieten aus Paris
bezogen? Aber sehr zu berücksichtigen ist doch neben diesen Aeußerlichkeiten des
französischen Einflusses der wissenschaftliche Eifer im ganzen Frankreich zur Zeit
der Gerbert und Abcilard, der damals unter den Nationalitäten den Franzosen das
Studium zuerteilte und den Italienern das Papsttum, den Deutschen das
Kaisertum überließ;*) ebenso der doch nicht bloß im schlimmen Sinne, in der
Gallischen Neuerungssucht, offene Blick für das Neue, der, wie noch in den neuern
Zeiten, alles nach Paris wies, was sich Bahn zu brechen hatte in Wissenschaft und
Kunst. Das übermütige Wort „Paris ist die Welt" darf zum mindesten auf
eine lange Geschichte hinweisen, in der es geglaubt wurde.

Aber was machte auf der andern Seite gerade Bologna zum Mittelpunkt



*) Dies war auch nicht ohne Einfluß darauf, daß die Gelehrten in dem Streite zwischen
Kaiser und Papst überwiegend für den Papst Partei nahmen. Denn Frankreich war eine
Hauptstütze der Päpste, und die Eindrücke der Studienzeit Pflegen zu haften. Es fehlte
allerdings nicht an Ausnahmen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/44>, abgerufen am 02.07.2024.