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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

er lernend saß. Kein Abschließen, kein der Jugend und der Wissenschaft
fremdes Zünftler- und Kastenwesen läßt sich spüren- Selbst aus den Convikten
der Dominikaner schollen leider ost aus ganz besonders feuchten Kehlen die
allgemeinen Trinklieder. Gerauft wurde viel, aber nach allen Universitäts¬
berichten fast ausschließlich mit dem feindlichen, gewinnsüchtigen Bürger (der
Ausdruck "Philister" ist uach Wort und Sinn später), dem eifersüchtigen Bauern,
nicht mit den Genossen. Bei aller Lüderlichkeit machte sich "der Segen einer
auf geistiger Arbeit beruhenden Gemeinschaft immer wieder geltend." Rührend
ist der Lerneifer, die Hingebung an die allgemeine Wissenschaft, die keine Pfründen
zu vergeben hat, "keine Schätze wie Galenus, keine Ehren wie Justinian." Ver¬
söhnend wirkt die überlegene Selbstironie des ausgesogenen armen Teufels, der
"den Rock vertrunken und das Hemd verspielt" hat, der sich elend und verstoßen
in einem großen Orden fühlt, welcher alle aufnimmt, auch die ärmsten, die
verachtetsten. Das alles macht das mittelalterliche Studentenleben einheitlicher,
namentlich das Schüler und Lehrer gleichermaßen umspannende Scholarentum
macht es charakteristischer als das unsre.

Fragt man nun nach der geistigen Macht, die im Stande war, dies
neue und eigentümliche gesellschaftliche Gebilde zu erwecken, die den großen
allgemeinen Studentenorden zusammenhielt, so wird man wieder einmal auf
einen jener Widersprüche geführt, an denen das geistige Leben so reich ist und
die sich nur ungenügend auf materielle Grundlagen zurückführen lassen. Die
Scholastik (wie diese geistige Macht in engster Beziehung zu dem Schülerwesen
des Mittelalters heißt) ist in der gesellschaftlichen Umgebung ihrer Zeit ein
Rätsel. Viel besser würde die Mystik zu ihr passen, und dennoch ist jene in
ihr das Ursprüngliche und diese erst der Gegenschlag. Man wird es daher dem
Verfasser Dank wissen, daß er seinem Werke über die Scholaren des Mittel¬
alters eine orientierende Einleitung über die Scholastik als besonders Kapitel
voranstellt. Die Scholastik ist sehr lange Zeit, seit ihrer Überwindung durch
Humanismus und Naturforschung, der Popanz des geistigen Lebens und in der
Folge das besondre Stiefkind der Geistesgeschichte gewesen. Das ist nach und
nach anders geworden. Erst gemahnte eine weit berühmte und einflußreiche
Philosophie, die Hegelsche, in unserm Jahrhundert wunderlich wieder an ihre Ten¬
denzen. Dann folgte, erst widerwillig, aber mit pflichtmäßiger Gründlichkeit
die Geschichtswissenschaft. Als ein Beleg für beides wird der künftigen Zeit
noch lange die schwergelehrte "Geschichte der Logik im Abendlande" des soeben
allzufrüh verstorbenen Prantl vor'Augenstehen. Man ist nun gerechter auch
gegen diese verschrieene Periode des Menschengeistes geworden, und bequem ab¬
sprechende Urteile, wie die aus Schopenhauer und Dühring geholten, sollten
heute nicht mehr möglich sein. Kaufmann zeigt in geschmackvoller Zusammen¬
stellung ihre hauptsächlichen Lebenskräfte, er zeigt, daß die Scholastik nicht tot,
sondern oft nur allzusehr mit dem Leben, dem politischen (im Kampf zwischen Kaiser


Die Universitäten im Mittelalter.

er lernend saß. Kein Abschließen, kein der Jugend und der Wissenschaft
fremdes Zünftler- und Kastenwesen läßt sich spüren- Selbst aus den Convikten
der Dominikaner schollen leider ost aus ganz besonders feuchten Kehlen die
allgemeinen Trinklieder. Gerauft wurde viel, aber nach allen Universitäts¬
berichten fast ausschließlich mit dem feindlichen, gewinnsüchtigen Bürger (der
Ausdruck „Philister" ist uach Wort und Sinn später), dem eifersüchtigen Bauern,
nicht mit den Genossen. Bei aller Lüderlichkeit machte sich „der Segen einer
auf geistiger Arbeit beruhenden Gemeinschaft immer wieder geltend." Rührend
ist der Lerneifer, die Hingebung an die allgemeine Wissenschaft, die keine Pfründen
zu vergeben hat, „keine Schätze wie Galenus, keine Ehren wie Justinian." Ver¬
söhnend wirkt die überlegene Selbstironie des ausgesogenen armen Teufels, der
„den Rock vertrunken und das Hemd verspielt" hat, der sich elend und verstoßen
in einem großen Orden fühlt, welcher alle aufnimmt, auch die ärmsten, die
verachtetsten. Das alles macht das mittelalterliche Studentenleben einheitlicher,
namentlich das Schüler und Lehrer gleichermaßen umspannende Scholarentum
macht es charakteristischer als das unsre.

Fragt man nun nach der geistigen Macht, die im Stande war, dies
neue und eigentümliche gesellschaftliche Gebilde zu erwecken, die den großen
allgemeinen Studentenorden zusammenhielt, so wird man wieder einmal auf
einen jener Widersprüche geführt, an denen das geistige Leben so reich ist und
die sich nur ungenügend auf materielle Grundlagen zurückführen lassen. Die
Scholastik (wie diese geistige Macht in engster Beziehung zu dem Schülerwesen
des Mittelalters heißt) ist in der gesellschaftlichen Umgebung ihrer Zeit ein
Rätsel. Viel besser würde die Mystik zu ihr passen, und dennoch ist jene in
ihr das Ursprüngliche und diese erst der Gegenschlag. Man wird es daher dem
Verfasser Dank wissen, daß er seinem Werke über die Scholaren des Mittel¬
alters eine orientierende Einleitung über die Scholastik als besonders Kapitel
voranstellt. Die Scholastik ist sehr lange Zeit, seit ihrer Überwindung durch
Humanismus und Naturforschung, der Popanz des geistigen Lebens und in der
Folge das besondre Stiefkind der Geistesgeschichte gewesen. Das ist nach und
nach anders geworden. Erst gemahnte eine weit berühmte und einflußreiche
Philosophie, die Hegelsche, in unserm Jahrhundert wunderlich wieder an ihre Ten¬
denzen. Dann folgte, erst widerwillig, aber mit pflichtmäßiger Gründlichkeit
die Geschichtswissenschaft. Als ein Beleg für beides wird der künftigen Zeit
noch lange die schwergelehrte „Geschichte der Logik im Abendlande" des soeben
allzufrüh verstorbenen Prantl vor'Augenstehen. Man ist nun gerechter auch
gegen diese verschrieene Periode des Menschengeistes geworden, und bequem ab¬
sprechende Urteile, wie die aus Schopenhauer und Dühring geholten, sollten
heute nicht mehr möglich sein. Kaufmann zeigt in geschmackvoller Zusammen¬
stellung ihre hauptsächlichen Lebenskräfte, er zeigt, daß die Scholastik nicht tot,
sondern oft nur allzusehr mit dem Leben, dem politischen (im Kampf zwischen Kaiser


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[0043] Die Universitäten im Mittelalter. er lernend saß. Kein Abschließen, kein der Jugend und der Wissenschaft fremdes Zünftler- und Kastenwesen läßt sich spüren- Selbst aus den Convikten der Dominikaner schollen leider ost aus ganz besonders feuchten Kehlen die allgemeinen Trinklieder. Gerauft wurde viel, aber nach allen Universitäts¬ berichten fast ausschließlich mit dem feindlichen, gewinnsüchtigen Bürger (der Ausdruck „Philister" ist uach Wort und Sinn später), dem eifersüchtigen Bauern, nicht mit den Genossen. Bei aller Lüderlichkeit machte sich „der Segen einer auf geistiger Arbeit beruhenden Gemeinschaft immer wieder geltend." Rührend ist der Lerneifer, die Hingebung an die allgemeine Wissenschaft, die keine Pfründen zu vergeben hat, „keine Schätze wie Galenus, keine Ehren wie Justinian." Ver¬ söhnend wirkt die überlegene Selbstironie des ausgesogenen armen Teufels, der „den Rock vertrunken und das Hemd verspielt" hat, der sich elend und verstoßen in einem großen Orden fühlt, welcher alle aufnimmt, auch die ärmsten, die verachtetsten. Das alles macht das mittelalterliche Studentenleben einheitlicher, namentlich das Schüler und Lehrer gleichermaßen umspannende Scholarentum macht es charakteristischer als das unsre. Fragt man nun nach der geistigen Macht, die im Stande war, dies neue und eigentümliche gesellschaftliche Gebilde zu erwecken, die den großen allgemeinen Studentenorden zusammenhielt, so wird man wieder einmal auf einen jener Widersprüche geführt, an denen das geistige Leben so reich ist und die sich nur ungenügend auf materielle Grundlagen zurückführen lassen. Die Scholastik (wie diese geistige Macht in engster Beziehung zu dem Schülerwesen des Mittelalters heißt) ist in der gesellschaftlichen Umgebung ihrer Zeit ein Rätsel. Viel besser würde die Mystik zu ihr passen, und dennoch ist jene in ihr das Ursprüngliche und diese erst der Gegenschlag. Man wird es daher dem Verfasser Dank wissen, daß er seinem Werke über die Scholaren des Mittel¬ alters eine orientierende Einleitung über die Scholastik als besonders Kapitel voranstellt. Die Scholastik ist sehr lange Zeit, seit ihrer Überwindung durch Humanismus und Naturforschung, der Popanz des geistigen Lebens und in der Folge das besondre Stiefkind der Geistesgeschichte gewesen. Das ist nach und nach anders geworden. Erst gemahnte eine weit berühmte und einflußreiche Philosophie, die Hegelsche, in unserm Jahrhundert wunderlich wieder an ihre Ten¬ denzen. Dann folgte, erst widerwillig, aber mit pflichtmäßiger Gründlichkeit die Geschichtswissenschaft. Als ein Beleg für beides wird der künftigen Zeit noch lange die schwergelehrte „Geschichte der Logik im Abendlande" des soeben allzufrüh verstorbenen Prantl vor'Augenstehen. Man ist nun gerechter auch gegen diese verschrieene Periode des Menschengeistes geworden, und bequem ab¬ sprechende Urteile, wie die aus Schopenhauer und Dühring geholten, sollten heute nicht mehr möglich sein. Kaufmann zeigt in geschmackvoller Zusammen¬ stellung ihre hauptsächlichen Lebenskräfte, er zeigt, daß die Scholastik nicht tot, sondern oft nur allzusehr mit dem Leben, dem politischen (im Kampf zwischen Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/43>, abgerufen am 04.07.2024.