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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Kupferstich und die vervielfältigenden Ärmste der Neuzeit.

kirmes von Teniers höher bezahlt worden ist als eine Madonna Raffaels. Nur
darauf sei hingewiesen, daß dieser materiellen Überschätzung der Niederländer
nicht etwa ausschließlich die erst jetzt zu bessern, Verständnis gelangten, rein
künstlerischen Eigenschaften der in Frage kommenden Gemälde zu Grunde liegen.
Die Engländer haben von jeher eine große Vorliebe für die niederländischen
Maler der Blütezeit besessen, und diese Vorliebe hat sich allmählich auch auf
den Kontinent ausgedehnt, zum Teil wohl künstlich genährt durch Zwischen¬
händler, Agenten und sogenannte "Experten", die ein finanzielles Interesse
daran hatten, dem Kunstmarkt durch Mobilisirung alten Gemäldebesitzes neue
Nahrung zuzuführen. Für denjenigen, der nicht selbst Kunsthändler ist oder
Gelegenheit oder Verpflichtung hat, allen Schleichwegen des modernen Kunst¬
handels, allen Wandlungen und Schwankungen des internationalen Kunstmarktes
nachzuspüren, ist es unmöglich, den Rattenkönig zu entwirren, der aus wildem
Spekulationstrieb, aus niedrigen Intriguen, aus schlauer Benutzung der Eitelkeit
von Finanzbarvnen, aus der Ausbeutung von Notlagen, in welche bisweilen öffent¬
liche Institute, Kirchen und verschwenderische Lords geraten, aus systematischer
Reklameinacherei und hundert andern Kunstgriffen zusammengeflochten worden ist.
Für unsern Zweck genügt es, die Thatsache festzustellen, daß die auf solchen Wegen
herbeigeführte Veränderung des Kunftgeschmackes, deren Berechtigung als heil¬
sam und notwendig zur Herstellung des Gleichgewichts wir übrigens unum¬
wunden anerkennen, einen nachteiligen Einfluß auf das weitere Gedeihen der¬
jenigen Richtung des klassischen Kupferstichs üben mußte, der sich fast aus¬
schließlich auf die Nachbildung von Gemälden italienischer und stilverwandter
Meister der neuern Zeit beschränkt.

Wohl hat ein ausgezeichneter Vertreter der Grabsticheltechnik, Eduard
Mandel, zu wiederholten Malen den Versuch gemacht, die koloristischen Eigen¬
schaften eines Tizian und van Dyck durch die Mittel seines immerhin auf eine
kleine Anzahl von Wirkungen beschränkten Verfahrens wiederzugeben. Aber es
waren nur Portätköpfe, bei denen das Interesse an der Person und der Bildung
der einzelnen Züge, die durch rein zeichnerische Mittel dargestellt werden konnten,
den durch die trockene Technik verschuldeten Mangel in der Widerspiegelung
des koloristischen Gewebes einigermaßen ersetzen konnte. Bei den in den fünf¬
ziger und sechziger Jahren entstandenen französischen Kupferstichen nach figuren¬
reichen Kompositionen der Venezianer, insbesondere nach Paul Veronese, wird
jedoch der Mangel an malerischer Haltung und kräftiger koloristischer Wirkung
so schwer empfunden, daß selbst die besten dieser Arbeiten, trotz ihrer sorgfältigen
Durchbildung in den Einzelnheiten, nur den Schatten der Originale wiedergeben.
Hier darf auch nicht verschwiegen werden, daß die geringern Erzeugnisse des
französischen Kupferstichs, der Jahrzehnte lang den europäischen Markt be¬
herrscht hat, durch Verflachung des physiognomischen Ausdrucks und durch
gedankenlose Manierirtheit der Darstellung sehr viel dazu beigetragen haben,


Der Kupferstich und die vervielfältigenden Ärmste der Neuzeit.

kirmes von Teniers höher bezahlt worden ist als eine Madonna Raffaels. Nur
darauf sei hingewiesen, daß dieser materiellen Überschätzung der Niederländer
nicht etwa ausschließlich die erst jetzt zu bessern, Verständnis gelangten, rein
künstlerischen Eigenschaften der in Frage kommenden Gemälde zu Grunde liegen.
Die Engländer haben von jeher eine große Vorliebe für die niederländischen
Maler der Blütezeit besessen, und diese Vorliebe hat sich allmählich auch auf
den Kontinent ausgedehnt, zum Teil wohl künstlich genährt durch Zwischen¬
händler, Agenten und sogenannte „Experten", die ein finanzielles Interesse
daran hatten, dem Kunstmarkt durch Mobilisirung alten Gemäldebesitzes neue
Nahrung zuzuführen. Für denjenigen, der nicht selbst Kunsthändler ist oder
Gelegenheit oder Verpflichtung hat, allen Schleichwegen des modernen Kunst¬
handels, allen Wandlungen und Schwankungen des internationalen Kunstmarktes
nachzuspüren, ist es unmöglich, den Rattenkönig zu entwirren, der aus wildem
Spekulationstrieb, aus niedrigen Intriguen, aus schlauer Benutzung der Eitelkeit
von Finanzbarvnen, aus der Ausbeutung von Notlagen, in welche bisweilen öffent¬
liche Institute, Kirchen und verschwenderische Lords geraten, aus systematischer
Reklameinacherei und hundert andern Kunstgriffen zusammengeflochten worden ist.
Für unsern Zweck genügt es, die Thatsache festzustellen, daß die auf solchen Wegen
herbeigeführte Veränderung des Kunftgeschmackes, deren Berechtigung als heil¬
sam und notwendig zur Herstellung des Gleichgewichts wir übrigens unum¬
wunden anerkennen, einen nachteiligen Einfluß auf das weitere Gedeihen der¬
jenigen Richtung des klassischen Kupferstichs üben mußte, der sich fast aus¬
schließlich auf die Nachbildung von Gemälden italienischer und stilverwandter
Meister der neuern Zeit beschränkt.

Wohl hat ein ausgezeichneter Vertreter der Grabsticheltechnik, Eduard
Mandel, zu wiederholten Malen den Versuch gemacht, die koloristischen Eigen¬
schaften eines Tizian und van Dyck durch die Mittel seines immerhin auf eine
kleine Anzahl von Wirkungen beschränkten Verfahrens wiederzugeben. Aber es
waren nur Portätköpfe, bei denen das Interesse an der Person und der Bildung
der einzelnen Züge, die durch rein zeichnerische Mittel dargestellt werden konnten,
den durch die trockene Technik verschuldeten Mangel in der Widerspiegelung
des koloristischen Gewebes einigermaßen ersetzen konnte. Bei den in den fünf¬
ziger und sechziger Jahren entstandenen französischen Kupferstichen nach figuren¬
reichen Kompositionen der Venezianer, insbesondere nach Paul Veronese, wird
jedoch der Mangel an malerischer Haltung und kräftiger koloristischer Wirkung
so schwer empfunden, daß selbst die besten dieser Arbeiten, trotz ihrer sorgfältigen
Durchbildung in den Einzelnheiten, nur den Schatten der Originale wiedergeben.
Hier darf auch nicht verschwiegen werden, daß die geringern Erzeugnisse des
französischen Kupferstichs, der Jahrzehnte lang den europäischen Markt be¬
herrscht hat, durch Verflachung des physiognomischen Ausdrucks und durch
gedankenlose Manierirtheit der Darstellung sehr viel dazu beigetragen haben,


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[0432] Der Kupferstich und die vervielfältigenden Ärmste der Neuzeit. kirmes von Teniers höher bezahlt worden ist als eine Madonna Raffaels. Nur darauf sei hingewiesen, daß dieser materiellen Überschätzung der Niederländer nicht etwa ausschließlich die erst jetzt zu bessern, Verständnis gelangten, rein künstlerischen Eigenschaften der in Frage kommenden Gemälde zu Grunde liegen. Die Engländer haben von jeher eine große Vorliebe für die niederländischen Maler der Blütezeit besessen, und diese Vorliebe hat sich allmählich auch auf den Kontinent ausgedehnt, zum Teil wohl künstlich genährt durch Zwischen¬ händler, Agenten und sogenannte „Experten", die ein finanzielles Interesse daran hatten, dem Kunstmarkt durch Mobilisirung alten Gemäldebesitzes neue Nahrung zuzuführen. Für denjenigen, der nicht selbst Kunsthändler ist oder Gelegenheit oder Verpflichtung hat, allen Schleichwegen des modernen Kunst¬ handels, allen Wandlungen und Schwankungen des internationalen Kunstmarktes nachzuspüren, ist es unmöglich, den Rattenkönig zu entwirren, der aus wildem Spekulationstrieb, aus niedrigen Intriguen, aus schlauer Benutzung der Eitelkeit von Finanzbarvnen, aus der Ausbeutung von Notlagen, in welche bisweilen öffent¬ liche Institute, Kirchen und verschwenderische Lords geraten, aus systematischer Reklameinacherei und hundert andern Kunstgriffen zusammengeflochten worden ist. Für unsern Zweck genügt es, die Thatsache festzustellen, daß die auf solchen Wegen herbeigeführte Veränderung des Kunftgeschmackes, deren Berechtigung als heil¬ sam und notwendig zur Herstellung des Gleichgewichts wir übrigens unum¬ wunden anerkennen, einen nachteiligen Einfluß auf das weitere Gedeihen der¬ jenigen Richtung des klassischen Kupferstichs üben mußte, der sich fast aus¬ schließlich auf die Nachbildung von Gemälden italienischer und stilverwandter Meister der neuern Zeit beschränkt. Wohl hat ein ausgezeichneter Vertreter der Grabsticheltechnik, Eduard Mandel, zu wiederholten Malen den Versuch gemacht, die koloristischen Eigen¬ schaften eines Tizian und van Dyck durch die Mittel seines immerhin auf eine kleine Anzahl von Wirkungen beschränkten Verfahrens wiederzugeben. Aber es waren nur Portätköpfe, bei denen das Interesse an der Person und der Bildung der einzelnen Züge, die durch rein zeichnerische Mittel dargestellt werden konnten, den durch die trockene Technik verschuldeten Mangel in der Widerspiegelung des koloristischen Gewebes einigermaßen ersetzen konnte. Bei den in den fünf¬ ziger und sechziger Jahren entstandenen französischen Kupferstichen nach figuren¬ reichen Kompositionen der Venezianer, insbesondere nach Paul Veronese, wird jedoch der Mangel an malerischer Haltung und kräftiger koloristischer Wirkung so schwer empfunden, daß selbst die besten dieser Arbeiten, trotz ihrer sorgfältigen Durchbildung in den Einzelnheiten, nur den Schatten der Originale wiedergeben. Hier darf auch nicht verschwiegen werden, daß die geringern Erzeugnisse des französischen Kupferstichs, der Jahrzehnte lang den europäischen Markt be¬ herrscht hat, durch Verflachung des physiognomischen Ausdrucks und durch gedankenlose Manierirtheit der Darstellung sehr viel dazu beigetragen haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/432>, abgerufen am 25.07.2024.